Widersprüchliche Signale vom schweizerischen Arbeitsmarkt

In der Schweiz nimmt sowohl die Beschäftigung als auch die Arbeitslosenquote zu. Die Zeiten der Vollbeschäftigung sind vorbei, aber die Situation ist derzeit nicht besorgniserregend.

In den letzten Wochen publizierten zwei verschiede Bundesstellen ihre Daten zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die jeweils für sich alleine auf eine Abkühlung der Konjunktur hindeuten könnten. So betrug die um saisonale Schwankungen bereinigte Arbeitslosenquote auf Basis der bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) angemeldeten Arbeitslosen gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) im Oktober 2,6 Prozent. Die Arbeitslosenquote nahm damit vom 2,0 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2023 allmählich zu. Damals herrschte in der Schweiz Vollbeschäftigung. Mittlerweile verzeichneten die RAVs fast einen Viertel mehr Arbeitslose als zwölf Monate zuvor.

Zusätzlich zu den Empfängern und Empfängerinnen der Arbeitslosenentschädigung können sich weitere Personen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen möchten, bei den RAVs anmelden. Dazu zählen Personen, die ihre Leistungen bei Arbeitslosigkeit ausgeschöpft haben und Personen, die wieder in die Arbeitswelt zurückkehren möchten. So können sie am Weiterbildungsangebot der RAVs teilnehmen und Zugriff auf die Liste offener Stellen erhalten. Infolge der Umsetzung der Volksinitiative «gegen die Masseneinwanderung» unterliegen offene Stellen in Berufsarten mit hoher Arbeitslosigkeit einer Meldepflicht.

Der Arbeitsmarkt gilt als verzögerte Metrik in der Konjunkturanalyse. Gemäss dem letzten Datenstand setzt sich die Verengung des schweizerischen Arbeitsmarkts fest: Eine steigende Zahl an Stellensuchenden muss sich mit einer abnehmenden Anzahl offener Stellen auseinandersetzen. Jetzt kann man sich fragen, ob eine sinkende Anzahl der an den RAVs gemeldeten offenen Stellen auf eine negative Entwicklung hindeutet. Letztendlich könnte der Rückgang auch auf eine Reduktion der Arbeitslosenquote in gewissen Berufsarten zurückgeführt werden, deren offenen Stellen dann nicht mehr der Meldepflicht unterliegen würden. Allerdings gibt es zumindest zwei Gründe, die eine solche Folgerung zweifelhaft erscheinen lassen. Erstens beträgt der Anteil der meldepflichtigen offenen Stellen die Hälfte des insgesamt erfassten Stellenangebots. Und zweitens verzeichnen weitere Auswertungen der Online-Stelleninserate eine rückläufige Dynamik. Auf Grundlage dieser Daten kann man daher schlussfolgern, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert. Das ist zwar richtig, aber das ist nur ein Teil des Gesamtbildes.

Die Beschäftigung nimmt zu

Hier kommen die Daten des Bundesamts für Statistik (BFS) ins Spiel. Im Gegensatz zum SECO misst das BFS die Arbeitslosenquote gemäss den Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die ILO-Erwerbslosenquote ist aufgrund unterschiedlicher Berechnungsgrundlage üblicherweise deutlich höher als jene des SECO: Als ILO-Erwerbslose gelten alle Personen der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz, die ohne Arbeit sind, eine Stelle suchen und innerhalb kurzer Zeit mit einer Tätigkeit beginnen könnten. Im Oktober stiegt die saisonbereinigte ILO-Rate auf 4,5 Prozent und verharrte damit noch unter dem Vorpandemieniveau.

Dank der einheitlichen Berechnungsmethode eignet sich diese Kennzahl für internationale Vergleiche. Ein interessantes Ergebnis: Im Gegensatz zur Schweiz ging die Erwerbslosigkeit im nahen Ausland zurück oder stabilisierte sich in einer konjunkturell schwierigen Zeit. Dazu dürfte der schweizerische Fachkraftmangel möglicherweise auch eine Rolle gespielt haben.

Im dritten Quartal nahm die Beschäftigung gemessen an der Erwerbstätigenzahl um 0,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zu. Aus der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung geht ein deutlicher Unterschied in der Beschäftigungszunahme zwischen schweizerischen und ausländischen Arbeitskräften hervor. Innert Jahresfrist wuchs die Beschäftigung der Schweizer und Schweizerinnen um 0,4 Prozent, während jene der ausländischen Personen, die seit weniger als 12 Monaten im Land ansässig waren, um 4,4 Prozent anstieg. Auch die Gesamtzahl der Grenzgängerinnen und Grenzgänger nahm markant zu und überschritt zuletzt zum ersten Mal die 400’000-Marke.

Diskrepanz auf dem Arbeitsmarkt

Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen: Die Beschäftigung und die Arbeitslosenquote steigen gleichzeitig. Der Grund ist ein immer grösser werdendes Ungleichgewicht zwischen den von den Unternehmen nachgefragten Qualifikationen und dem inländisch verfügbaren Arbeitskraftangebot. Die Unternehmen umgehen diese Divergenz durch die Einstellung von Arbeitskräften aus dem Ausland. Dieses strukturelle Problem lässt sich in der kurzen Frist nicht lösen, da die Umschulung der Arbeitslosen Zeit und Ressourcen braucht, und eine bessere Ausschöpfung des inländischen Potenzials tiefgreifende Reformen in unterschiedlichen Bereichen bedingen würde.

Wie sieht es also mit dem Arbeitsmarkt aus? Nicht so schlecht. Die schwache Auslandsnachfrage nach schweizerischen Erzeugnissen kombiniert mit dem starken Schweizer Franken hat Spuren bei der hiesigen Beschäftigung in der exportorientieren Industrie hinterlassen. Die jüngsten Umfragen deuten aber bereits auf eine Erholung des Sektors hin.

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