Kein dringender Handlungsbedarf für die Fed

Ein robustes Wirtschaftswachstum, ein überdurchschnittliches Lohnwachstum und eine sinkende, zuletzt aber stagnierende Inflation. Anhand dieser Kriterien wird die Fed bald ihren nächsten Zinsentscheid treffen. Die Voraussetzungen für eine Lockerung der Geldpolitik sind noch nicht erfüllt und eine verfrühte Zinssenkung könnte der befürchteten Lohn-Preis-Spirale im Dienstleistungssektor neuen Auftrieb geben.

Kaum eine Woche vergeht, in der neuen Konjunkturdaten oder Äusserungen eines Mitglieds des Offenmarktausschusses der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Markterwartungen über Ausmass und Tempo der Zinssenkungen verändern. Im Hinblick auf den nächsten Zinsentscheid vom Mittwoch, dem 20. März 2024, wollen wir uns von dieser Kurzsichtigkeit lösen und einen Überblick über die wichtigsten US-Wirtschaftsdaten geben, die die Entscheidungsgrundlage für die Federal Reserve bilden.

Inflationsrückgang verliert an Schwung

Bei einem langen Lauf sagt man oft, dass die letzte Meile die schwierigste ist. Das Ziel ist in Sicht und es bedarf einer letzten Anstrengung, um es zu erreichen. Die aktuelle Situation an der Inflationsfront ist ähnlich: Seit Juni 2023 bewegt sich die Inflationsrate in einem Korridor zwischen 3,1 und 3,7 Prozent. Das Ziel der US-Notenbank von 2 Prozent ist zwar in Griffweite, aber der angepeilte Abwärtstrend auf dieses Ziel hin scheint gebrochen. Die Analyse zeigt: Die Gesamtinflation ist nicht das richtige Mass für den zugrunde liegenden Preisauftrieb, da sie von schwankungsanfälligen Komponenten wie die Energie- und Nahrungsmittelpreisen beeinflusst wird. Aus diesem Grund wird der Begriff der Kerninflation verwendet, der die beiden Konsumbereiche ausschliesst. In den letzten sechs Monaten ging die Kerninflation nur um 0,3 Prozentpunkte zurück.

Was macht die Inflation so hartnäckig? Es gibt einen grossen und heterogen Konsumbereich, in dem die Preise auf hohem Niveau verharren. Während die Güterpreise inzwischen sogar rückläufig sind, liegt die Teuerung bei den Dienstleistungen immer noch über 5 Prozent. Insbesondere Ausgaben für die eigene Unterkunft (darunter vor allem die Mieten) und die Transporte weisen noch immer massive Preissteigerungen auf. Aufgrund der nur eingeschränkten Substituierbarkeit inländischer durch ausländische Dienstleistungen gelingt es den Dienstleistern besser, gestiegene Produktionskosten weiterzugeben.

Ein Beispiel: Eine amerikanische Konsumentin hat beim Kauf eines Handys eine grosse Auswahl an Geräten, die sowohl von inländischen als auch von ausländischen Anbietern produziert werden. Die Auswahl wird jedoch geringer, wenn sie ein Telefonabonnement abschliessen will. Für diese Dienstleistung kommen ausschliesslich inländische Telekommunikationsunternehmen infrage, die bei der Preisgestaltung nur inländische Faktoren (Kostenstruktur, inländische Konkurrenz) berücksichtigen

Der Arbeitsmarkt bleibt in guter Verfassung und stützt den privaten Konsum

Zu Beginn der Inflationsphase befanden sich die amerikanischen Konsumentinnen und Konsumenten als Arbeitnehmende in einer komfortablen Situation. Vor vier Jahren sah das ganz anders aus. Der Ausbruch der COVID-Pandemie führte in einem im Vergleich zu Europa deutlich weniger geschützten Arbeitsmarkt zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit: Im April 2020 lag die Arbeitslosenquote bei 14,8 Prozent. Gleichzeitig wurden die Einreisebestimmungen deutlich verschärft. Mit der raschen Wiedereröffnung der Wirtschaft entstand ein Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot auf dem Arbeitsmarkt: Es fehlten Arbeitskräfte. Die Erwerbsquote (Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung) fiel im Zuge der Pandemie von 63 auf vorübergehend 60 Prozent (aktueller Stand 62,5 Prozent). Dies deutete darauf hin, dass mehrere Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden sind. Die fehlenden Arbeitskräfte konnten durch die geringe Zuwanderung nicht ersetzt werden, was zu der ungewöhnlichen Situation führte, dass es zeitweise doppelt so viele offene Stellen wie Arbeitslose gab.

Die Folge: Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmenden bei der Lohnfindung nahm deutlich zu und löste ein überdurchschnittliches Lohnwachstum aus, das bis heute andauert. Höhere Löhne bedeuten höhere Kosten entlang der Wertschöpfungskette der Unternehmen, die daraufhin ihre Preise anpassen, um ihre Gewinnmargen nicht unter Druck zu setzen. Dies ist die sogenannte Lohn-Preis-Spirale, die im schlimmsten Fall ausser Kontrolle geraten kann. So weit ist es in USA zwar nicht gekommen, aber das anhaltend hohe Lohnwachstum erschwert die Aufgabe der Federal Reserve, die Inflation dauerhaft unter die 2-Prozent-Marke zu drücken.

Wie so oft in der konjunkturellen Analyse gibt es nicht nur eine Seite der Münze. Auf der anderen Seite stützt das Lohnwachstum den privaten Konsum, der rund 70 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Trotz der schnellen Anhebung des Fed-Leitzinses um insgesamt 525 Basispunkte ist die Wirtschaft nicht in eine Rezession gefallen. Im Gegenteil, das Wirtschaftswachstum bleibt robust und wir gehen nur von einer leichten Verlangsamung aus: Die sanfte Landung wird gelingen. Dank der während der Pandemie angesammelten Ersparnisse und der Lohnerhöhungen, die zuletzt zu einer Zunahme der realen Kaufkraft geführt haben, geben die Amerikanerinnen und Amerikaner grosszügig Geld aus. Auch an der Investitionsfront ist die Lage weniger eingetrübt, als angesichts der restriktiven Finanzierungsbedingungen zu erwarten gewesen wäre.

Die Fed wartet bis zum Sommer

Ein robustes Wirtschaftswachstum, ein überdurchschnittliches Lohnwachstum und eine sinkende, zuletzt aber stagnierende Inflation. Dies sind die Rahmenbedingungen, die den weiteren Kurs der Geldpolitik in den USA beeinflussen werden. Aus theoretischer Sicht wäre eine weitere Zinserhöhung nicht völlig unangebracht und könnte von der Wirtschaft gut verkraftet werden. In der Praxis ist diese Möglichkeit auszuschliessen, da der Fed-Präsident mehrfach angedeutet, dass der Zinsgipfel erreicht sei.

Dringender Handlungsbedarf besteht jedoch nicht. Die Fed will eine verfrühte Lockerung der Geldpolitik vermeiden, die der gefürchteten Lohn-Preis-Spirale neunen Schwung verleihen könnte. Lange Zeit taten sich die Märkte schwer damit. Ende 2023 wurde eine erste Zinssenkung bereits an der Sitzung vom 20. März 2024 eingepreist. Die überzogenen Markterwartungen wurden mittlerweile korrigiert und eine erste Zinssenkung wird von den Märkten im Juni erwartet.

Solche deutlichen Korrekturen der Markterwartungen innerhalb kurzer Zeit sind nicht ungewöhnlich: Mitte 2023 rechneten die Marktteilnehmenden mit einer ersten Zinssenkung per Ende 2023. Dies ist ein Zeichen für die realitätsfernen Hoffnungen, die auf den Finanzmärkten manchmal vorherrschen, und deutet auf die teilweise geringe Verlässlichkeit dieser Erwartungen hin. Angesichts der aktuellen Konjunkturlage und der Aussagen der Federal Reserve erwarten wir eine erste Zinssenkung im Frühsommer, gefolgt von zwei weiteren Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte 2024.

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