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Warum der Fluch im Grunde ein Segen ist

Der wichtigste Treiber für die aktuelle Verkaufswelle an der Börse ist das Erdöl. Die Märkte beurteilen den Einbruch der Ölpreise ausschliesslich negativ. Doch letztlich werden die Industrieländer vom günstigen Öl profitieren.

Ein günstiger Ölpreis beflügelt die Wirtschaft. Diese Aussage hätte früher wohl kaum jemand bestritten. Jetzt haben wir sogar sehr tiefe Ölpreise – doch die Börse reagiert nicht mit einem Freudensprung, sondern mit massiven Verlusten. Kein anderer Einflussfaktor dominiert die Aktienmärkte derzeit so stark wie die Preisentwicklung beim Erdöl (siehe Grafik). Die Korrelation zwischen dem Preis der Ölsorte Brent und dem US-Aktienindex S&P 500 hat inzwischen das höchste Niveau seit dem Jahr 1990 erreicht. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass sich die Finanzmärkte in einer Stressphase befinden. Zudem ruft eine solch enge Wechselwirkung Trader auf den Plan, welche ihre Aktienkäufe oder -verkäufe an die Preisentwicklung beim Erdöl koppeln, was die Abhängigkeit nochmals vergrössert.

Die Börse folgt dem Ölpreis
Die Börse folgt dem Ölpreis
Die Korrelation zwischen dem Ölpreis und dem Aktienindex S&P 500 liegt auf dem höchsten Stand seit 1990.

Doch weshalb führt das günstige Erdöl zu einer solchen Verunsicherung an den Finanzmärkten? Zunächst einmal signalisiert ein sinkender Ölpreis, dass auch die Nachfrage und damit das Wachstumstempo, namentlich in China, zurückgeht. Zurzeit allerdings dient das Erdöl kaum als zuverlässiger Konjunkturindikator, weil der Preiseinbruch primär durch die starke Ausweitung des Angebots, vor allem in den USA und dem Iran, verursacht wurde.

Die aktuelle Bedrohung kommt deshalb von Seiten der Ölförderer: Mit dem Preissturz sind die Einnahmen der OPEC-Länder drastisch geschrumpft.

Der Staatshaushalt von Saudi-Arabien zum Beispiel kippt bereits bei einem Ölpreis von unter 90 Dollar pro Barrel ins Minus. Diese Länder sind folglich gezwungen, ihre Reserven anzuzapfen. Und weil deren Staatsfonds in den Boomjahren etliche illiquide Assets wie Luxushotels oder Infrastrukturanlagen erwarben, werfen sie nun hauptsächlich ihre Aktienbestände auf den Markt, welche sich schneller abstossen lassen.

Aber auch die Ölfirmen in den Industrieländern bezahlen jetzt die Zeche dafür, dass sie – angeheizt durch die tiefen Zinsen – riesige Überkapazitäten aufgebaut haben. Zu den Pleitekandidaten gehört etwa Chesapeake, der zweitgrösste Erdgasproduzent in den USA. Die zunehmende Gefahr von Kreditausfällen im Energiesektor war ein wichtiger Grund für den Kursverfall bei den Bank-Aktien.

Die Krise der Ölkonzerne betrifft überdies eine Vielzahl an Zulieferern, welche von den grossen Investitionsvolumen profitiert hatten.

Bereits kursiert das pessimistische Szenario, dass sich die Depression im Energiesektor auf die gesamte Wirtschaft übertragen und zu einer Rezession in den USA oder Europa führen könnte. Doch wie unsere Analyse zeigt, sprechen die Fakten bislang gegen eine solche Entwicklung. Aufschlussreich ist vor allem die Gewinnentwicklung der Unternehmen: Zwar haben die Unternehmen im US-Aktienindex für das vierte Quartal 2015 einen Gewinnrückgang von 4,1 Prozent ausgewiesen. Dieses auf den ersten Blick sehr unerfreuliche Bild trügt allerdings. Rechnet man nämlich die Energiebranche heraus, dann resultiert für das letzte Quartal immerhin ein Gewinnzuwachs von 2,1 Prozent.

Auch die unten stehende Grafik mit der Margenentwicklung verdeutlicht, dass die Turbulenzen im Ölsektor bis anhin kaum auf die Gesamtwirtschaft übergegriffen haben: Der tieferen Margen im S&P 500 (graue Kurve) sind ausschliesslich durch den Gewinneinbruch bei den Energiewerten verursacht. Unter Ausklammerung dieses Faktors zeichnet sich keine Verschlechterung ab (grüne Kurve).

Der Brandherd beschränkt sich auf die Energiebranche
Der Brandherd beschränkt sich auf die Energiebranche
Margenentwicklung der Unternehmen im US-Aktienindex S&P 500: Der Gewinneinbruch betrifft bis jetzt einzig den Energiesektor (blaue Kurve), während die übrigen Firmen ihre Marge halten können (grüne Kurve).

Für die Industrieländer insgesamt bedeuten die tieferen Ölpreise nämlich primär, dass sie Kosten einsparen können. Die Krise setzt somit eine massive Umverteilung in Gang: Während die Förderländer und Ölkonzerne bluten, können die Konsumenten profitieren. Allerdings braucht es etwas mehr Zeit, bis sich diese positiven Effekte entfalten können. In der Eurozone werden die Ausgaben für Ölimporte voraussichtlich um etwa 100 Milliarden Euro zurückgehen.

Am direktesten machen sich diese Einsparungen an der Zapfsäule bemerkbar.

Allein fürs Benzintanken gibt der durchschnittliche amerikanische Haushalt 650 Dollar weniger aus als im Vorjahr. Zusammen mit der sinkenden Arbeitslosigkeit und einem moderaten Lohnzuwachs hat dies in den USA zu einem Anstieg des realen verfügbaren Einkommens von 2,7 Prozent geführt.

Zwar ist es durchaus möglich, dass der Öl-Crash nochmals eine Ausverkaufswelle an den Börsen auslöst. Doch letztlich wird die deutlich verbesserte Situation der Privathaushalte die Konjunktur stützen. Für risikofähige Anleger schaffen die Kurstaucher also günstige Kaufgelegenheiten: Wenn die Scheichs in der Not erstklassige Aktien zu Dumpingpreisen verscherbeln, ergeben sich für den langfristigen Investor interessante Gewinnchancen.

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4 Kommentare über “Warum der Fluch im Grunde ein Segen ist”

  1. Toll, hat die Migros Bank wirklich noch nie von den tausenden (hauptsächlich männlichen) Personen mit einer Farbensehschwäche gehört? Diese haben mit solchen Grafiken mit farbigen und zudem eher dünnen Linien grosse Mühe und können sie teilweise gar nicht unterscheiden!
    (https://de.onpage.org/wiki/Farbenblindheitstest)
    Danke für die künftige Berücksichtigung des Problems.

    1. Guten Morgen
      Verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten. Wir nehmen diese Anregung bei der künftigen Gestaltung von Grafiken gerne auf!
      Freundliche Grüsse, Urs Aeberli

  2. Werter Herr Steck,
    was raten Sie denn einem kleinen Mann mit 50’000 CHF Ersparnissen. Zinsen gibt es keine mehr. Welche Aktien kann man denn kaufen in dieser von Ihnen als günstig bezeichneten Zeit, um etwas mehr Gewinn zu machen.
    Mfg RF

    1. Sehr geehrter Herr Fried
      Für diese Anlagesumme empfiehlt sich unter Chancen-Risiken-Abwägungen und Kostenüberlegungen am ehesten ein Strategiefonds. Die Migros Bank bietet verschiedene solche Fonds mit Aktienquoten von 10 bis 50 Prozent, je nach Ihrer Risikofähigkeit und -freude. Mehr Informationen finden Sie z.B. hier. Für weitere Anlagevorschläge können Sie sich auch an einen Berater der Migros Bank wenden.
      Freundliche Grüsse, Urs Aeberli

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