Sand im Getriebe

Global Outlook

Die Krise in der Ukraine führt insbesondere in Europa zu einer Wachstumsverlangsamung. Noch bleibt aber das fundamentale Bild insgesamt intakt, da nicht zuletzt Aufhebungen von Pandemie-Massnahmen für konjunkturellen Rückenwind sorgen.

Der Ukraine-Krieg und die verhängten Wirtschaftssanktionen hängen wie ein Damoklesschwert über dem weiteren Verlauf der globalen Konjunktur. Obwohl die Bedeutung Russlands für die Weltwirtschaft überschaubar ist: Gemessen am Bruttoinlandprodukt belegt die Russische Föderation den 13. Platz und steuerte vor der Pandemie gerade mal 1,9 Prozent zur weltweiten Wirtschaftsleistung bei.

Der geringe Anteil Russlands am globalen BIP darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land für weite Teile der Welt eine zentrale Rolle einnimmt. Durch seine Stellung als Exporteur insbesondere von Gas und Öl, aber auch von Agrar- und Industrierohstoffen, verursacht Russland mit seinem Angriffskrieg weltweit eine Eintrübung der Wachstumsperspektiven. 

Die Ukraine-Krise verschärft die vielerorts angespannte Inflationslage weiter. Zudem sorgt sie dafür, dass sich der Abbau der Lieferkettenprobleme wohl verzögern wird. Auf der anderen Seite gibt es aber auch anhaltenden Rückenwind für die Weltkonjunktur: Der brummende Wirtschaftsmotor in den USA, gut gefüllte Auftragsbücher und florierende Arbeitsmärkte – die Fundamentaldaten signalisieren trotz des Krieges eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Hinzu kommt, dass weitgehende oder sogar vollständige Aufhebungen der Coronaschutzmassnahmen der globalen Wachstumsdynamik zusätzlichen Schub verleihen.

Insofern wird die globale Konjunkturentwicklung von entgegengesetzten Triebfedern geprägt. Ungeachtet des menschlichen Leids streut der Ukraine-Krieg derzeit vor allem Sand ins Getriebe der wirtschaftlichen Erholung. Das bremst zwar das Wirtschaftswachstum, sollte es aber nicht komplett zum Erliegen bringen.

Europa: Hohe Abhängigkeit von Russland belastet den Ausblick

Europa bekommt die hohe Abhängigkeit von russischen Energieträgern schmerzlich zu spüren (siehe Grafik). Die Sorgen um eine drohende Energiekrise wachsen fast täglich, was zu deutlich gestiegenen Energiepreisen geführt hat – ein Preisanstieg, der im Nachgang zur Coronapandemie zum denkbar ungünstigen Zeitpunkt kommt und gleich in mehrfacher Hinsicht zur Belastung wird. Erstens schraubt die teure Energie die Produktionskosten der europäischen Industrieunternehmen in schwindelerregende Höhen (siehe Grafik). Früher oder später werden diese Kosten auf die Konsumenten abgewälzt, was – zweitens – die angespannte Inflationslage weiter verschärft. Die Kaufkraft der Konsumenten nimmt weiter ab, was einerseits das Risiko einer schädlichen Preis-Lohn-Spirale erhöht und andererseits die private Konsumnachfrage als elementaren Wachstumspfeiler schrittweise erodieren lässt.

Trotz der bereits erfolgten und/oder sich abzeichnenden grossen Lockerungsschritte bei den Coronamassnahmen wird die europäische Konjunkturerholung durch die Ukraine-Krise somit erheblich gebremst. In unserem Basisszenario rechnen wir vor diesem Hintergrund damit, dass das Wachstum in der Eurozone im laufenden Jahr 1,8 Prozent erreichen wird. Solange es nicht zu einem kompletten Lieferstopp bei den russischen Öl- und Gaslieferungen kommt, sollten rezessive Quartale vermieden werden können. Werden hingegen die Lieferungen aus Russland erheblich reduziert, so muss insbesondere im Schlussquartal mit einer negativen Wachstumsrate und der Festigung stagflationärer Tendenzen gerechnet werden.

USA: Inflationsbekämpfung hat oberste Priorität

Die Konjunkturperspektiven für die USA bleiben aufgehellt. Der Aufschwung präsentiert sich anhaltend robust, und das Auslaufen der üppigen Pandemie-Überbrückungsmassnahmen kann bislang insbesondere von der starken Arbeitsmarktentwicklung aufgefangen werden. Die für die amerikanische Konjunktur essenziellen privaten Konsumausgaben – ihr Anteil am BIP beträgt rund zwei Drittel – sind nicht zurückgegangen und liegen weiterhin über dem Vorkrisenniveau. Die Schattenseite der florierenden Beschäftigungslage bildet die enorme Schwierigkeit der Unternehmen, geeignete Arbeitskräfte zu rekrutieren. Dies resultiert in steigenden Löhnen, was sich vor allem – aber nicht nur – im Niedriglohnsegment beobachten lässt und die Lohn-Preis-Spirale anheizt. Eine Rückführung der überschiessenden Inflation ist unter diesen Umständen schwierig, weshalb Fed-Chef Jerome Powell auch einen forschen Zinsanhebungspfad skizziert: So soll der US-Leitzins nicht nur auf den geschätzten Gleichgewichtssatz von 2,5 Prozent angehoben, sondern sogar moderat darüber gestrafft werden. Powell sieht eine zunehmende Notwendigkeit, mittels der Geldpolitik die heisslaufende US-Konjunktur abzukühlen und dadurch die überbordende Inflation zu bekämpfen.

Dieses Vorgehen birgt ein gewisses Risiko, dass das Fed über das Ziel hinausschiesst und die Konjunkturdynamik nicht nur bremst, sondern sogar abwürgt. Die zuletzt invertierte US-Zinskurve spiegelt schlussendlich ebendiese Befürchtung an den Finanzmärkten wider. Doch obschon eine inverse Zinskurve in der Vergangenheit oftmals Vorbote einer Rezession war, halten wir entsprechende Sorgen derzeit für nicht angezeigt. Vielmehr erwarten wir, dass der Fed-Kurs ein «Soft Landing» der US-Wirtschaft bewirken wird. Das heisst, dass wir der USA für das laufende Jahr ein BIP-Wachstum von rund 3,5 Prozent unterstellen, welches sich 2023 auf 2,4 Prozent verlangsamen wird.

China: Mannigfaltige Herausforderungen

Deutlich mehr Sorgen als die USA bereiten die Konjunkturaussichten in China. Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt kämpft gleich an verschiedenen Fronten mit Schwierigkeiten. Erstens wird der Preis für die Null-COVID-Strategie angesichts der hochansteckenden Omikron-Variante höher und höher. Die komplette Abriegelung wichtiger Wirtschaftsregionen – wie jüngst etwa im Fall der 17,5-Millionen-Metropole Shenzhen – beeinträchtigt nicht nur die Entspannung bei den weltweiten Lieferschwierigkeiten, sondern gefährdet zunehmend das chinesische Wirtschaftswachstum.

Zweitens steigt die Wahrscheinlichkeit eines Kollapses des chinesischen Immobilienmarkts. Die sich zuspitzende Krise um den Immobilienentwickler Evergrande kann durchaus als Menetekel gewertet werden. Das zweitgrösste Immobilienunternehmen Chinas, das auf einem Schuldenberg von rund 300 Milliarden US-Dollar sitzt, war zuletzt nicht in der Lage, eine Jahresbilanz vorzulegen, worauf der Handel mit dessen Aktien ausgesetzt wurde. Ein Zahlungsausfall scheint somit immer unabwendbarer. Dieser könnte zumindest auch Chinas Bauindustrie empfindlich treffen.

Und drittens macht der chinesischen Wirtschaft die Ukraine-Krise zu schaffen. Einerseits spüren die Unternehmen die steigenden Energiekosten. Andererseits sind vor allem die Transportwege von und nach China betroffen. Da viele Flugrouten, aber auch die Bahnfrachtverbindung zwischen dem Reich der Mitte und Europa russisches Hoheitsgebiet durchqueren, weichen vor allem europäische Spediteure vermehrt auf den Seeweg aus. Die Folge: Während sich beispielsweise die Seefrachtkosten zwischen den USA und China weiter von den pandemiebedingten Höchstständen erholen, nehmen die Transportkosten zwischen Europa und China wieder zu (siehe Grafik). Das führt letztlich zu steigenden chinesischen Importpreisen.

Wir sehen aus diesen Gründen anhaltenden Gegenwind für Chinas Konjunktur. Das staatlich vorgegebene Wachstumsziel von 5,5 Prozent für 2022 dürfte zwar – wie immer – gemäss offizieller Lesart erreicht werden. Die Abschwächung bei den jährlichen Wachstumsraten wird sich aber auch nach der Pandemie weiter fortsetzen.

Schweiz: Ukraine-Krise belastet vorerst nur indirekt

Aufgrund der bescheidenen Abhängigkeit von russischem Gas und Öl wirkt sich die Ukraine-Krise auf die Schweizer Wirtschaft vor allem über indirekte Kanäle aus. Besonders jene Exportbranchen mit starker Orientierung nach Europa dürften die Bremsspuren zu spüren bekommen, welche der Krieg und seine Folgen bei den europäischen Absatzmärkten hinterlässt. Hinzu kommt, dass der erstarkte Franken die Schweizer Exporte auf dem Weltmarkt verteuert. Diese Frankenstärke ist aber nicht annähernd so problematisch wie 2015, als die Schweizer Währung auf ähnlich hohem Niveau notierte. Denn erstens haben die hiesigen Unternehmen in den letzten Jahren gelernt, sich mit einem starken Franken zu arrangieren. Der Währungsschock fällt somit wesentlich geringer aus. Und zweitens federt die hohe Inflationsdifferenz zwischen der Schweiz und vielen Handelspartnern die Wechselkursunannehmlichkeiten zu einem gewissen Grad ab. Vor diesem Hintergrund ist auch erklärbar, warum sich die SNB bislang kaum mit Devisenmarktinterventionen gegen den Aufwertungsdruck stemmt.

Auch wenn der Ukraine-Krieg – namentlich in Europa – zu einer Wachstumsverlangsamung führt, dürfte die internationale Nachfrage noch einige Zeit ausreichend hoch bleiben, um der Schweizer Wirtschaft weiter Rückenwind zu geben. Darauf deuten auch die jüngsten Exportdaten hin, die für Februar nach zwei rückläufigen Monaten einen satten Zuwachs signalisierten. Bei der Aussenhandelsbilanz resultierte sogar ein Rekordüberschuss (siehe Grafik).

Zieht sich der Ukraine-Krieg nicht bis ins zweite Halbjahr hin und kommt es nicht zu einer weiteren Sanktionsspirale, gehen wir von einem robusten Wachstum von 2,2 Prozent für 2022 aus. Die Abwärtsrisiken nehmen aber mit Fortdauer der Krise zu. Kommt es gar zu einer Energiekrise in Europa, würde dies den Schweizer Aussenhandel empfindlich belasten. Hinzu kommt, dass bei einem Fortbestehen der Sanktionen unter dem Wegfall zahlungskräftiger russischer Kundschaft vor allem auch der Wintertourismus zu leiden hätte.

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