Uhren

Stunde der Wahrheit für die Eurozone

Die Eurozone und Griechenland stehen vor einem Scherbenhaufen. Nur etwas ist nach all den Verhandlungen klar geworden: Eine Rückzahlung der Schulden wird immer unwahrscheinlicher. Genau dies jedoch wollte die Eurozone um jeden Preis verhindern.

Auf 320 Milliarden Euro summieren sich die Schulden Griechenlands. Das entspricht etwas mehr als 170 Prozent des Bruttoinlandprodukts und sind umgerechnet 30‘000 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Kann das Land diese Schulden je wieder abtragen? Daran zu zweifeln, galt in der Eurozone bislang als eisernes Tabu. Doch spätestens nach dem griechischen Referendum lässt sich diese Frage nicht mehr verdrängen.

Grundsätzlich existieren für Griechenland vier verschiedene Möglichkeiten, um seine Staatsschulden zu begleichen. So viel vorweg: Zwei Wege sind elegant und relativ reibungslos, die anderen beiden dafür umso unerfreulicher.

1. Inflation

Eine gemässigte Teuerung wird von den Leuten nicht als unangenehm empfunden. Wenn es gelingt, die Zinsen tief zu halten, dann reduziert eine Inflationsrate von circa 2 Prozent die reale Schuldenlast automatisch. Allerdings benötigt diese Methode viel Zeit. Zudem besteht latent das Risiko, dass die herbeigewünschte Teuerung ausser Kontrolle gerät. Zurzeit jedoch ist das Gegenteil der Fall: Weil das Preisniveau in der Eurozone stagniert, ist diese Art der Schuldenentwertung für Griechenland bis auf Weiteres blockiert.

2. Wachstum

Die Schuldenquote eines Landes ist eine Verhältniszahl: Schulden dividiert durch die Wirtschaftsleistung (BIP). Steigt also das BIP, so sinkt die Schuldenquote.

Der Rettungsplan der Eurozone von 2010 basierte auf der Annahme, dass Griechenland seine Schuldenquote bis im Jahr 2020 auf 120 Prozent herunterbringt.

Um dieses Vorhaben als glaubwürdig erscheinen zu lassen, gingen die Gläubigerländer von einem äusserst optimistischen Wachstumsszenario für Griechenland aus (siehe Grafik). Demnach hätte das Land bereits per Ende letzten Jahres den gesamten Einbruch des BIP wieder aufgeholt. Tatsächlich aber liegt die Wirtschaftsleistung 20 Prozent tiefer als im Jahr 2009.

Der Rettungsplan für Griechenland ist gescheitert
Der Rettungsplan für Griechenland ist gescheitert
Entwicklung des realen Bruttoinlandprodukts in Griechenland: Die Prognose der Gläubigerländer (blaue Kurve) war viel zu positiv.

Am Krisengipfel des Internationalen Währungsfonds (IWF) vom Mai 2010 konnte auch die Schweiz ihre Meinung zum geschnürten Rettungspaket äussern. Aus den veröffentlichten Sitzungsprotokollen geht hervor, dass der Delegationsleiter René Weber die Wachstumsprognosen für Griechenland bereits damals anzweifelte. Die Schweizer Vertretung beim IWF verlangte stattdessen die Ausarbeitung von alternativen Szenarien. Ohne Erfolg. Denn mit ihren optimistischen Annahmen konnten die Eurozone und der IWF die Illusion aufrechterhalten, es bestehe ein schmerzfreier Ausweg aus der Krise.

Fünf Jahre später dagegen wird niemand mehr bestreiten, dass die Optionen 1 und 2 gescheitert sind. Somit verbleiben noch die unerfreulichen Möglichkeiten 3 und 4.

3. Mit eigenen Ersparnissen abzahlen

Die Euroländer können darauf bestehen, dass der griechische Staat die Schulden zurückzahlt. Um die Mitgliedsländer zu Haushaltsdisziplin anzuleiten, wurde in den EU-Verträgen sogar eine «No Bail Out»-Klausel verankert, welche das Herauskaufen strauchelnder Länder explizit verbietet. Gleichzeitig wurde im Vertrag von Maastricht festgehalten, wann das Kriterium der Haushaltsstabilität erreicht ist: bei einer Defizitquote von unter 3 Prozent sowie einer Schuldenquote von unter 60 Prozent. Diese Vorgaben wurden indes von Anfang an regelmässig verletzt. Ein aktuelles Beispiel: Wenn Frankreich, mit einer nicht einmal halb so hohen Arbeitslosigkeit wie Griechenland, auf ein Haushaltsdefizit von derzeit 4 Prozent kommt: Wie soll dann das krisengeschüttelte Griechenland einen Überschuss erzielen, um seine Kredite abzustottern? Die Maastricht-Vorgaben sind, ebenso wie die «No Bail Out»-Klausel, längst zur Makulatur verkommen. Es verbleibt also noch Option 4.

4. Der Schuldenschnitt

Angela Merkel erklärte im Mai 2010 im Bundestag anlässlich der Abstimmung zum ersten Rettungspaket für Griechenland: «Der vorgeschlagene Lösungsweg bietet die bestmögliche Gewähr dafür, dass der deutsche Steuerzahler (…) von einer Inanspruchnahme verschont bleibt.» Fünf Jahre später fragen sich die Steuerzahler in den Euroländern immer dringlicher, ob das Versprechen noch Gültigkeit besitzt.

Letztlich führt kein Weg an einem Schuldenschnitt für Griechenland vorbei.

Diese Überzeugung beginnt sich mittlerweile auch beim IWF durchzusetzen. Vor einem Monat nahm IWF-Chefökonom Olivier Blanchard erstmals das unschöne Wort «Haircut» in den Mund. Doch die Euroländer wollen einen Schuldenerlass weiterhin um jeden Preis verhindern. Für sie wäre es nicht nur ein Eingeständnis, dass die bisherige Politik gescheitert ist. Vor allem würden dadurch neue Begehrlichkeiten geweckt: Weshalb zum Beispiel sollte Portugal mit einer Schuldenquote von 130 Prozent nicht ebenfalls einen Schuldenschnitt bekommen? Oder auch Irland oder Spanien?

Die Schulden der Griechen dienten der Eurozone bislang als Druckmittel. Der Deal lautete: Ihr reformiert das Land und wir erstrecken euch dafür eure Schulden. Alte Kredite wurden in neue umgetauscht, Fristen wurden verlängert, Zinssätze künstlich reduziert. Wenn aber die Griechen ihre Kredite ohnehin nicht mehr zurückzahlen können, dann entfällt dieses Druckmittel der Eurozone.

Es ist daher bezeichnend, dass in den Gläubigerländern selber der Anteil derjenigen wächst, welche sich einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone wünschen. Obwohl ein solcher Schritt in den EU-Verträgen gar nicht vorgesehen ist (vgl. dazu Der Euro und das Rührei).

Dass Griechenland eine tiefgreifende Umstrukturierung benötigt, ist unbestritten. Der ineffiziente Staatsapparat, das überdimensionierte Rentensystem und die wenig konkurrenzfähige Privatwirtschaft: sie alle müssten erneuert werden. Nun setzt die Eurozone – mangels Alternativen – ausgerechnet auf die Regierung von Alexis Tsipras, welche das Land reformieren soll. Ein Ende dieser Krise ist damit nicht absehbar.

Griechenland benötigt einen Neuanfang, befreit von den alten Schuldenlasten und vermutlich auch mit einer eigenen Währung. Selbst dann wird das Land Jahre benötigen, bis es wieder auf die Beine kommt. Aber wenigstens können die Griechen selbständig entscheiden, welcher Weg sie aus der Krise hinausführen soll.

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3 Kommentare über “Stunde der Wahrheit für die Eurozone”

  1. Am Schluss bleibt ein «Scherbenhaufen» wie bei einer griechischen Hochzeit. Die Schuldfrage? Alle anwesende Player im Euro, denn wissentlich jeder am Fest hat sich nicht an die Regeln der EU gehalten.

  2. Aktienkurse zunächst wieder beruhigt und das griechische Volk über den Tisch gezogen. Wirklich keine fünfte Option? Künftige Generationen werden einmal die tonangebenden Juristen unserer Zeit (und im Schlepptau die Mehrzahl der höchsten Politiker und Finanzwissenschaftler) als Verbrecher verurteilen. Ein Jahr nach Gründung des deutschen Kaiserreiches erkannte der «grösste deutsche Jurist» Rudolf von Jhering bereits die dringende Not-wendigkeit mit aus der Zeit fallenden Vor- und Unrechten aufzuräumen: «Das Recht hat leider versucht, der Gewalt und dem Unrecht mit Mitteln zu begegnen, die in einer vernünftigen Welt dereinst als ebenso befremdlich wie schändlich gelten werden« (Kampf um das Recht – in 2 Jahren 12 Auflagen, in 26 Sprachen übersetzt).

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