Die Schweizer Wirtschaft hat sich 2021 rasant erholt. Nach pandemiebedingten Startschwierigkeiten sind die Konjunkturaussichten auch für 2022 gut. Dies zeigt eine Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Economics im Auftrag der Migros Bank.
Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz fiel im ersten Pandemiejahr 2020 um 2,4 Prozent, expandierte 2021 jedoch um 3,5 Prozent. Damit hat die Schweizer Wirtschaft 2021 den Einbruch von 2020 mehr als wettgemacht. Das ist international gesehen keine Selbstverständlichkeit: In allen vier Nachbarländern beispielsweise wurde das Vorkrisenniveau bis Ende 2021 noch nicht erreicht. Eine Rolle spielten dabei die effektiven Wirtschaftsmassnahmen des Bundes, aber auch, dass die Schweiz wirtschaftlich gesehen schnell gelernt hat, mit der Pandemie zu leben. Zudem spielte der Schweiz auch der Branchenmix in die Karten, denn mit der Pharmaindustrie, dem Handel und dem Finanzsektor konnten drei Schwergewichte des Branchenportfolios sowohl 2020 als auch 2021 real expandieren.
Trotz Omikron gute Jahresaussichten
Die Omikron-Welle im Winter 2022 sorgt für Arbeitsausfälle und neue Restriktionen. Darunter leiden der private Konsum und der Dienstleistungsaussenhandel, insbesondere der Tourismus. Gleichzeitig verstärken sich die hartnäckigen Lieferkettenprobleme, die seit Monaten die Industriekonjunktur bremsen (und die Inflation antreiben). Entsprechend rechnet BAK für das erste Quartal 2022 mit einer leicht rückläufigen BIP-Entwicklung in der Schweiz gegenüber dem Vorquartal.
Für den weiteren Jahresverlauf ist BAK jedoch optimistisch: Global ist immer noch ein beträchtliches wirtschaftliches Aufholpotenzial vorhanden, das mit der Omikron-Welle wieder «geäufnet» wurde. Zudem gehen viele Experten davon aus, dass Omikron aufgrund seiner hohen Infektiosität den Übergang in die endemische Phase von Covid-19 beschleunigen wird. Auch wenn die Lieferkettenprobleme noch für Monate einen Bremsfaktor darstellen werden, prognostiziert BAK für das Gesamtjahr 2022 ein kräftiges Schweizer BIP-Wachstum von 3,1 Prozent.
Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sind die Aussichten ebenfalls positiv. Bereits in der zweiten Hälfte des letzten Jahres hat die Dynamik angezogen, wodurch die Beschäftigung über das ganze Jahr gesehen 0,6 Prozent expandierte (2020 wurde dank der Kurzarbeitsmassnahmen eine Stagnation erreicht). Für das laufende Jahr erwartet BAK, dass der Schwung anhält und ein Arbeitsplatzaufbau von 1,7 Prozent resultiert. Die Arbeitslosenquote wird dadurch 2022 wieder auf den Vorkrisenwert von 2,3 Prozent sinken.
3,1%
Trotz anhaltender Lieferkettenprobleme wird das Schweizer Bruttoinlandprodukt dieses Jahr kräftig expandieren.
Wachstum in den Branchen breit abgestützt
Die Wachstumsaussichten bleiben 2022 für den Industriesektor (3,9 Prozent) besser als für die Dienstleistungen (2,8 Prozent); gegenüber dem Vorjahr verringert sich der Abstand zwischen den beiden Sektoren jedoch.
Im Industriesektor sind es insbesondere die MEM-Industrie, Uhrenindustrie und Chemie/Pharma-Branche, welche die entscheidenden Wachstumsimpulse liefern. In der MEM-Industrie spielen aufgrund der «Corona-Implosion» von 2020 weiterhin kräftige Aufholeffekte. Die Uhrenindustrie ihrerseits profitiert von der hohen Nachfrage im Segment der Luxusuhren, weil diese als Inflationsschutz gesehen werden. Hinzu kommt noch ein unerwarteter Faktor: Aufgrund der Probleme auf dem chinesischen Immobilienmarkt weichen chinesische Investoren zunehmend auf Luxusuhren aus. Was schliesslich die Chemie/Pharma-Branche betrifft, wird sie 2022 aufgrund ihres Beitrags zur Pandemiebekämpfung weiterhin solide expandieren. So produziert Lonza z.B. im Wallis den Moderna-Impfstoff. Für die anderen Branchen des Industriesektors, namentlich die Konsumgüterindustrie und Baubranche, sind zwar im historischen Vergleich gute, aber im gesamtwirtschaftlichen Vergleich trotzdem unterdurchschnittliche Wachstumsraten zu erwarten.
Im Dienstleistungssektor sind die Konjunkturaussichten für 2022 heterogen. Klingt die Omikron-Welle nach dem Winter ab, stehen die Chancen gut, dass 2022 das Jahr des Gastgewerbes wird, d.h. der Gastronomie und der Beherbergung. Nachdem die Bruttowertschöpfung 2020 über 40 Prozent gesunken war, reichte das Sommerhalbjahr 2021 bei weitem nicht aus, um den Einbruch auszugleichen. In diesem Jahr sind deshalb starke Aufholeffekte absehbar. Das untere Ende des Wachstumsspektrums dürfte 2022 der Handel bilden. Ein Grund hierfür ist, dass im Jahresverlauf eine Rückverschiebung des Konsums wahrscheinlich ist, von Gütern zu Dienstleistungen.