Der Höhepunkt bei der Bekundung der eigenen Nachhaltigkeits- und Diversitätsvorbildlichkeit scheint vorüber zu sein. Der Fokus liegt wieder mehr auf konkreten Taten als auf Marketing-Phrasen.
Kennen Sie das? Sie stehen vor der Parkuhr, haben aber zu wenig Kleingeld, um die Apparatur zu füttern. Zugegeben: Im Zeitalter von Bezahlmöglichkeiten via Smartphone-App wird diese Situation je länger, desto seltener. Und dennoch trat sie kürzlich genauso auf. Denn am Neujahrstag verliess ich nicht nur – wie üblich – das Haus ohne Kleingeld, sondern vergass auch – wie weniger üblich – mein Handy daheim. Und nein, das war nicht einem Silvester-Kater geschuldet, grosses Ehrenwort! Was ich Ihnen aber versichern kann: Es ist ganz wohltuend, mal ein paar Stunden ohne Handy unterwegs zu sein.
Wie auch immer: Auf jeden Fall stand ich vor der Parkuhr, die mir in diesem Moment wie die metallisch-graue Verkörperung modernen Raubrittertums vorkam. Denn ich stellte das Fehlen von 50 Rappen bei meinem Kleingeld fest, welches ich zuvor in einer heroischen Suche in Handschuhfach, Türablage und Mittelkonsole meines Autos zusammengeklaubt hatte. Und während ich fluchend und wider besseres Wissen meine Taschen in der Hoffnung auf einen verborgenen Schatz in Form eines 50-Räpplers abklopfte, näherte sich eine Spaziergängerin mit Hund und fragte – also die Spaziergängerin, nicht der Hund –, wie viel mir denn fehlen würde. Scharfsinnig schloss ich, dass sich diese Frage auf mein Kleingeld (so hoffe ich zumindest) bezog, und teilte ihr den Fehlbetrag mit, worauf sie wie selbstverständlich die Geldbörse zückte und mir ein 50-Rappen-Stück schenkte. Ein freundliches «Schönen Tag noch», und schon zogen sie hechelnd und leineziehend weiter – also der Hund, nicht die Spaziergängerin.
Der Wind hat gedreht
Man mag dies als belanglose Alltagsepisode abtun. Die Geschichte kommt mir aber wieder in den Sinn, wenn man derzeit liest, wie sich vor allem amerikanische Firmen wieder vermehrt von einem – meiner Meinung nach – allzu oft nach Effekthascherei anmutenden Nachhaltigkeits- und Wokeismus-Kult verabschieden. Die Zeit scheint etwas vorbei zu sein, als sich die Marketing- und Kommunikationsabteilungen darin überboten, wer sich wohl den grünsten, diversesten und inklusivsten Anstrich verleihen kann.
Das zeigt sich etwa bei der «Net Zero Banking Alliance», aus der nach Citigroup, Bank of America, Goldman Sachs oder Wells Fargo diesen Dienstag mit JP Morgan die letzte amerikanische Grossbank den Austritt bekannt gab. Diese Abkehr von solchen Nachhaltigkeitsversprechungen erstreckt sich indessen nicht nur auf die ökologische Dimension. Auch mit Blick auf das Diversitäts-Credo scheint ein Umdenken einzusetzen. So kündigte etwa McDonald’s am Montag an, seine Initiativen für Diversität, Gleichstellung und Inklusion einzustellen. Die Konzernleitung der Fast-Food-Kette teilte in einem offenen Brief mit, Diversitätsziele für Top-Kader zu streichen und die speziellen DEI-Trainings (Diversity, Equity, Inclusion) herunterzufahren. Der Schritt von McDonald’s erfolgte, nachdem bereits Walmart, Ford, Toyota, Harley-Davidson oder John Deere die entsprechenden Regelungen und Richtlinien abgeschafft oder deutlich gelockert hatten.
Der Wind bezüglich eines möglichst öffentlichkeitswirksamen Bekenntnisses zu allen nur erdenklichen hehren Zielen scheint demnach zu drehen. Das hat einerseits mit dem Wahlsieg Donald Trumps und seinen Republikanern zu tun. Dass die USA in weiten Teilen eben doch wertkonservativer ticken, als man dies in den schicken, aber auch etwas abgeschotteten Firmenzentralen glauben wollte, liess sich sozusagen schwarz auf weiss auf den Wahlzetteln ablesen. Andererseits ist das Unbehagen gegenüber eines überbordenden Wokeismus und einer ad absurdum geführten Zurschaustellung von Diversitäts-Prinzipien nicht neu und stösst auch auf juristischer Ebene an seine Grenze. Zuletzt wurde etwa eine Klage von asiatisch-amerikanischen Harvard-Studenten am obersten US-Gerichtshof (Supreme Court) gutgeheissen. Die Studierenden klagten gegen die bevorzugte Einstellung bestimmter Minderheiten an ihrer Universität.
Machen. Nicht nur wollen.
Vor diesem Hintergrund ist die Rückkehr zu mehr Pragmatismus in einem emotional aufgeladenen Themenfeld begrüssenswert. Das bedeutet keinesfalls, dass die grundsätzlichen ökologischen und gesellschaftlichen Ziele verkehrt wären. Überhaupt nicht. Unternehmen sollen und müssen ihren Beitrag zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer nachhaltigeren Lebensweise leisten. Und dass Menschen unabhängig von Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung gleich zu behandeln sind, muss meiner Meinung nach eine Selbstverständlichkeit sein. Das Anstreben der Ausmerzung jeglicher Diskriminierung ist ein löbliches und richtiges Anliegen.
Jedoch sollte die Messlatte mehr an das konkrete Handeln (oder eben Nichthandeln) angelegt werden und weniger an die Niederschreibung eines x-ten Leitfadens, an eine weitere Betonung von Inklusion und Diversität in Stelleninseraten und Firmenbroschüren oder an die Teilnahme einer wohlklingenden, aber allenfalls gar nicht so wirkungsvollen Vereinbarung.
Gerade auch Anlegerinnen und Anleger, denen Nachhaltigkeit bei ihren Anlageentscheidungen ein Anliegen sind, sollten sich darüber im Klaren sein, dass ein lautstarkes und demonstratives Hinweisen auf die eigene Vorbildlichkeit keine Gewähr für ein tatsächlich verantwortungsvolles Handeln ist. Und es braucht das Bewusstsein, dass das Streben nach ökologischer und gesellschaftlicher Nachhaltigkeit ein komplexes Unterfangen mit vielen Grauzonen ist. Einfache, plakative Lösungen gibt es nicht, sondern sie belegen oftmals nur, dass gut gemeint keine Garantie für gut gemacht ist.
Es gibt keine einfachen Lösungen
Der Weg zu einer – hoffentlich – besseren Welt ist gepflastert mit Zielkonflikten jeglicher Art. Rigide Umweltschutzbemühungen in der Industrie können die Konkurrenzfähigkeit und damit Arbeitsplätze gefährden. Das Bemühen um Diskriminierungsbeseitigung für die eine Gruppe kann neue Ungerechtigkeiten für eine andere Gruppe bedeuten. Klimaschutz-Pakte bergen die Gefahr von wettbewerbsrechtlich problematischen Verzerrungen. Der Verzicht auf Fernreisen kann zu Dichtestress und Übernutzung bei lokalen Erholungsräumen führen.
Die Liste liesse sich fast beliebig fortsetzen, und man läuft Gefahr, entmutigt zu resignieren. Das wäre aber falsch. Im Grossen sollte man sich vielmehr weniger von vollmundigen Ankündigungen, geschönten Hochglanzbroschüren, weichgespülten Internetauftritten und Gefälligkeitsrezensionen (die nicht selten selbstverfasst sind) blenden lassen, sondern stattdessen auf das konkrete Verhalten abstützen. Unternehmen, die der mannigfaltigen Zielkonflikte bewusst sind und daher in kleinen, aber dafür vielleicht unauffälligen Schritten zu mehr gesellschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit hinarbeiten, erreichen oftmals mehr als jene, die lautstark die komplette Weltverbesserung in einem einzigen Aufwisch propagieren.
Im Kleinen hilft ein – so abgedroschen das auch sein mag – Vorangehen mit gutem Beispiel. Ein Behandeln aller Menschen mit Respekt und Anstand. Ein Engagement für das Gemeinwesen. Eine Verringerung der eigenen Müllverursachung. Oder ein selbstloses Aushelfen vor einem Parkautomaten.
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