Im Schweizer Strassenverkehr kommt es jährlich zu zehntausenden Staustunden. Diese entstehen grossmehrheitlich an den Werktagen und verursachen hohe Kosten. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.
Ende letzter Woche gingen auch in meinem Wohnkanton (Thurgau) die Herbstferien zu Ende. Traditionellerweise liess ich während dieser Zeit mit meiner Familie den Sommer in toskanischen Gefilden ausklingen. Wie viele andere Schweizerinnen und Schweizer – zumindest der Häufigkeit entsprechender Nummernschildern nach zu beurteilen – nutzten wir das Auto, um nach Bella Italia zu fahren. Im Gegensatz zu einem grossen Teil von ihnen betrug unsere Stauzeit aber sowohl bei der Hin- als auch bei der Rückfahrt genau… 0 (ich halte es gerne als Wort fest: null) Minuten.
Vorteilhafte Route und Reisezeit
Ja, ich spüre sie förmlich, die neidischen Blicke jener, die im stockenden bis stehenden Reiseverkehr feststeckten, von denen ich im Radio hörte. Ich versichere Ihnen: Wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen, das Geschwindigkeitslimit nicht allzu arg zu überschreiten, hätte ich bestimmt mit Ihnen mitgelitten. Doch, doch – ganz ehrlich!
Dass wir so geschmeidig das Schweizer Strassennetz durchquerten, ist massgeblich zwei Gründen geschuldet. Erstens wählten wir nicht die klassischen Reisetage (Anreise am Sonntag und Heimfahrt am Mittwoch), und zweitens ist aufgrund unseres Wohnortes die Route via San Bernardino und nicht jene durch den Gotthard die geeignetste Verbindung in den Süden.
Werktagverkehr führt zu Überlastungen…
Damit spielten uns zwei Umstände in die Hände, zu denen die meisten im Verkehr Feststeckenden gar keine Wahl haben. Denn auch wenn der Eindruck zur Ferienzeit anders ausfallen mag – die allermeisten Staustunden fallen nicht in der Freizeit (und somit auch nicht durch den Urlaubsverkehr) an, sondern entstehen werktags durch die berufsbedingte Mobilitätsbewegungen. Das zeigt eine Untersuchung des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) für 2019. Rund 88 Prozent aller Staustunden entfielen auf die Arbeitstage (Montag bis Freitag).
Diese Daten sind zwar mittlerweile bereits fünfjährig. An ihrer Aussagekraft dürfte sich allerdings kaum etwas geändert haben, zumal jüngere Zahlen durch die Pandemiejahre sowieso verzerrt wären. Stützt man auf die 2019-Daten ab, fielen im letzten Jahr somit rund 42 600 Staustunden an den Werktagen an. Gesamthaft kam es 2023 auf den Schweizer Strassen zu rund 49 000 Staustunden
…und zu hohen Kosten
Diese Steh- und Kriechzeiten sind nicht nur ärgerlich, sondern verursachen enorme ökonomische Schäden. Für 2019 beziffert das ARE die dadurch entstandenen Kosten auf rund drei Milliarden Franken. Oder anders ausgedrückt: Mehr als 4 Promille des Schweizer Inlandproduktes verpuffen sozusagen durch – ich gehe da von mir selbst aus – Fluchen und Schimpfen im Stop-and-Go.
Unabhängig davon, ob an der Abstimmung vom 24. November der geplante Ausbauschritt der Nationalstrassen angenommen wird oder nicht – autofahrerische Idealbedingen wie bei meiner Ferienreise dürften rar gesät bleiben. Denn der Individualverkehr in der Schweiz nimmt zu, und ein Abwenden vom Automobil ist nicht auszumachen.
Im Gegenteil: Das Wachstum bei der Anzahl zugelassener Personenwagen liegt sogar deutlich über der Zunahme der ständigen Wohnbevölkerung (siehe Grafik). Mit anderen Worten: Es leben nicht nur immer mehr Menschen in der Schweiz, sondern ein immer grösserer Anteil von Ihnen besitzt einen fahrbaren Untersatz. Die Feststellung, dass auch in Zukunft nicht eben wenige Staustunden vorprogrammiert sind, bedarf daher keiner besonders ausgeprägten hellseherischen Gabe.
Nicht nur das Strassennetz ist überstrapaziert
Darüber, wie diese Herausforderung mittel- und längerfristig zu meistern ist, scheiden sich – nicht zuletzt jetzt je nach politischer Couleur – die Geister. Von massivem Ausbau der Strasseninfrastruktur, über verschiedene Arten des Roadpricings bis hin zur generellen Verteuerung des motorisierten Individualverkehrs steht eine breite Palette möglicher Lösungsansätze im Raum. Bloss, die helfen den leidgeprüften Verkehrsteilnehmenden nicht unmittelbar weiter, wenn der nächste Stau an ihrem Nervenkostüm nagt.
Was also kann man tun? Meiner Meinung nach gibt es auch auf individueller Ebene mehrere Ansätze. Der erste: Augen zu und durch. Und nach Möglichkeit eine Flasche Baldrian griffbereit in der Mittelkonsole haben. Eine zweite Variante wäre – sofern einigermassen praktikabel – die noch stärkere Nutzung des Öffentlichen Verkehrs. Wobei auch hier besagte Flasche Baldrian durchaus gute Dienste erweisen kann. Denn 2019 verbrachten die ÖV-Nutzer 41 Millionen (!) Personenstunden in überlasteten Zügen, Strassenbahnen oder Bussen. Entspanntes Reisen sieht auch bei diesen Verkehrsmitteln oftmals anders aus.
Bleibt somit noch die Wahl zwischen ganz zu Hause bleiben und dem Vorgehen, das für mich bei den Herbstferien für freie Fahrt sorgte: Wer kann, sollte seine Fahrten ausserhalb der Stosszeiten planen und/oder weniger frequentierte Strecken in Erwägungen ziehen. Wobei – wenn es um die Herbstferien geht, muss das ja nicht unbedingt bedeuten, dass man sonntags und mittwochs über die San-Bernardino-Route in den Süden und wieder zurückfährt. Das hat jetzt weniger mit meinem Wohnort und meinem Urlaubsort zu tun. Ich meine das komplett uneigennützig. Doch, doch – ganz ehrlich!
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