Die Vorsorgewerke sind in finanzieller Schieflage. Reformen kommen nicht vom Fleck, und die Coronakrise verschärft die Situation. Jeannette Schaller, Leiterin Finanzplanung der Migros Bank, klärt auf und sagt, worauf man bei der Altersvorsorge selbst achten kann.
(Das Interview erschien am 22.02.2021 im Migros Magazin / Text: Benita Vogel)
Jeanette Schaller, wie stark betroffen sind die Vorsorgewerke durch die Pandemie?
Vieles ist noch offen. Sicher ist, dass die bestehenden Finanzierungsprobleme verschärft werden. Vor allem bei der AHV. Sie wird durch Lohnbeiträge finanziert. Sinken die Löhne wegen der Kurzarbeit oder steigender Arbeitslosigkeit, wie wir das aktuell feststellen, sinken auch die Einzahlungen. Und weil Konsumentinnen und Konsumenten krisenbedingt wohl auch weniger Geld ausgeben, gehen die Einnahmen der Mehrwertsteuer zurück. Diese fliessen teilweise ja ebenfalls in die AHV.
Ist die Situation bei der zweiten Säule auch so dramatisch?
Die Pensionskassen stehen etwas besser da. Sie sind verpflichtet, für Krisensituationen Schwankungsreserven zu bilden, um etwa Verluste an den Börsen abzufedern. 2020 war ein gutes Anlagejahr. Die Kurzarbeit hat für Pensionskassen weniger gravierende Auswirkungen – weil die Beiträge trotzdem voll bezahlt werden. Aber man muss schon sehen: Auch in der zweiten Säule haben wir massive Finanzierungsprobleme. Das Geld, das Pensionierte während des Erwerbslebens angespart haben, reicht nicht, um ihre Renten zu decken. Bereits fliessen in der zweiten Säule jedes Jahr 7 Milliarden Franken von Erwerbstätigen zu den Rentnern.
Aktuell stehen in der AHV die Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 und in der zweiten Säule eine weitere Senkung des Umwandlungssatzes zur Debatte. Gehen diese Reformen weit genug?
Nein, sie greifen sogar viel zu kurz. Was diskutiert wird, sichert bloss kurzfristig die Finanzierung. Das wäre schon vor langer Zeit nötig gewesen. Jetzt muss sich das System grundlegend ändern. Aber für umwälzende Neuerungen fehlt der politische Konsens und wohl auch der Mut. Es sitzen ja pikanterweise diejenigen am Steuerhebel, die bald selber in Pension gehen.
Für umwälzende Neuerungen fehlt der politische Konsens und wohl auch der Mut.
Die beiden geplanten Massnahmen würden bereits zu tieferen Renten führen. Und Sie sagen, die Anpassungen greifen viel zu kurz?
Ja, diese Massnahmen sind längst überfällig, weil bei der AHV die Mittel nur noch für einige Jahre reichen und bald die Generation der Babyboomer in Pension geht, was dann wirklich kostet. Viele Pensionskassen haben auf den Beiträgen, die über dem gesetzlichen Obligatorium liegen, den Umwandlungssatz für die Renten übrigens bereits gesenkt.
Damit treffen die Reformen doch Kleinverdiener, die lediglich im Obligatorium versichert sind, und Frauen, die im System sonst schon benachteiligt werden.
Ja, das ist schmerzhaft. Es sind aber für beide Fälle Ausgleichszahlungen beziehungsweise Massnahmen zur Abfederung vorgesehen. Und wenn wir von Gerechtigkeit gegenüber den Frauen sprechen, sehe ich den Hebel an einem anderen Ort: Man muss für gleiche Löhne und gleiche Karrierechancen während des Erwerbslebens sorgen.
Die Jüngeren wären für grundlegendere Reformen. Etwa dafür, dass nicht erst mit 25 Jahren in die zweite Säule einbezahlt wird und dass Teilzeit- und Projektarbeit besser abgedeckt werden.
Das geht in die richtige Richtung. Die ganze Gesellschaft hat sich gewandelt. Das Modell des Haupternährers, auf das die Sozialwerke angelegt sind, ist längst überholt.
Welche strukturellen Reformen braucht es noch?
Helfen würde zum Beispiel, wenn der Umwandlungssatz, der in der zweiten Säule die Rentenhöhe bestimmt, nicht starr vom Gesetz vorgeschrieben würde, sondern flexibel der Lebenserwartung angepasst werden könnte. Damit würden auch die Pensionierten, deren Renten im heutigen System nicht angetastet werden, einen Beitrag leisten.
Darüber hinaus wird heute über eine vierte Säule diskutiert. Was ist damit genau gemeint?
Dabei geht es um Zeitguthaben, das man in jungen und auch älteren Jahren mit Freiwilligenarbeit aufbaut, indem man etwa für die ältere Nachbarin kocht oder ihr bei Administrativem zur Hand geht. Einmal selber in Pension, kann man das Guthaben einlösen, indem man selbst Dienstleistungen bezieht. Das ist ein sehr spannender Ansatz.
Ändert das etwas an der finanziellen Misere der Sozialwerke?
Nicht im grossen Stil. Aber Pflegende oder Familienangehörige würden entlastet, und die Solidarität unter den Generationen gefördert. Nehmen wir das Beispiel einer betagten Frau, die geistig noch fit ist, allerdings bei bestimmten Tätigkeiten auf fremde Hilfe angewiesen ist. Dank Unterstützung einer Nachbarin bei den Alltagsarbeiten kann die Frau einen vorzeitigen Eintritt in ein teures Pflegeheim aufschieben. Dies entlastet nicht nur unser Gesundheitswesen, sondern verringert die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit von Ergänzungsleistungen.
Das Versprechen, dass mit der ersten und zweiten Säule 60 Prozent des letzten Einkommens gesichert ist, kann nicht mehr eingehalten werden.
Was können künftige Rentnerinnen und Rentner selber tun, um ihre Situation zu verbessern?
Sie sollten nichts dem Zufall überlassen. Das Versprechen, dass mit der ersten und zweiten Säule 60 Prozent des letzten Einkommens gesichert ist, kann nicht mehr eingehalten werden. Selbstvorsorge ist deshalb unumgänglich. Sparen Sie! Mit einer Säule 3a oder individuell – auch wenn es jeweils nur kleine Beträge sind.
Was raten Sie Ihren Kundinnen und Kunden beim Vorsorgegespräch?
Vielen kommt es erst etwa Mitte 50 in den Sinn, sich mit der Pensionierung zu beschäftigen. Das ist oft zu spät, um die Lücken in der Vorsorge richtig zu schliessen. Es ist wichtig, sich ab Mitte 40 mit der Planung auseinanderzusetzen. Die wichtigen Fragen zu beantworten: Welchen Lebensstandard will ich im Alter? Bin ich allenfalls gewillt, mit weniger auszukommen?
Also in Eigenregie vorsorgen?
Absolut. Viele Leute haben wenig bis keine Ahnung von Vorsorgethemen. Ich wünschte mir, das Thema würde schon in der Schule behandelt, Junge würden stärker dafür sensibilisiert.
Ist ein solches System, bei dem am Ende eigentlich doch jeder selbst für sein Alter sparen muss, denn noch sozial?
Bei all den Schwierigkeiten darf man nicht vergessen: Unser System ist gut und sehr wertvoll. Die Solidarität funktioniert nach wie vor. Der Ausgleich findet statt, beispielsweise indem Grossverdiener in der AHV für Arbeitnehmende einzahlen, die weniger verdienen. Zudem sind die Risiken wie Invalidität und Todesfall ebenfalls versichert. Die AHV bezahlt zudem Ergänzungsleistungen und Hilflosenentschädigung. Auch die Erziehungsgutschriften für Kinder sind ein Stück Solidarität. Der Ausgleich findet auf vielen Ebenen statt. Zu einem solchen Vorsorgesystem müssen wir Sorge tragen.
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