Der Ölmarkt bleibt stabil

Trotz leichter Erholung: Das Aufwärtspotenzial bei den Ölpreisen bleibt stark limitiert. Das liegt einerseits an der kriselnden OPEC und den traditionellen Ölländern selbst. Andererseits an der weiterhin starken Konkurrenz aus den USA.

Die Ölpreise konnten sich zuletzt vom zwischenzeitlichen Tief von Mitte Dezember 2023 lösen. Ein Fass Rohöl der für Europa massgeblichen Sorte Brent notiert mittlerweile bei über 78 US-Dollar. Der Preis für amerikanisches WTI ist gleichzeitig auf über 73 Dollar geklettert. Damit sind die Notierungen für die wichtigsten Öl-Benchmarks innerhalb eines Monats um sieben Prozent angestiegen.

Trotz der aktuellen Rally bleiben jedoch die Aussichten für die Ölpreise insgesamt verhalten. Ein Niveau von über 100 Dollar pro Fass, wie es noch vor eineinhalb Jahren zu beobachten war, scheint nicht im Bereich des Möglichen zu liegen. Dies aus mehreren Gründen.

Keine Impulse von der Nachfrageseite

So bleiben die weltwirtschaftlichen Wachstumsperspektiven vorerst eingetrübt. Die amerikanische Konjunktur hält sich zwar bemerkenswert robust, und eine Rezession halten wir weiterhin für nicht angezeigt. Dennoch dürfte die weltgrösste Volkswirtschaft die zuletzt hohe Wachstumsdynamik nicht im gleichen Umfang aufrecht halten können, und eine Verlangsamung scheint wahrscheinlich.

Stark gedämpft bleiben auch die Konjunkturaussichten für China. Die zweitgrösste Volkswirtschaft kämpft weiterhin mit grossen binnenwirtschaftlichen Problemen – Stichwort Immobilienkrise – und einer schleppenden internationalen Nachfrage. Eine Wachstumsbeschleunigung zeichnet sich bei dieser Ausgangslage nicht ab, auch wenn das Reich der Mitte im laufenden Jahr erneut rund fünf Prozent offizielles Wirtschaftswachstum ausweisen dürfte. Wie immer sind aber solche Zahlen aus Peking mit einer ordentlichen Portion Vorsicht zu geniessen.

Wirtschaftlich verhalten bleibt die Lage schliesslich auch in Europa. Zwar ist die Eurozone im Begriff, die konjunkturelle Talsohle zu durchschreiten. Dennoch wird das Wachstum des Bruttoinlandprodukts im laufenden Jahr ein weiteres Mal unterdurchschnittlich ausfallen.

Nachfrageseitig ist für die Ölpreise somit wenig Rückenwind zu erwarten. Gleichzeitig ist angebotsseitig von keiner drastischen Produktionskürzung auszugehen. Das liegt nicht zuletzt am Zustand der OPEC. Denn das einst so mächtige Öl-Kartell, dass mit seinen Entscheiden früher buchstäblich die Weltwirtschaft in Atem halten konnte, hat dramatisch an Bedeutung eingebüsst.

OPEC mit vielen Problemen

Dies ist einerseits auf die interne Struktur und die inneren Streitigkeiten zurückzuführen, welche immer offener zutage treten. Abweichende Auffassungen darüber, ob es eher Marktanteile zu verteidigen oder doch lieber die Preise zu stützen gilt, geografisch unterschiedlich gelagerte Interessen oder grundlegende politisch-religiöse Feindschaften lähmen das Kartell und lassen allfällige Beschlüsse häufig wirkungslos verpuffen. Zumal die Organisation weiterhin keine Sanktionsmechanismen gegen fehlbare Mitglieder kennt. Wird etwa eine Produktionskürzung beschlossen, hat jedes Kartellmitglied nichts zu befürchten, wenn es mehr als die vereinbarte Quote fördert.

Zu diesen hausgemachten Problemen gesellen sich seit Aufkommen des Schieferölbooms in Nordamerika äussere Herausforderungen. Förderten die USA noch zur Jahrtausendwende rund 5,8 Millionen Fass Rohöl pro Tag, so hat sich dieser Ausstoss mit Aufkommen unkonventioneller Bohrtechniken (Fracking) auf über 13 Millionen Fass pro Tag mehr als verdoppelt. Das entspricht rund 16 Prozent der weltweiten Produktion. Ende des Jahrs 2000 lag dieser Anteil noch bei 8 Prozent. Handkehrum ging das Gewicht der OPEC-Produktion im gleichen Zeitraum sogar leicht von 37 auf 34 Prozent zurück.

Dass sich an dieser Erosion der Preissetzungsmacht der OPEC etwas ändert, zeichnet sich nicht ab. Denn die amerikanischen Fracker erweisen sich als hartnäckiger und überlebensfähiger, als vielfach vermutet worden ist. Weder Preisrückgänge noch ein beträchtlich gestiegenes Zinsniveau vermochten die Produzenten bislang aus dem Markt zu verdrängen.

Effiziente und flexible Fracker

Im Gegenteil: Zwar ist die Anzahl aktiver Fracking-Bohrstellen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen (siehe Grafik). Befanden sich vor zehn Jahren, auf dem Höhepunkt des Fracking-Booms, mehr als 1500 Bohrungen (Rigs) im operativen Betrieb, sind es heute noch 550. Gleichzeitig hat sich im gleichen Zeitraum aber das Produktionsvolumen aus dem Fracking von 3,1 auf 4 Millionen Fass pro Tag erhöht.

Diese Effizienzsteigerung ist einerseits der technologischen Entwicklung bei der insgesamt noch jungen Fördertechnik zu verdanken. Andererseits erlaubt Fracking im Gegensatz zur traditionellen Ölförderung eine ungleich höhere operative Flexibilität. Bohrungen können mit wenig Manpower vergleichsweise einfach gesetzt werden. Sind sie gesetzt, müssen sie aber nicht zwangsläufig gleich in den Betrieb gehen (sogenannte DUCs: Drilled but Uncompleted). Stattdessen ist ein Abwarten auf ein besseres Preisumfeld problemlos möglich. Und schliesslich können Fracking-Bohrungen ebenfalls relativ einfach aufgegeben werden. Etwa zugunsten ergiebiger Quellen.

Die Ölgewinnung durch Fracking ist also durch eine grosse Anzahl relativ kurzlebiger Bohrungen charakterisiert, während es bei der traditionellen Förderung verhältnismässig wenige und langlebige Bohrstellen gibt, die in der Exploration, der Erschliessung und im Betrieb einen hohen Personalaufwand benötigen und Unsummen an finanziellen Mitteln verschlingen.

Der Markt ist im Gleichgewicht

Mit dieser Flexibilität sind die amerikanischen Fracker zum Zünglein an der Waage des Ölmarktes geworden: Bei hohen Preisen produzieren sie mehr, bei niedrigen Preisen halt weniger. Wobei sich «weniger» derzeit nicht abzeichnet. Denn auch bezüglich der finanziellen Schmerzgrenze kann die unkonventionelle mit der traditionellen Ölförderung durchaus mithalten. So liegt der Breakeven-Preis für Fracking-Öl – je nach Ergiebigkeit der angebohrten Gesteinsformationen – zwischen 30 und 50 Dollar pro Fass. Damit lässt es sich beim aktuellen Niveau komfortabel leben.

Etwas anders sieht es bei der konventionellen Förderung aus. Zwar ist beispielsweise Saudi-Arabien in der Lage, in der Wüste Öl zu Kosten von rund 10 Dollar pro Fass zu fördern. Offshore-Produktion – also die Förderung abseits vom Festland – kostet aber weiterhin rund 100 Dollar pro Fass. Auch wenn angesichts dieser enormen Produktionskostenspanne die Rechnung rein buchhalterisch oftmals aufgehen mag, sind damit viele traditionelle Ölländer weiterhin in Bedrängnis. Denn die Finanzierung ihrer Staatshaushalte (und nicht selten auch das Bei-Laune-Halten einer nicht wirklich freien Bevölkerung) erfordert eine massiv höhere Gewinnmarge.

Dass sich eine solche aber realisieren lässt, ist zu bezweifeln. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ab einem Ölpreis über 80 Dollar die Fracker wieder das schnelle und einfach verdiente Geld wittern und den Markt entsprechend mit zusätzlichem Öl fluten.

Damit werden sich die Ölpreisnotierungen auch in diesem Jahr insgesamt in einer relativ engen Handelsspanne bewegen, und der Markt dürfte sich trotz geopolitischer Brandherde nicht aus seinem bemerkenswert stabilen Gleichgewicht bringen lassen.

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