Die britische Wirtschaft befindet sich in einer herausfordernden Phase. Strukturelle und konjunkturelle Faktoren belasten das Wirtschaftswachstum und die Britinnen und Briten sind einer der höchsten Teuerungen Europas ausgesetzt. Dank der Lohnerhöhungen ist der private Konsum noch nicht eingebrochen – auf Kosten einer Preis-Lohn-Spirale.
Ein Besuch in einem Pub gehört zur britischen Volkskultur. Allerdings verliert diese Tradition seit einigen Jahren immer mehr an Bedeutung. Zuerst erlitten die Pubs infolge der Corona-bedingten Einschränkungen Umsatzeinbussen. Nach der Pandemie folgten mit dem generellen Preisauftrieb weitere Umsatzrückgänge aufgrund sinkender Besucheranzahl. Gemäss der Auswertung eines britischen Gewerbeimmobilien-Analysten mussten bereits im ersten Halbjahr 2023 die gleiche Anzahl Pubs wie im ganzen Vorjahr ihre Pforten endgültig schliessen. Die verbleibenden Pubs müssen gegen stark gestiegene Energiepreise, Personalkosten und Mietzinsen kämpfen und geben die Preisanstiege an die Kundschaft weiter. So kostet ein Pint Bier im Vergleich zum Vorjahr rund 8 Prozent mehr. Zudem hat die Ankündigung des Betreibers einer landesweiten Pub-Kette für Aufsehen gesorgt: Er wird eine dynamische Preisgestaltung einführen, das spürbare Preissteigerungen in Zeiten erhöhter Nachfrage wie am Abend und am Wochenende vorsieht. Eine Art «unhappy hour» für die Stammgäste.
Eine Kombination struktureller und konjunktureller Faktoren belastet die britische Wirtschaft
Die Lage der britischen Pubs ist beispielhaft für die schwierige konjunkturelle Lage im Vereinigten Königreich. Seit fünf Quartalen ist das Wirtschaftswachstum sehr verhalten und das reale Bruttoinlandsprodukt hat das Vorpandemieniveau vom vierten Quartal 2019 noch nicht erreicht. Die eingetrübte Lage ist auf eine Kombination von strukturellen und konjunkturellen Faktoren zurückzuführen.
Bis zur Ratifizierung eines Handels- und Kooperationsabkommen sorgte der Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union (EU) für eine grosse Unsicherheit. Nun ist die Beziehung mit der EU seit ein paar Jahren wieder besser und die britische Wirtschaft kann sich auf klare Rahmenbedingungen stützen. Weiterhin belastend wirkt der Mangel an Arbeitskräften. Am meistens gesucht sind niedrigqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Tieflohnsektor wie beispielsweise im Baugewerbe, im Detailhandel und in der Landwirtschaft. Vor dem Brexit konnte die britische Wirtschaft auf Arbeitnehmer aus der EU (vor allem aus osteuropäischen Ländern) zurückgreifen, um ihren Bedarf zu decken. Die Veränderung des Einwanderungsgesetzes im Rahmen des Brexits führte zu einem Rückgang der Immigration aus der EU, während die Anzahl der Einwanderer aus einem Nicht-EU-Land im gleichen Zeitraum anstieg. Allerdings kamen viele Leute aus humanitären Gründen oder zur Ausbildungszwecke ins Vereinigte Königreich und standen deshalb nicht sofort dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Verschärft wird die Situation zusätzlich durch die Tatsache, dass viele Arbeitnehmende im Nachgang der Pandemie aus dem Arbeitsmarkt ausgetreten sind und sie kommen nur zögerlich zurück. Zurzeit gibt es in Grossbritannien die beträchtliche Zahl von 1 Million offener Stellen.
Das Vereinigte Königreich gehört zu den von der Teuerung am stärksten betroffenen Ländern in Europa. Angefangen hat die inflationäre Phase in der zweiten Jahreshälfte 2021, als die angebotsseitigen Einschränkungen aufgrund der internationalen Lieferkettenengpässe und einer starken Nachfrage dank der Nachholeffekte nach der Pandemie zu Preissteigerungen führten. Der Ausbruch des Ukraine-Krieges im Frühjahr 2022 und die damit verbundenen Steigerungen der Energiepreise brachten die Teuerung in Schwung. Danach weitete sich der Preisauftrieb rasch auf nahezu alle Konsumsektoren aus. Für die neun darauffolgenden Monate (Juli 2022 bis März 2023) betrug die britische Inflationsrate mindestens 10 Prozent. Danach ging die Inflationsrate allmählich zurück und lag im August bei 6,7 Prozent. Mittlerweile hat die Kerninflation (ohne Nahrungsmittel und Energie) ebenfalls den Peak am Anfang des Sommers überwunden und gibt langsam nach (August 2023: 6,2 Prozent). Um der Teuerung entgegenzuwirken, begann die Notenbank Bank of England ihren Straffungszyklus im Dezember 2021 und hob den Leitzins in14 Schritte von 0,1 Prozent bis zum aktuellen Zeitpunkt auf 5,25 Prozent an. Trotz der Bemühungen der Notenbank und des in der Folge angestiegenen Zinsniveaus bleibt die britische Inflation hartnäckig hoch und weit über dem Ziel von 2 Prozent.
Trotz den bedeutenden Lohnerhöhungen wird das Budget der Haushalte immer mehr belastet
Ausgerechnet der Arbeitsmarkt ist eine Ursache für die anhaltend überschiessende Inflation. Aufgrund des Mangels an Arbeitskräften und der im historischen Vergleich tiefen Arbeitslosigkeit hat die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmenden bzw. der Gewerkschaften zugenommen. Sie können eine bessere Entlöhnung verlangen, um die gestiegenen Unterhaltungskosten auszugleichen. Die Arbeitgeber sind sich der Rekrutierungsschwierigkeiten bewusst und neigen daher eher zu Zugeständnissen. Beispielsweise wurde der nationale Mindestlohn im Frühling um 10 Prozent erhöht. So entsteht eine Preis-Lohn-Spirale, da die Unternehmen ihre Preise aufgrund der gestiegenen Produktions- und Lohnkosten ebenfalls anheben.
Trotz den bedeutenden Lohnerhöhungen wird das Budget der britischen Haushalte seit Jahren immer mehr belastet. Im Vereinigten Königreich ist es eine gängige Praxis, kurzfristige Hypotheken aufzunehmen. Deshalb sind die britischen Hausbesitzer den Schwankungen der Zinssätze mehr ausgesetzt. Der rasche Leitzinsanstieg um mehr als 500 Basispunkte führte daher zu einem starken Anstieg der Hypothekarzinsen und setzt immer mehr britische Haushalte in finanzielle Schwierigkeiten. Das mag keine gute Nachricht für das Wirtschaftswachstum sein. Trotzdem bleibt bis jetzt der private Konsum trotz allem die wichtigste Stützte der britischen Wirtschaft. Die Perspektiven für die nächsten Quartale sind düster und sollten die Haushalte ihren Konsumausgaben einschränken, wäre eine Rezession kaum vermeidbar.
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