Mit dem Aufstieg der erneuerbaren Energie rückt Wasserstoff in den Mittelpunkt des Interesses von Wirtschaft und Politik. Welche Rolle kann er in der Energiewende spielen?
Wasserstoff ist das häufigste chemische Element im Universum. In der Natur kommt Wasserstoff überwiegend in gebundener, aber nur selten in reiner Form vor. Er muss daher aus chemischen Verbindungen hergestellt werden. Hierfür wird Energie benötigt. Deshalb ist Wasserstoff kein Primärenergieträger wie Kohle, Erdöl oder Erdgas, sondern ein Sekundärenergieträger. Wasserstoff ist also keine Energiequelle, sondern ein Energiespeicher.
Eine erfolgreiche Energiewende ist auf Speicher angewiesen
Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen wie Sonnen- oder Windkraft ist witterungsbedingt sowie jahres- und tageszeitlich bedingt Schwankungen unterworfen. Darum spielen flexibel einsetzbare Energiespeicher in der nachhaltigen Energieversorgung eine wichtige Rolle. Nur mithilfe grosser Speicherkapazitäten kann eine bedarfsgerechte Energieversorgung sichergestellt werden. Diese Funktion könnte Wasserstoff in der Zukunft vermehrt übernehmen.
Wasserstoff ist nicht per se klimafreundlich
Beim Herstellungsprozess von Wasserstoff ist es für die CO2-Bilanz entscheidend, ob die Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. Mit Blick auf die Herkunft der Primärenergie unterscheidet man verschiedene Arten von Wasserstoff:
- Sogenannter grüner Wasserstoff entsteht durch Elektrolyse. Dabei wird Wasser mittels Stromzufuhr in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespaltet. Nur wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt, entsteht CO2-neutraler grüner Wasserstoff.
- Grauer Wasserstoff hingegen wird mithilfe von fossiler Energie erzeugt und ist deshalb nicht klimaneutral. Werden die bei der Produktion anfallenden CO2-Emissionen ausgefiltert und eingelagert, spricht man von blauem Wasserstoff. Derzeit sind rund 99 Prozent des weltweit erzeugten Wasserstoffs grau. Dieser wird hauptsächlich in der Industrie und der Chemie verwendet.
Grüner Wasserstoff ist teuer – und wenig energieeffizient
Aufgrund der relativ kostenintensiven Herstellung und der bislang überschaubaren Nachfrage ist grüner Wasserstoff teuer. Insbesondere im Vergleich zu fossiler Energie. Seine Attraktivität könnte sich mit zunehmender Nachfrage und einer entsprechenden Produktionsausweitung dank Skaleneffekten aber deutlich verbessern.
Produktionskosten Wasserstoff
Ein weiterer Nachteil von Wasserstoff als Speichermedium ist sein tiefer Wirkungsgrad. Bei der Herstellung und der anschliessenden Rückumwandlung in Strom geht ein Grossteil der initial aufgewendeten Energie verloren. Während der Wirkungsgrad eines batteriebetriebenen Elektroautos 70 bis 90 Prozent beträgt, sind es beim mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellenauto höchstens 35 Prozent. Konkret heisst das: Ein Wasserstoffauto verbraucht für die gleiche Strecke mindestens doppelt so viel Strom wie ein batteriebetriebenes Elektrofahrzeug.
Flexible Einsatzmöglichkeiten als grosse Stärke
Wasserstoff hat aber auch viele Vorteile, insbesondere bei den Einsatzmöglichkeiten. Wasserstoff kann am effizientesten als direkter Rohstoff in der Industrie und der Chemie verwendet werden. Am vielversprechendsten erscheint in diesem Zusammenhang der Einsatz in der Stahlproduktion: Als direkter Ersatz für fossile Brennstoffe kann grüner Wasserstoff einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung dieser äusserst CO2-intensiven Branche leisten. Dasselbe gilt für die Herstellung von Chemikalien und diverser Kunststoffe. In diesen Bereichen besteht schon eine hohe Nachfrage nach Wasserstoff – steigende CO2-Preise könnten eine Verlagerung der Nachfrage von grauem zu grünem Wasserstoff beschleunigen.
Nachhaltig produzierter grüner Wasserstoff kann auch zu CO2-neutralen Gasen und Flüssigkeiten weiterverarbeitet werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von Power-to-Gas respektive Power-to-Liquid. Auf diese Weise lässt sich beispielsweise CO-2-neutraler Diesel oder Kerosin herstellen. Grosser Vorteil aus ökonomischer Sicht: Solche synthetischen Kraftstoffe können herkömmliche Verbrennungsmotoren antreiben. Ein Grossteil der bestehenden Infrastruktur kann deshalb weiterbenutzt werden, was den Kostennachteil relativiert.
Das gilt ebenso für den Power-to-Gas-Bereich. Grüner Wasserstoff kann entweder direkt in das bestehende Gasnetz eingespeist oder zu synthetischem Erdgas verarbeitet werden. In beiden Fällen kann die umfangreiche Infrastruktur weiterhin genutzt werden. Die Technik ermöglicht eine nahezu verlustfreie Speicherung nachhaltiger Energie über einen langen Zeitraum entweder in bestehenden Gastanks oder im Netz, sowie eine anschliessende bedarfsgerechte Rückwandlung in Strom am Ort des Verbrauchs. Power-to-Gas eignet sich deshalb, um die volatile Produktion erneuerbarer Energie zu glätten und sie über weite Strecken zu transportieren.
Sinnvoller Einsatz im Schwerverkehr
Wasserstoff hat eine hohe massenbezogene Energiedichte. Ein Kilogramm Wasserstoff enthält etwa so viel Energie wie drei Kilogramm Benzin. Auch im Vergleich zur Lithium-Ionen-Batterie steht Wasserstoff deutlich besser da. In der Praxis bedeutet das einen massiven Gewichtsvorteil: Wasserstoffbasierte Antriebe sind viel kleiner und leichter als batteriebetriebene Elektroantriebe. Vor allem beim Transport von schweren Lasten über grosse Distanzen kann Wasserstoff als Kraftstoff seine Vorteile ausspielen. So eignet sich der wasserstoffbasierte Brennzellenantrieb deutlich besser für einen Lastwagen als der batteriebetriebene Elektromotor – der Gewichtsvorteil und der geringere Platzbedarf sorgen für eine höhere Zuladung und mehr Frachtraum. Zudem geht die Betankung deutlich zügiger vonstatten.
Auch in der Luft- und Schifffahrt bietet sich Wasserstoff als ökologisch sinnvolle Alternative zu fossilen Brennstoffen an – hier dürften jedoch aufgrund des immensen Energiebedarfs eher wasserstoffbasierte synthetische Kraftstoffe, also CO2-neutraler Diesel und Kerosin, zum Einsatz kommen. In diesen wettbewerbsintensiven Branchen schlägt umso stärker zu Buche, dass durch die Möglichkeit der Weiterverwendung bestehender Infrastruktur hohe Investitionskosten vermieden werden können. Allerdings ist mit einer umfassenden Dekarbonisierung in diesen Sektoren nicht vor 2030 zu rechnen.
Dennoch: Aufgrund seiner Vorteile gegenüber Batteriesystemen bezüglich Gewicht, Volumen und Reichweite eröffnet sich wasserstoffbasierten Antrieben mittel- bis langfristig im Bereich des Schwerverkehrs ein grosses Potenzial.
Noch zu hohe Kosten für den Individualverkehr
Diese Vorteile fallen beim Individualverkehr jedoch weniger stark ins Gewicht. Hier gerät der Wasserstoffantrieb aufgrund seiner Schwächen beim Wirkungsgrad sowie seiner vergleichsweise hohen Kosten gegenüber dem batteriebetriebenen Elektromotor ins Hintertreffen.
Wirkungsgrad Alternative Antriebe
Zudem fehlt es noch an einem Tankstellennetz. Diese ökonomischen und technologischen Hürden lassen sich aber überwinden. Insbesondere technologische Entwicklungssprünge könnten durchaus dafür sorgen, dass Wasserstoff auch im privaten Nahverkehr eine immer wichtigere Rolle spielen könnte – ein ökonomischer Durchbruch des Wasserstoffautos dürfte aber seine Zeit brauchen. In näherer Zukunft wird der Wasserstoffantrieb wohl weiterhin nur einen Nischenplatz im Individualverkehr einnehmen.
Langfristig hat Wasserstoff Potenzial
Wasserstoff hat als Speichermedium seinen Platz in der Energieversorgung der Zukunft. Um das Potenzial auszuschöpfen, muss Wasserstoff vor allem dort gefördert werden, wo sein Einsatzaus ökologischen und ökonomischen Gründen am sinnvollsten ist.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Regulierung. Sie kann die Nachfrage nach grünem Wasserstoff gezielt fördern. Auf dieser Basis kann eine Industrie entstehen, welche die für eine Senkung der Kosten notwendigen Skaleneffekte erst ermöglicht. So sollte sich ein positiver Kreislauf in Gang setzen lassen, der dazu beiträgt, dass Wasserstoff für immer breitere Anwendungsgebiete interessant und ökonomisch konkurrenzfähig wird. Nur so kann Wasserstoff sein Potenzial als Energiespeicher in einem nachhaltigen Energiesystem voll ausschöpfen. Anleger sind heute aber gut beraten, Investitionen in die Energieversorgung der Zukunft breit zu diversifizieren und insbesondere im Bereich der Energiespeicher neben Wasserstoff auch auf Batterien und andere Speichermedien zu setzen.
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