Klimaschutzmassnahmen – wie sollen sie finanziert werden?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzfonds stürzt die deutsche Haushaltsplanung in ein Chaos. Das Verdikt hallt aber über Deutschland hinaus und wirft grundsätzliche Fragen zur Staatsverschuldung auf.

Nein, zu beneiden ist Olaf Scholz nicht. Für den deutschen Bundeskanzler geht es dieser Tage um nicht weniger, als was noch von seinem «Doppel-Wumms» übrigbleibt. Mit diesem ebenso markigen wie medienwirksamen Begriff bezeichnete Scholz Ende 2022 die Ermächtigung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zur Aufnahme von bis zu 200 Milliarden Euro am Kapitalmarkt. Mit diesen Mitteln werden in Deutschland unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse finanziert. Doch dieses Vorgehen ist gefährlich ins Wackeln gekommen und aus dem «Doppel-Wumms» droht ein eigentlicher «Rückwärts-Wumms» zu werden.

Haushaltsplanung muss im gesetzlichen Rahmen erfolgen

Wie konnte es so weit kommen? Das Unheil nahm letzten Freitag, 17. November 2023, in Karlsruhe seinen Lauf. Das Bundesverfassungsgericht – und damit die höchstrichterliche Instanz Deutschlands – urteilte, dass es verfassungswidrig sei, 60 Milliarden Euro an nicht benötigten Corona-Hilfsgeldern in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) zu verschieben. Genau das beschloss der Deutsche Bundestag jedoch im letzten Jahr im Rahmen eines auf 2021 rückwirkenden Nachtragshaushalts. An diesem Vorgehen kritisierte das Verfassungsgericht insbesondere zwei Punkte:

Erstens sei die Umschichtung in den KTF nicht ausreichend begründet. Der Hintergrund dieser Feststellung liegt darin, dass die 60 Milliarden nur zur Verfügung standen, weil die Schuldenbremse während der Corona-Pandemie ausgesetzt wurde. Eine solche Aussetzung ist aber nur in Notlagen gestattet, und die für deren Bewältigung eingesetzten Mitteln müssen in einem unmittelbaren Zusammenhang dazu stehen. Einen solchen sieht das Bundesverfassungsgericht zwischen den Auswirkungen der Corona-Pandemie (Notlage) und dem Klimaschutzfonds (Zweck) nicht gegeben.

Zweitens seien allfällige Nachtragsentwürfe noch vor Ablauf des entsprechenden Haushaltjahrs zu verabschieden und könnten somit nicht rückwirkend für die vorherige Rechnungsperiode beschlossen werden. Insbesondere dieser Kritikpunkt des Karlsruher «Doppel-Wumms» bringt nun den Wirtschaftsstabilisierungsfonds in Bedrängnis. Denn genau wie beim Klimafonds wird beim WSF ein grosser Teil der Kreditermächtigungen sozusagen auf Vorrat für die Folgejahre zwischengeparkt: Kredite werden bereitgestellt, ohne, dass sie im gleichen Haushaltsjahr abgerufen werden. Wie der Klimaschutzfonds verletzt der WSF damit das «Jährlichkeitsprinzip».

Eine Lawine wurde losgetreten

Damit ist – gelinde gesagt – Feuer im Dach der Ampelkoalition in Deutschland. Es spricht Bände, dass die für nächste Woche angesetzte Schlussberatung des Haushaltsausschusses über den Bundesetat 2024 in letzter Minute und zunächst nur mit einem dürren Satz abgesagt wurde. Das Urteil aus Karlsruhe zum Klimaschutzfonds löste buchstäblich eine Lawine aus, welche die komplette Finanzplanung der Bundesrepublik zuzuschütten droht, und aus der man sich nur mühselig wieder freischaufeln kann.

Handelt es sich bei der aktuellen Situation nur um einen Fauxpax einer Koalitionsregierung, der sowieso seit geraumer Zeit ein harter Gegenwind entgegenschlägt? Also um eine rein innenpolitische Angelegenheit? In dieser Ausprägung sicherlich. Allerdings geht die zugrundeliegende Problematik in ihrer Grundsätzlichkeit weit über Deutschland hinaus. Denn das Bundesverfassungsgericht wies letztlich nicht irgendeine Mittelverwendung in die gesetzlichen Schranken. Sondern es handelt sich um Ausgabeposten für etwas, worüber in Europa ein weitverbreiteter Konsens besteht: den Klimaschutz und die dafür notwendigen Investitionen in die entsprechende Transformation der Wirtschaft.

Klimaschutz: «Gut gemeint» muss nicht «gut gemacht» bedeuten

Karlsruhe machte deutlich, dass eine hehre Absicht (Klimaschutz) keine Entbindung von den gesetzlichen Pflichten nach sich zieht. Haushaltsplanerische Tricksereien sind auch zur Erreichung der Klimaziele nicht zulässig, und die entsprechenden Mittel müssen innerhalb eines rechtlich und ordnungspolitisch korrekten Rahmens bereitgestellt werden. Das heisst im Falle Deutschlands, dass die geplanten Klimaschutzausgaben – wenn sie denn in diesem Umfang tatsächlich getätigt werden – letztlich über zusätzliche Neuverschuldungen finanziert werden müssen. Bloss: die maximale Neuverschuldung ist durch die im Grundgesetz verankerten Bestimmungen zur Schuldengrenze limitiert.

Vor diesem Dilemma stehen zahlreiche Staaten in Europa. Einer im Januar publizierten Studie zufolge entspricht der Finanzbedarf der EU (inkl. Grossbritannien, Schweiz und Norwegen) zur Erreichung des Netto-Null-Ziels bis 2050 über 300 Milliarden Euro – pro Jahr. Gleichzeitig ist jedoch die Finanzlage in vielen Staaten mehr als nur angespannt, und es stellt sich die berechtigte Frage, woher die Gelder genommen werden sollen. Allzu kreativen haushaltsplanerischen Manövern dürften vielerorts – siehe Deutschland – gesetzliche bzw. verfassungsrechtliche Schranken gesetzt sein. Bleibt die Gegenfinanzierung über Neuverschuldungen, womit sich – ebenfalls siehe Deutschland – aber oftmals die Problematik der eigentlich ebenfalls limitierten Verschuldungs- und Defizitgrenze stellt.

Zwar kennen nur wenige Staaten in der EU eine Schuldenbremse, die zudem unterschiedlich freimütig eingehalten wird. Aber zumindest für die Länder der Eurozone gäbe es ja immer noch die Maastricht-Kriterien. Wobei der Konjunktiv bewusst gewählt ist. Denn die Vorgaben – eine Staatsverschuldung von maximal 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts sowie eine jährliches Defizit von höchstens 3 Prozent – sind für etliche Eurostaaten zu einem faktischen Papiertiger verkommen (siehe Grafik).

Heiligt der Zweck die Mittel?

Ja, die Erreichung der Klimaziele kostet Geld. Viel Geld. Diese Mittel zu beschaffen, wird in Zeiten klammer Staatskassen und eines erhöhten Zinsniveaus zu einer grossen Herausforderung. Das Karlsruher Urteil macht indessen eines deutlich: Der Spielraum zur Finanzierung lässt sich in einem Rechtstaat richtigerweise nur sehr begrenzt strapazieren. Und was auf nationalstaatlicher Ebene gilt, sollte eigentlich auch auf supranationaler Ebene Gültigkeit haben. Sprich: Auch wenn bezüglich der Maastricht-Kriterien ein immer grösserer Schlendrian salonfähig geworden ist, gilt es sich sehr genau zu überlegen, ob im Namen der Klimaschutzmassnahmen zusätzliche und stärkere Verletzungen tatsächlich zielführend wären. Denn der Zweck heiligt die Mittel nur bedingt. Im Gegenteil: Zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne einer Generationengerechtigkeit gehört nicht nur das Hinterlassen einer möglichst intakten und lebenswerten Umwelt. Dazu zählt auch, dass die nachfolgenden Generationen keinen Schuldenberg vererbt erhalten, der nicht mehr bewältigbar ist.

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