Inflation ist nicht gleich Inflation

Während die Inflation in Europa noch immer vordringlich von den hohen Energiepreisen getrieben wird, steigt in den USA die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale.

Die hohe Inflation ist derzeit ein weltweites Phänomen. Rund um den Globus steigen die Preise in einem Ausmass, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr zu beobachten war. Dennoch gibt es markante Unterschiede zwischen den Regionen – nicht nur, was die Höhe der Inflation angeht, sondern auch in Bezug auf deren Natur. Steigende Preise können verschiedene Ursachen haben. Insbesondere spielt dabei die Frage eine Rolle, ob die Inflation primär angebotsseitig oder aber nachfrageseitig getrieben wird. Die unterschiedlichen Ursachen hoher Inflation lassen sich aktuell relativ gut am Beispiel der USA und Europa beobachten.

Energiekosten in Europa – Löhne in den USA

In Europa sind nach wie vor die steigenden Energiekosten der zentrale Treiber der hohen Inflationsdynamik. Sie sind zu einem grossen Teil die direkte Folge der massiven Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von russischer Energie. In Kombination mit den anhaltenden Angebotsengpässen und Störungen in den Lieferketten tragen sie wesentlich zur rekordhohen Inflation in der Eurozone bei. Sie erhöhen die Kosten der Unternehmen, verteuern die Produkte und senken im Endeffekt die Kaufkraft der Konsument*innen. Das wiederum setzt der Konjunktur zu.

Auch in den USA spielen gestiegene Energie- und Rohstoffpreise eine Rolle. Allerdings fallen diese angebotsseitigen Inflationstreiber deutlich weniger ins Gewicht als in Europa. So machen die Preise für Strom, Gas und Kraftstoff im Euroraum rund 60 Prozent der Inflationstreiber aus, in den USA etwa halb soviel. Die USA sehen sich hingegen aufgrund der nach wie vor brummenden Wirtschaft und des historisch starken Arbeitsmarkts vermehrt mit deutlich steigenden Löhnen konfrontiert. Das US-Lohnwachstum ist dieses Jahr so hoch wie seit Jahrezehnten nicht mehr. Damit steigt die Gefahr einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale, welche die Notenbanken fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Eine Lohn-Preis-Spirale entsteht, wenn Arbeitnehmer*innen höhere Löhne fordern, um den inflationsbedingten Kaufkraftverlust auszugleichen. Die entsprechend steigenden Kosten werden von den Unternehmen auf die Preise überwälzt. Die Folge sind weiter steigende Lebenshaltungskosten – die Spirale kommt in Gang.

Unterschiedliche Herausforderungen für die Zentralbanken

Wenn eine Lohn-Preis-Spirale einmal an Dynamik zugelegt hat, trägt sie massgeblich zu einer fortlaufenden Steigerung der Inflationsdynamik bei – und sie ist nur noch schwer zu stoppen. Im Extremfall bleibt der Zentralbank als Hüterin der Preisstabilität nichts anderes übrig, als die Zinsen solange und schnell zu erhöhen, bis es zu einer starken Bremsung der Konjunktur kommt. Die Folge ist steigende Arbeitslosigkeit und damit auch ein Ende der Lohn-Preis-Spirale. Die US-Notenbank Fed ist sich der Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale in den USA durchaus bewusst. Aus diesem Grund wird sie nicht von ihrem aggressiven geldpolitischen Straffungskurs abweichen, bevor sie nicht deutliche Indizien einer Entspannung am heisslaufenden Arbeitsmarkt ausmacht. Insbesondere in den vergangenen Wochen haben sich diesbezüglich erste Zeichen gezeigt. So ist beispielsweise die Anzahl offener Stellen rückläufig, was durchaus als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass der Arbeitsmarkt den Höhepunkt überschritten hat.

Die Europäische Zentralbank EZB steht vor anderen Herausforderungen. Die Inflation in der Eurozone ist nach wie vor in erster Linie von exogenen Faktoren getrieben, auf welche sie keinen Einfluss nehmen kann. Leitzinserhöhungen werden die Energiekosten nicht direkt senken können. Die Gefahr einer imminenten Lohn-Preis-Spirale ist in der Eurozone gering – und die erwartete Rezession wird sie weiter vermindern. Für die EZB geht es bei der Inflationsbekämpfung indirekt dennoch um die Verhinderung einer Lohn-Preis-Spirale: Die deutliche Straffung der Geldpolitik hat primär zum Ziel, die langfristigen Inflationserwartungen tief zu halten. Sollte sich bei der Bevölkerung nämlich die Einsicht verbreiten, die Inflation in der Eurozone bleibe langfristig hoch, würde dies unweigerlich die Gefahr einer zukünftigen Lohn-Preis-Spirale deutlich erhöhen. Dem kann die EZB mit dem Bekenntnis zu einer konsequent auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik entgegenwirken.

Ankündigung: Am 21. Oktober wird ausnahmsweise kein Blickpunkt erscheinen.

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Grafik: Hohes US-Lohnwachstum deutet auf Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale hin

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