Vorhersagen haben einen grossen Makel: Ihre Treffsicherheit lässt häufig zu wünschen übrig. Seit dem Frühjahr 2017 verfasst die Migros Bank quartalsweise Prognosen zur Wirtschaft und zu den Finanzmärkten. Wie zutreffend waren unsere Szenarien bislang? – Eine Bilanz nach einem knappen Jahr.
Ökonomen stehen oft in der Kritik, weil ihre Prognosen vielfach das Ziel verfehlen. Manchmal fallen die Schätzwerte zu optimistisch aus, manchmal zu pessimistisch, und nicht selten stellt sich sogar das Gegenteil dessen ein, was vorausgesagt wurde. Der Stanford-Ökonom Ezra Solomon konstatierte einst etwas provokativ: «Der einzige Sinn ökonomischer Prognosen ist es, die Astrologie respektabler aussehen zu lassen.» Zu dieser Schlussfolgerung kann man zumindest gelangen, wenn man die Wirtschafts- und Finanzmarktausblicke der Banken, internationalen Institutionen, Amtsstellen und Statistikbehörden nachträglich jeweils mit dem tatsächlich Geschehenen vergleicht. So lagen beispielsweise die Schätzungen für das BIP-Wachstum bei den meisten dieser Institutionen in den letzten Jahren systematisch zu hoch.
Der Markt kann länger irrational bleiben als Sie liquide.
Besonders knifflig gestalten sich Vorhersagen für Aktien- und Devisenmärkte. Finanzmärkte können über längere Phasen eine Eigendynamik entwickeln, bei welcher psychologische Faktoren eine weitaus grössere Rolle spielen als ökonomische Zusammenhänge. Dies mündet bei den Kursen häufig in Übertreibungen in Form von Panikreaktionen oder Euphorie. Dies musste auch der berühmte Ökonom John Maynard Keynes am eigenen Leib erfahren, nachdem er in den früheren Zwanzigerjahren mit Geld, das er von Verwandten und Bekannten geliehen hatte, bei kurzfristigen Währungsspekulationen massive Verluste erlitten hatte. Devisenkurse können sich jedoch nur temporär von ihren fundamentalen Bestimmungsfaktoren lösen. In der langen Frist – und diese kann sich manchmal über mehrere Jahre erstrecken – bleiben Wechselkurse jedoch durch volkswirtschaftliche Faktoren wie die Inflation, die Geldpolitik und die staatliche Finanzdisziplin bestimmt.
Im Anlageprozess liegt die Hauptaufgabe der Ökonomen beim Verstehen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dem Vermeiden unnötiger Risiken.
Weshalb wird bei Investitionsentscheiden trotzdem nicht auf ökonomische Einschätzungen verzichtet? Im Rahmen eines strukturierten Anlageprozesses beginnt die Festlegung der Anlagetaktik mit einer Analyse der globalen Rahmenbedingungen. In einem ersten Schritt geht es darum, ein widerspruchsfreies volkswirtschaftliches Szenario zu erlangen und die Zusammenhänge zu verstehen, die sich hinter der Fülle an täglich publizierten volkswirtschaftlichen Daten verbergen. Daraus werden anschliessend die Szenarien für die verschiedenen Anlageklassen (Aktien, Obligationen, Währungen und Alternative Anlagen) abgeleitet, indem Prognosen erstellt und Risiken identifiziert werden. Bei der Bestimmung der Anlagetaktik ist das Vermeiden unnötiger Risiken genauso wichtig wie die Prognosen selbst.
Bei den Devisen- und Aktienmärkten haben wir die Bewegungen unterschätzt.
Wie treffend waren unsere eigenen Prognosen? In der nachfolgenden Tabelle haben wir die wichtigsten Elemente unseres Quartalsausblicks vom März 2017 den tatsächlich eingetretenen Entwicklungen gegenübergestellt. Generell lässt sich festhalten, dass wir die globalen Rahmenbedingungen – den Aufschwung der Weltwirtschaft, den graduellen Rückzug der Notenbanken von ihren Wertpapierkäufen und das Anhalten der Aktienhausse – richtig antizipiert haben. Während wir mit den Prognosen für die Kapitalmärkte gut lagen, haben wir die Bewegungen der Devisen- und Aktienmärkte stark unterschätzt. So entwickelten sich die Aktienmärkte deutlich besser als prognostiziert, und das Erstarken des Euro zu Lasten des Dollars war viel kräftiger als erwartet.
Auf Stufe der Anlageklassen haben wir vor Jahresfrist dennoch die zutreffenden Trends aus dem Makroszenario abgeleitet. Mit anderen Worten: Die Aktien, Obligationen und Währungen entwickelten sich in die erwarteten Richtungen. Die ansprechende absolute und relative Performance unserer Anlagetaktik bestätigt dies. Die Migros Bank hatte ihre Allokation bis Ende 2017 stark zyklisch ausgerichtet und dabei klare Akzente gesetzt. So hat sie nur sehr wenig Franken-Obligationen gehalten und u.a. vermehrt auf Schwellenländer-Anleihen gesetzt, Aktien phasenweise stark übergewichtet und währungsseitig eine hohe Euro-Quote gehalten. Das Festhalten an einer hohen Euro-Quote und an einem ausgeprägten taktischen Übergewicht in Aktien erforderte im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in Frankreich einiges an Courage, zahlte sich langfristig jedoch aus. Unser Anlageausschuss war überzeugt, dass die politischen Risiken nach dem Urnengang in den Hintergrund treten und die Finanzmärkte dem Aufschwung der Eurozone wieder stärker Rechnung tragen werden.
Eine allgemeine Aussage zu unserer Treffsicherheit lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Die grossen Bewegungen an den Finanzmärkten werden bekanntlich durch unvorhergesehene Ereignisse hervorgerufen, die folglich auch nicht in den Prognosen der Finanzspezialisten enthalten sind. Nur eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Die Unsicherheit wird sich an den Finanzmärkten künftig wieder vermehrt bemerkbar machen und stärkere Kursausschläge hervorrufen. Aus diesem Grund haben wir unsere Anlagetaktik Ende 2017 sicherheitshalber etwas defensiver ausgerichtet.
Tabelle: Vergleich unserer Prognosen vom 23.3.2017 mit den aktuellen Werten
Zinsen | |||
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Stand 23.3.2017 | Prognose vom 23.3.2017 Horizont: 12 Monate | Stand aktuell (07.02.2018) |
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CHF-Libor 3 Monate | -0,75% | -0,75% | -0,75% |
Staatsanleihe Schweiz, 10 Jahre | -0,01% | 0,25% | 0,14% |
Staatsanleihe Deutschland, 10 Jahre | 0,43% | 0,70% | 0,74% |
Staatsanleihe USA, 10 Jahre | 2,42% | 3,05% | 2,83% |
Begründung der Prognose: - Die CHF-Zinskurve wird etwas steiler. - In den USA wird die Notenbank den Leitzins weiter anheben. In der Eurozone und in der Schweiz ist ein solcher Schritt aber noch längere Zeit nicht zu erwarten. - Comeback der Fiskalpolitik in den USA. Parallelverschiebung der USD-Zinskurve nach oben. |
Währungen | |||
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Stand 23.3.2017 | Prognose vom 23.3.2017 Horizont: 12 Monate | Stand aktuell (07.02.2018) |
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EUR/USD | 1.08 | 1.10 | 1.22 |
EUR/CHF | 1.07 | 1.09 | 1.16 |
USD/CHF | 0.99 | 0.99 | 0.94 |
Begründung der Prognose: - Der EUR neigt nur bis zu den Wahlen in Frankreich zur Schwäche. Nach den Wahlen wird er Boden gutmachen, weil realwirtschaftliche Faktoren wieder in den Fokus rücken. - Die SNB wird in der Folge nicht mehr am Devisenmarkt intervenieren müssen. |
Aktienmärkte (Gesamtertrag) | |||
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Stand 23.3.2017 | Prognose vom 23.3.2017 Horizont: 12 Monate | Stand aktuell (07.02.2018) |
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Schweiz (SPI) | 9’574 | +5,1% | +8.1% |
USA (S&P 500) | 2’346 | +4,0% | +16.2% |
Eurozone (Euro Stoxx 50) | 3’452 | +4,0% | +3.1% |
Begründung der Prognose - Wir erwarten eine spürbare Verbesserung der globalen Wachstumsdynamik, angeführt von den USA. - Beschleunigtes Gewinnwachstum der Unternehmen. |