Der Subventionswettlauf ist im vollen Gange

Mit dem Net Zero Industry Act öffnet die EU staatlichen Beihilfen Tür und Tor. Sie steht mit diesem Vorgehen aber nicht alleine da. Rund um den Globus sind umfangreiche Subventionen längst salonfähig geworden – trotz der Risiken.

«America First». Bestimmt erinnern Sie sich noch an das Motto von Donald Trumps Präsidentschaft. Amerikas Interessen und Wirtschaft sollen wieder alleroberste Priorität bei den Handlungen der US-Regierung geniessen. Ohne Wenn und Aber. Punkt, Amen, basta.

Nun, die Amtszeit des umstrittenen US-Präsidenten ist Geschichte. Sein Slogan aber hat überlebt und erfreut sich grösserer Beliebtheit denn je. Auch wenn die USA im Zuge des Ukraine-Krieges in (sicherheits-)politischen Belangen wieder vermehrt ihre traditionelle Rolle als der entscheidende Akteur auf der Weltbühne einnehmen – in wirtschaftlicher Hinsicht ist das Primat der Administration Trump felsenfest verankert.

Die Bezeichnungen sind zumindest verschleiernd

Besonders deutlich wird dies durch den sogenannten Inflation Reduction Act (IRA), welcher im August letzten Jahres vom US-Kongress verabschiedet und von Joe Biden unterzeichnet wurde. Was hinsichtlich der Bezeichnung eine kaum strittige Intention vermuten lässt – wer möchte schon nicht die hartnäckig überschiessende Inflation bekämpfen –, entpuppt sich aus liberaler Perspektive als weitaus streitbarere Absicht. Denn der IRA ist in erster Linie ein gewaltiges Subventionsprogramm für die amerikanische Wirtschaft. So sollen unter anderem knapp 400 Milliarden Dollar in die Förderung klimaverträglicher Technologien fliessen. Dass es sich dabei vornehmlich um US-Technologie handelt, versteht sich von selbst. America first.

Was Amerika recht ist, ist Europa nur billig. Nachdem die EU-Kommission 2022 bereits den European Chips Act (ECA) auf Kurs brachte, der mit rund 43 Milliarden Euro öffentlicher und privater Gelder die Stellung der europäischen Halbleiterproduktion stärken soll, legte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag den Net Zero Industry Act (NZIA) vor. Und wie der amerikanische Inflation Reduction Act verschleiert auch die Bezeichnung der EU-Vorlage die eigentliche Tragweite. Denn unter dem Deckmantel der ambitionierten Klimaverträglichkeitsziele – bis 2050 möchte die EU komplett emissionsneutral sein – markiert der NZIA eine eigentliche Abkehr von traditionellen wirtschaftspolitischen Prinzipien. Hatte sich die EU seit ihrer Gründung die Einreissung von Marktbarrieren auf die Fahne geschrieben, weicht sie das Bekenntnis zu einer marktliberalen Ordnung nun zusehends auf. Denn auch wenn der genaue finanzielle Umfang des Net Zero Industry Act (sowie des flankierenden Raw Materials Act) noch nicht bekannt ist, so öffnet er einer umfangreichen Lockerung der Beihilferegeln Tür und Tor. Jenen Vorschriften also, die den Möglichkeiten der Mitgliedsländer zur Unterstützung der eigenen Firmen enge Grenzen setzen.

Kommt die Schuldenunion?

Damit nicht genug. Ebenso sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt, Anreize geschaffen und bürokratische Hindernisse abgebaut werden. Und in einem späteren Schritt sollen die staatlichen Beihilfen schliesslich durch einen neuen Souveränitätsfonds abgelöst werden, dessen Finanzierung aber noch nicht geklärt ist. Explizit nicht ausschliessen wollte die Kommissionspräsidentin eine allfällige Äufnung durch die Aufnahme gemeinsamer Schulden auf EU-Ebene. Gut möglich also, dass die namentlich von den nördlichen Mitgliedsländern bekämpfte Schuldenunion sozusagen durch die grüne Hintertür kommt.

Neben den marktwirtschaftlichen und den politischen Schwierigkeiten implizieren staatliche und/oder EU-seitige Subventionen aber auch handfeste technologische Risiken. Die Gefahr ist gross, dass immer weniger die Technologien entwickelt werden, die sich am Markt durchsetzen und zukunftsfähig sind, sondern jene, für die es am meisten Fördergelder gibt. Die Wahrscheinlichkeit von Fehlallokationen steigt.

Subventionen haben Hochkonjunktur

Dennoch sind die Beweggründe hinter dem Net Zero Industry Act nicht gänzlich unverständlich. Zum einen ist es nicht in erster Linie die EU, die im internationalen Subventionswettlauf vorprescht. So haben neben den USA beispielsweise auch Japan, Indien, Südkorea oder das Vereinigte Königreich ähnliche Programme zur staatlichen Beihilfe aufgegleist. Von China ganz zu schweigen.

Zum anderen musste die EU bei der Energieversorgung schmerzlich und auf die harte Tour lernen, zu was eine einseitige Abhängigkeit führen kann. Es ist daher durchaus nachvollziehbar, dass sie eine Wiederholung der Geschichte unter allen Umständen zu vermeiden versucht. Und gerade bei der Photovoltaik oder bei Windkraftanlagen – zwei Schlüsseltechnologien der Energiewende – ist der Abhängigkeitsgrad von China erdrückend.

Das Bekenntnis zur besseren Klimaverträglichkeit, die geopolitischen Spannungen sowie die Nachwehen der pandemiebedingten Lieferengpässe machen die Abkehr von der liberalen Wirtschaftsordnung in vielen Bereichen zusehends salonfähig. Statt in den Marktkräften und im Wettbewerb der Ideen wird die Antwort auf die heutigen und zukünftigen Herausforderungen immer häufiger in staatlicher Planung und Subventionierung gefunden. Nicht nur America First. Sondern auch Europe First, Japan First, UK First.

Ob dieses Vorgehen tatsächlich erfolgsversprechend ist, darf indessen bezweifelt werden. Denn gerade in Europa verbrannte man sich mit umfassenden Subventionsprogrammen auch schon heftig die Finger. So setzte etwa Charles de Gaulle 1966 den «Plan Calcul» in Kraft, um die französische Computerindustrie zu stärken. Acht Jahre und hunderte Millionen Franc später wurde das Programm wieder eingestampft. Gebracht hatte dieses France First nichts. In der Computer-Technologie spielt Frankreich auch heute noch keine Rolle.

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