Die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS und die wachsende Zahl an Digitalbanken bewegen den Bankensektor und beschäftigen die Schweizer Bevölkerung. Finanzprofessor Andreas Dietrich ordnet die Ereignisse ein und blickt dabei auch auf geopolitische Herausforderungen, die Inflation und die wachsenden Konjunkturrisiken.
Prof. Dietrich, nach der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS zählt die Schweiz nur noch eine Grossbank, aber daneben noch 238 andere Banken. Wie stark fällt das Verschwinden der Credit Suisse auf dem Schweizer Markt ins Gewicht?
Es kommt etwas darauf an, auf welches Segment im Bankensektor Sie schauen. Grundsätzlich wird das Verschwinden der Credit Suisse zu Verschiebungen von Marktanteilen und auch zu «Kundenbewegungen» führen. Im Retail Banking gehe ich davon aus, dass die neue Grossbank Marktanteile verlieren wird und vor allem die Kantonalbanken davon profitieren werden. Abhängig vom Kanton sind diese Verschiebungen aber sehr unterschiedlich, weil die Credit Suisse eine sehr unterschiedliche Bedeutung hatte in den einzelnen Teilmärkten. Im Bereich des Firmenkundengeschäfts gibt es vor allem für grössere Firmen eine neue Situation. Diese werden sich teilweise wohl auch neue Bankpartner suchen. Und auch im Asset Management wird der Kuchen neu verteilt. Aus einer internationalen Bankenplatz-Perspektive ist der Wegfall zudem ein herber Schlag.
Wie beurteilen Sie das Ende der Credit Suisse heute? Welche Gründe führten dazu? Fehlende Eigenmittel, Vertrauensverlust oder führte das eine zum anderen?
Die Forschung wird noch eine Weile damit beschäftigt sein, diese Geschehnisse zu untersuchen. Ich bin der Überzeugung, dass wir aus diesem Fall erneut wichtige Erkenntnisse gewinnen werden. Aktuell gehe ich davon aus, dass nicht eine einzige Ursache, sondern vielmehr eine Ansammlung mehrerer Skandale und Fehlverhalten seitens der CS dazu geführt hat, dass sich die Situation so entwickelt hat. Zu einem gewissen Zeitpunkt ist das Ganze dann plötzlich ausser Kontrolle geraten – und zwar in einer Geschwindigkeit, die vom Regulator nicht vorhergesehen war.
Wie lässt sich ein solcher Dominoeffekt verhindern bzw. besteht das Risiko auch bei Retailbanken? Braucht es vielleicht neue Risikokonzepte für den Bankensektor?
Die Geschichte der Bankenregulierung und der Risikokonzepte ist eng mit Bankenkrisen verknüpft. In der Regel sind es Krisen, die zu neuen Konzepten und Regulierungen führen. Ein aktuelles Beispiel ist der digitale Bank-Run. Es ist nun an der Zeit, darüber nachzudenken, wie die Liquiditätskonzepte angepasst werden können, um dieser neuen Herausforderung besser gerecht zu werden. Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang ist auch, wie hoch die Eigenkapitalquote sein muss, um eine Vertrauenskrise zu überstehen. Allerdings sollten wir uns bewusst sein, dass Regulierung oft rückwärtsgerichtet ist. Die Lehren von heute sind nicht zwangsläufig die Lösungen für die Probleme von morgen.
Was für Konsequenzen haben neue Risikokonzepte auf die Geschäftsmodelle im Bankensektor?
Es ist momentan schwer vorherzusagen, da es noch unklar ist, ob und gegebenenfalls welche konkreten Massnahmen infolge des CS-Falls überhaupt umgesetzt werden.
Welche Rolle spielen dabei die Staatsgarantie und die Einlagesicherung? Sorgen sie für mehr Sicherheit und Stabilität oder setzen Sie im Gegenteil falsche Risikoanreize?
Insgesamt sind Staatsgarantien und Einlagesicherungen wichtige Instrumente zur Gewährleistung der Stabilität und des Vertrauens im Bankensystem. Allerdings müssen sie in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, um die Risiken von Moral Hazard und Wettbewerbsverzerrung zu minimieren. Regulierungsbehörden müssen sicherstellen, dass Banken angemessene Risikomanagementpraktiken implementieren und dass die Kosten und Vorteile dieser Sicherheitsmassnahmen in Einklang stehen.
Was bedeutet der Fokus auf Sicherheit und Stabilität für die einzelnen Kundensegmente?
Es ist für alle Kundinnen und Kunden aus allen Segmenten wichtig, dass die Bank als stabil und sicher gilt. So hat zum Beispiel der Kreditnehmer oftmals auch seine Spargelder bei der Bank.
Stichwort Geopolitik, Inflation und Konjunktur. Wie gut gehen unsere Retailbanken mit diesen Rahmenbedingungen um?
Im Allgemeinen zeigen die Schweizer Banken eine hohe Widerstandsfähigkeit dank ihrer im Schnitt guten Eigenkapitalausstattung und der problemlosen Einhaltung der Liquiditätsvorschriften. Für Schweizer Retailbanken stellen diese Bedingungen also bisher keine drastischen Veränderungen dar, und die Auswirkungen sind eher indirekt über die Zinssätze oder die Geschehnisse an den Finanzmärkten zu spüren. Im Gegensatz dazu sind diese Entwicklungen für international tätige Banken von wesentlich grösserer Bedeutung.
Apropos Wettbewerb – dieser ist auch ein Treiber für Innovation. Welche Trends gibt es und laufen Neo-Banken den etablierten, traditionellen Finanzinstituten bezüglich Digitalisierung den Rang ab?
Es gibt mehrere grosse Themen im Bereich Innovation im Bankensektor. Wichtig sind aus meiner Sicht zum Beispiel die Themen «Data Driven Banking», «Open Banking», «Distributed Ledger Technologie», oder «Sustainability im Banking». Grundsätzlich wird das personalisierte Ausspielen der «richtigen» Inhalte und Produkte über die richtigen Touchpoints zur richtigen Zeit an die «richtigen» Kundinnen und Kunden immer zentraler. Das zeigt auch unsere Studie zum Digitalisierungsgrad der in der Schweiz tätigen Retailbanken im Privatkundengeschäft. Banken müssen alles daran setzen, dass sie die Kundenschnittstelle weiterhin besetzen. Neo-Banken haben dazu geführt, dass der Druck auf die Banken gestiegen ist und sich diese in verschiedenen Bereichen auch bewegen müssen (Preisgestaltung, Einfachheit der Smartphone Apps, gewisse Bank-Dienstleistungen usw.). In Bezug auf die Breite des Angebots und auch die Möglichkeit der Beratung sind aber die herkömmlichen Banken noch immer deutlich im Vorteil.
Lassen Sie uns in die Zukunft blicken: Wo wird der Finanzplatz Schweiz in fünf Jahren stehen?
Er wird hoffentlich stabil sein und vor allem das Inlandgeschäft wird weiterhin in einer hohen Qualität betrieben. Auch das Wealth Management wird ein zentraler Anker des Bankensektors bleiben. Ich gehe aber davon aus, dass der Finanzplatz in einer internationalen Perspektive an Bedeutung verlieren wird. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir im Bereich der Nachhaltigkeit und der digitalen Innovation deutliche Fortschritte gegenüber heute machen werden.
Andreas Dietrich
Andreas Dietrich ist Professor an der Hochschule Luzern und leitet das Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ).