Die Negativzinsen machen es möglich: Die Schweiz könnte jedem Einwohner 100 Franken schenken – und zwar kostenlos. Das Gedankenexperiment ist realistischer, als es zunächst erscheint.
Geschenke machen Freude. Deshalb verteilen Politiker gerne Subventionsgelder, um ihre Wahlchancen zu erhöhen. Wie wäre es also, wenn die Schweizer Regierung jedem Einwohner 100 Franken auszahlen würde? Gerade angesichts des starken Frankens wäre das eine willkommene Konjunkturspritze. Das Beste: Dieses Geschenk würde unser Land rein gar nichts kosten! Den Negativzinsen sei Dank.
So funktioniert es:
Die Regierung emittiert Schweizer Bundesobligationen, beispielsweise im Umfang von 20 Milliarden Franken und mit einer Laufzeit von vier Jahren. Aktuell beträgt der Zins für eine solche Anleihe minus 1,0 Prozent. Das heisst, weil der Franken so begehrt ist und die Schweiz das höchste Bonitätsrating aufweist, sind die Gläubiger derzeit bereit, etwas dafür zu bezahlen, dass sie dem Land ihr Geld ausleihen können. (In der Praxis würde der Zins bei einer so hohen Anleihe natürlich steigen, also näher in Richtung null gehen. Doch handelt es sich hier ja lediglich um ein Gedankenexperiment).
Die Gläubiger zahlen der Schweiz für diese Anleihe also vier Jahre lang 1,0 Prozent Zins, das ergibt insgesamt 800 Millionen Franken. Danach zahlt der Bund den Gläubigern, welche ihr Geld in dieser Zeit sicher parkieren konnten, die 20 Milliarden wieder zurück. Verteilt man die Zinseinnahmen von 800 Millionen auf alle 8 Millionen Einwohner, so ergibt das pro Person einen einmaligen Betrag von 100 Franken.
Was für eine billige Trickserei
«Was für eine billige Trickserei», werden Sie nun einwenden. Ich gebe Ihnen Recht! Und doch kommen solche ökonomischen Kunstgriffe in der Praxis regelmässig vor, in immer wieder neuen Varianten. So etwa beim neuen italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi: Kurz vor seinem Wahlsieg im letzten Jahr hat er für rund 10 Millionen Bürger einen so genannten Bonus von 80 Euro pro Monat eingeführt. Zwar finanziert der italienische Staat das Geschenk nicht über Negativzinsen, wie dies bei uns möglich wäre. Aber dank der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zahlt das Land für eine vierjährige Staatsanleihe ebenfalls nur noch 0,6 Prozent Zins, trotz der hohen Staatsschuld von mittlerweile 2000 Milliarden Euro.
Wo also liegt der wunde Punkt bei solchen Geschenken?
Zwar stimmt es tatsächlich, dass bei Negativzinsen die Regierung seinen Bürgern kostenlos Geld verteilen könnte – solange man nur die direkten Kosten für den Staat betrachtet. Ausgeblendet sind dabei allerdings die indirekten Kosten, und diese sind beträchtlich. Denn die Zinsflaute tangiert auch das Vorsorgevermögen und die Sparguthaben der Bevölkerung, welche keine Rendite mehr abwerfen. Somit könnten sich die Italiener den Bonus von 80 Euro im Monat auch gleich von ihrem eigenen Spar- oder Vorsorgekonto abbuchen – der Effekt wäre im Prinzip derselbe. Die Tief- oder Negativzinsen führen also nicht dazu, dass ein Staat nun plötzlich Geld aus dem Nichts schaffen könnte.
Der 80-Euro-Bonus habe noch nicht zur gewünschten Stimulierung der italienischen Konjunktur geführt, musste Matteo Renzi kürzlich eingestehen. Trotzdem wird das Projekt weitergeführt – und sogar ausgebaut. Solange die Zinsen dermassen tief sind, ist die Verlockung, generös Geschenke zu verteilen, wohl einfach zu gross.
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