Öl- und Gaskonzerne erleben zurzeit eine eindrückliche Wiederauferstehung. Das ist einigermassen überraschend, dürfte aber wenig am langfristigen Ausblick ändern.
Wer hätte das gedacht: Apple wurde diese Woche vom Thron als wertvollstes Unternehmen der Welt gestossen (siehe Grafik). Und zwar nicht von einem x-beliebigen Konzern, sondern von Saudi Aramco, dem grössten Ölkonzern der Welt. Die neue Nummer eins ist damit ausgerechnet ein Unternehmen der «Old Economy», auf die der Abgesang bereits vor vielen Jahren angestimmt wurde.
Der Platztausch zwischen den beiden Branchen-Schwergewichten ist indessen weniger zufällig als vielmehr symptomatisch für das aktuelle Marktumfeld. So haben die Tech-Titel im MSCI-World-Index seit dem Jahreswechsel rund 4200 Mrd. Dollar an Marktkapitalisierung eingebüsst. In die andere Richtung ging es bei den Öl- und Gaskonzernen. Der entsprechende Subindex hat 2022 bislang um 577 Mrd. Dollar an Börsenwert zugelegt. Eine komplette Neuordnung ist das nicht. Im Vergleich zu den Ölmultis und Gasunternehmen weisen Apple und Co. noch immer ein 4,3-mal höhere Marktkapitalisierung aus. Wenn man aber bedenkt, dass dieses Verhältnis noch vor eineinhalb Jahren bei über 9,3 lag, ist diese Entwicklung dennoch mehr als bemerkenswert.
Die Gründe für diese Kräfteverschiebung liegen einerseits im geldpolitischen Regimewechsel. Seit die Inflationsbekämpfung in weiten Teilen der industrialisierten Welt zum vordringlichen Problem geworden ist, stehen die Zeichen – insbesondere in den USA – auf energischem Anziehen der Zinsschraube. Das setzt den Tech-Konzernen zu, deren Aktien in der Regel als Wachstumstitel gelten. Steigende Zinsen sind für sie insofern besonders belastend, weil sich dadurch die Finanzierungskosten erhöhen. Dies wiederum reduziert die zukünftigen Gewinnerwartungen.
Andererseits verleihen die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs den Energietiteln Rückenwind. Tatsächliche und befürchtete Versorgungsengpässe treiben die Öl- und Gasnotierungen in die Höhe. Nach Jahren der Fokussierung auf umweltfreundliche Energiequellen ist Öl damit sozusagen über Nacht wieder als unverzichtbares Schmiermittel der Weltwirtschaft ins Bewusstsein gerückt. Das Resultat: Die Verkaufseinnahmen sprudeln wie schon lange nicht mehr.
Kein grundsätzlicher Paradigmen-Wechsel
Trotz des aktuellen Höhenflugs dürften Öl- und Gastitel längerfristig aber nicht in einer erhöhten Anlegergunst stehen. Einen Paradigmen-Wechsel – weg von umweltschonenden und hin zu umweltbelastenden Investments – erwarten wir nicht. Denn die unterliegenden strukturellen Verschiebungen werden mit der Zinsnormalisierung und dem Ukraine-Krieg lediglich gebremst – oder allenfalls pausiert –, aber nicht endgültig gestoppt.
Das Ziel der Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bleibt weiterhin ganz oben auf der politischen Agenda und dürfte angesichts der fortschreitenden Klimaerwärmung an Dringlichkeit gewinnen. Die Ablösung des Verbrennungsmotors durch den elektrischen Antrieb, die weitere Verbreitung von alternativen Heiz- und Energieerzeugungsformen sowie die grundsätzliche Energiesensibilisierung erhöhen allein schon nachfrageseitig den Gegenwind für die Öl- und Gaskonzerne. Hinzu kommen die regulatorischen Vorgaben und gesellschaftlichen Erwartungen an die Finanzbranche: Engagements in umweltschädliche Energieformen sind bereits heute rechtlich oder zumindest reputationsmässig eingeschränkt. Diese Restriktionen werden sich in den nächsten Jahren verschärfen.
Das Umfeld für «Big Oil» wird somit tendenziell schwieriger. Dies bedeutet aber nicht, dass das Comeback von Öl und Gas bereits morgen wieder vorbei sein wird. Auch nicht übermorgen. Totgesagte leben eben doch länger.
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