Die Förderung von Impact-Startups, die Balance zwischen Idealismus und Wirtschaftlichkeit sowie der Mut, gesellschaftliche Herausforderungen anzunehmen – all das prägt die Arbeit von Britta Friedrich, der Leiterin des Migros-Pionierfonds. Ein Interview mit Einblicken hinter die Kulissen und ihre persönliche Motivation.
Frau Friedrich, der berühmte Walt Disney, Pionier für Zeichentrickfilme und Erfinder der Mickey Mouse, hat einst gesagt: «Alle Träume können wahr werden, wenn wir den Mut haben, ihnen zu folgen.» Ein Zitat, das auch gut zum Pionierfonds passt?
Ja, und noch besser zu unseren Pionierinnen und Pionieren. Denn sie sind es, die sich für ihre Vision einer besseren Zukunft mit Mut und Willensstärke den Unsicherheiten und Unwegsamkeiten des Startup-Lebens stellen. Sie haben dabei allem voran den festen Glauben, dass sich die Dinge zum Guten wenden können. Ich ergänze hier also gerne ein Zitat von Bertolt Brecht aus «Der gute Mensch von Sezuan». Da heisst es: «Such dir selbst den Schluss. Es muss ein guter sein, muss, muss, muss.»
Es braucht also mehr als Mut, um als Pionierin oder Pionier erfolgreich zu sein: eine gute Idee?
Genau. Dabei ist der Glaube an die Fähigkeit, Dinge entsprechend gestalten zu können, entscheidend. Das ist auch das, was mich persönlich antreibt: der Glaube, etwas zum Guten bewegen zu können. Ich bin ein unverbesserlicher Optimist – ich glaube fest daran, dass, wenn man etwas will und sich dafür einsetzt, man es auch erreichen kann.
Und wie steht es mit Ihrem Mut? Sie sitzen als Förderin der Projekte ja quasi im gleichen Boot.
Naja, nicht wirklich. Unsere Projektpartnerinnen und -partner gehen mit ihren Ideen «all in», setzen alles auf eine Karte. Wir vom Pionierfonds hingegen sind in einer vergleichsweise komfortablen Situation: Uns stehen im Jahr 15 Millionen Franken zur Verfügung, finanziert u.a. durch Denner, Migrol und Migros Bank. Diesen Betrag dürfen wir in vielversprechende Projekte investieren, die uns der Vision einer zukunftsfähigen Gesellschaft näherbringen.
Mit der finanziellen Unterstützung tragen Sie aber auch Verantwortung.
Das stimmt. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass wir die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel so wirksam und effizient wie möglich einsetzen. Unsere Aufgabe ist es also, die richtigen Projekte zu identifizieren und zu unterstützen. Also diejenigen, die einerseits das grösste positive Veränderungspotenzial für unsere Gesellschaft und gleichzeitig das Zeug dazu haben, auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist nicht einfach, denn wir geben Anschubfinanzierung für Impact-Startups in der Anfangsphase. Da sind oft noch viele Fragen offen, viele Ideen noch nicht ausgereift. Unsere Förderung dient oft erst dazu, die Machbarkeit von Lösungen unter Beweis zu stellen.
Liegt hier der Hauptunterschied zu einem Investment in ein normales Startup?
Ja, für einen klassischen Investor sind unsere Projekte häufig noch zu unausgereift. Ein wesentlicher Unterschied liegt aber auch in der Ausrichtung der Unternehmen: Bei einem Impact-Startup geht es primär darum, ein Problem, das innerhalb der Gesellschaft besteht, zu lösen. Sei das im Bereich Klima oder Zusammenleben. Das ist der Antrieb der Gründerinnen und Gründer, das ist ihr Purpose, wie man so schön sagt. Natürlich glauben sie daran, dass sie das auch unternehmerisch leisten können. Aber die Themen Rendite und Gewinn sind für sie nicht die treibende Kraft. Es geht ihnen um die Sache. Wenn sie damit noch Geld verdienen, umso besser.
Sie fördern die Pionierprojekte während drei Jahren finanziell und unterstützen sie auch strategisch. Wie gehen Sie dabei vor?
Das ist natürlich von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Aber für alle gilt: Ohne Markt keine Wirkung. Das heisst, wir zeigen den Projektpartnerinnen und -partnern auf, wie sie sich den wirtschaftlichen Parametern und Gesetzmässigkeiten bedienen können, um ihre Wirkung zu steigern. Unser Ziel ist eine systemische Veränderung. Voraussetzung dafür ist, dass die Lösungen unserer Partnerinnen und Partner möglichst viele erreichen. Konkret unterstützen wir sie also dabei, die richtigen Strategien für den Markteintritt zu entwickeln, um damit die Basis für eine erfolgreiche Skalierung zu legen. Wir begleiten bei der Entwicklung von Vertriebs- und Kommunikationsstrategien, aber natürlich auch bei der Aufstellung von Business- und Finanzierungsplänen. Wer Wirkung erzielen möchte, braucht einen langen Atem – das heisst auch eine stabile wirtschaftliche Basis. Entsprechend spielt auch das Thema Nachfolgefinanzierung von Tag 1 der Förderung an eine grosse Rolle. Denn: Drei Jahre sind schneller vorbei, als man denkt. Hier müssen die Partnerinnen und Partner frühzeitig vorsorgen, um sich nachhaltig etablieren zu können.
Über Britta Friedrich
Britta Friedrich leitet seit März 2022 den Migros-Pionierfonds. Nach ihrem Studium der Literatur-, Theater-, Medien- und Wirtschaftswissenschaften arbeitete sie als Beraterin in einer Strategie- und Kommunikationsagentur und leitete später die Neugeschäfts- und Innovationsabteilung der Frankfurter Buchmesse. Seit 2018 ist sie beim Migros-Pionierfonds tätig, zunächst als Scout, dann als Leiterin des Förderbetriebs, bevor sie die Gesamtleitung übernahm. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich und ist Mutter zweier Söhne.
Idealismus und Wirtschaftlichkeit – eine Kombination, die auch zu Ihrem Werdegang passt.
Tatsächlich – allerdings war mir das gar nicht so bewusst. Rückblickend zeigt sich aber, dass ich mich immer zwischen diesen zwei Welten bewegt habe. Ich habe Geisteswissenschaften studiert – mich im dritten Semester aber dann dazu entschieden, Wirtschaft dazuzunehmen. Was für viele ambivalent klingt, wurde zum roten Faden in meinem Werdegang. Nach meinem Studium startete ich in einer Strategie- und Kommunikationsberatung und landete dann in der Neugeschäftsentwicklung der Frankfurter Buchmesse. Die Buch- und Medienbranche ist von viel Herzblut geprägt – muss wirtschaftlich aber auch bestehen können. Und das in einem harten Umfeld. Hier gibt es also durchaus Parallelen zu meiner heutigen Tätigkeit.
Sie waren zunächst im Scouting tätig und haben nach den richtigen Pionieren bzw. Projekten gesucht. Wie muss man sich das genau vorstellen?
Unser Ziel ist es, mutige und innovative Projekte zu fördern, die nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen bieten, etwa in den Bereichen Klima und Ressourcen oder Technologie und Ethik. Wir nehmen keine Gesuche entgegen, sondern identifizieren über Scouts potenzielle Unternehmungen, die durch Innovation und Nachhaltigkeit überzeugen. Dabei sind die Relevanz des Problems, der langfristige gesellschaftliche Nutzen sowie die Passgenauigkeit der Lösung entscheidend. Wir überprüfen regelmässig unsere Förderschwerpunkte und passen sie nach dem (gesellschaftlichen) Bedarf an. Als Scout ist man meist in ausgewählten Bereichen unterwegs. Hier hat man eine grundlegende Expertise und arbeitet an der Erweiterung des Netzwerks. Letztlich ist es aber am allerwichtigsten, mit Neugier und offenen Augen Ausschau nach potenziellen Projekten zu halten – auf Veranstaltungen, bei anderen Inkubatoren oder einfach bei der Recherche.
Haben Sie ein Beispiel?
Gern. Nehmen wir den Bereich Klima und Ressource. Ein grosser Handlungsbedarf besteht beispielsweise beim Thema Bauen. Die Bauindustrie ist einer der Hauptverursacher von CO2-Emissionen – 37 Prozent des weltweiten Ausstosses gehen auf ihr Konto. Also schauen wir uns den Markt genauer an. Was wird bereits gemacht, wo gibt es Anhaltspunkte für eine Verbesserung? Ein Ansatz könnte in den verwendeten Baumaterialien liegen. Wir prüfen dann also, wo ressourcenschonende Baumaterialien entwickelt werden und welche Projekte es gibt, die unterstützenswert sind. Hier startet dann das eigentliche Scouting. Wir sind ein bisschen wie die Trüffelschweine – wir nehmen die Fährte auf und identifizieren Projekte, bei denen wir das Gefühl haben, sie könnten einen Unterschied ausmachen.
Gibt es Leuchtturmprojekte oder gar Einhörner, die Sie stolz machen?
Wir sprechen nicht von Einhörnern. Denn Einhörner sind die, die das Maximum an Geld bringen, aber nicht unbedingt das Maximum an Wirkung erreichen. Im Impact Investing spricht man stattdessen von Zebras – sie stehen für gesellschaftlich ausgerichtete Startups. Und tatsächlich: Auch bei uns gibt es immer wieder Projekte, die positiv überraschen und grosse Meilensteine schaffen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn für unsere Projekte die Nachfolgesicherung gewährleistet ist. Das bedeutet, dass nach unserer Anschubfinanzierung neue Investoren gefunden werden konnten bzw. erste Umsätze gemacht werden. Wir konzentrieren uns während der Förderung aber vor allem auf die kleinen Schritte, die einem Projekt Stabilität geben. Wir sind die Startrampe für den Markteintritt und legen die Grundlage für die Skalierung. Wenn die Skalierung richtig beginnt, sind wir als Förderer meist schon draussen. Unser Ziel ist es, das Startup fit für den Markt zu machen. Wenn unsere Projekte auf dem Markt bestehen und wachsen – dann können wir stolz sein.
Der Pionierfonds hat seit seiner Gründung 2012 bereits über 100 Projekte gefördert. Wo gibt es die grössten Herausforderungen?
Unsere Arbeit braucht Geduld. Kürzlich hat mir ein Investor erzählt, dass es rund 100 bis 150 Anfragen bei Investoren braucht, bis etwas Positives zurückkommt. Das ist in der Philanthropie nicht anders. Geduld und Ausdauer sind entscheidend, ebenso wie der Umgang mit Rückschlägen und die Fähigkeit, sich ständig neu zu orientieren. Wir bieten nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch strategische Begleitung. Wir geben den Projekten Tools und ein Framework zur Weiterentwicklung an die Hand. Bereits in der ersten Förderetappe müssen die Projekte einen Business- oder Finanzierungsplan vorlegen. Wir sind von Anfang an Sparringpartner und bereiten die Gründerinnen und Gründer auf die Zukunft vor.
Der Pionierfonds konzentriert sich auf die Bereiche Klima und Ressourcen, Technologie und Ethik sowie Zusammenleben. Wo geht die Reise hin?
Die Themenbereiche verändern sich so, wie sich auch die Gesellschaft verändert. Das ist fliessend. Aktuell erleben wir im Bereich Technologie und Ethik einen grossen Wandel. Ursprünglich haben wir uns hier vor allem mit der Digitalisierung beschäftigt und damit, dass keine Menschen von dieser Entwicklung abgehängt werden. Dieser Grundanspruch ist sicherlich noch da. Nur haben sich die Technologien so rasant verändert, allen voran zum Beispiel die Künstliche Intelligenz. Wir müssen uns fragen: Was macht das mit uns? Und: Wo können wir KI nutzenbringend für die Gesellschaft einsetzen? Hier schauen wir genau hin und identifizieren Lücken, die wir mit unserer Förderung schliessen oder doch zumindest verkleinern können.
Welchen Tipp würden Sie jungen Menschen geben, die sich für gesellschaftliches Engagement und innovative Projekte interessieren?
Ich empfehle ihnen unsere Plattform www.von0auf100.org. Dort haben wir unser ganzes Wissen aus über 100 Projekten zusammengetragen. Also Tools, Tipps und Tricks, wie man aus einer Idee ein nachhaltiges Projekt startet. Die Plattform bietet gezielte Unterstützung für ganz unterschiedliche Themen. Das Highlight ist unser «Bootcamp», genauer unser «Von 0 auf 100»-Kickstart, bei dem wir während mehrerer Wochen Fachinputs, individuelle Coachings und Austausch mit Gleichgesinnten bieten, um zukunftsfähige Ideen voranzutreiben. Das alles kostenlos und ohne Verpflichtungen oder Förderansprüche. Das nächste Kickstart-Programm zum Thema «Klima & Wir» findet übrigens vom 25. Februar bis zum 10. April 2025 statt – die Bewerbung für einen der sechs Plätze läuft noch bis zum 19. Januar 2025.
Migros-Pionierfonds: Pro Jahr 150 Ideen geprüft
Der Migros-Pionierfonds sucht nach Projekten mit einem langfristigen gesellschaftlichen Nutzen. Er nimmt keine Gesuche entgegen, sondern betreibt ein eigenes Scouting. Pro Jahr werden so etwa 150 Ideen geprüft, aus denen jeweils 10 bis 15 neue Projekte resultieren. Diese werden während drei Jahren finanziell und strategisch begleitet. Mit dem Kickstart-Programm «Von 0 auf 100» wird der Pioniergeist zusätzlich in die Gesellschaft ge
tragen und Menschen dazu motiviert, ihre Idee für eine zukunftsfähige Gesellschaft tatsächlich umzusetzen. Der Migros-Pionierfonds verfügt über jährlich rund 15 Millionen Franken und wird von Unternehmen der Migros-Gruppe wie Migros Bank, Denner, Migrol, migrolino oder Ex Libris getragen.