Zuhause arbeiten hat sich in den Lockdowns bewährt, und so ist das Homeoffice «gekommen, um zu bleiben». Das hat auch Auswirkungen auf die Büro- und Wohnflächenmärkte, sagt Patricia Reichelt, Leiterin Research & Marktanalyse sowie Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung bei der Migros-Bank-Partnerin CSL Immobilien in Zürich.
(Das Interview erschien in der Mai-Ausgabe des Magazins «Immobilien Business» / Text: Birgitt Wüst)
Infolge der Corona-Krise erlebt die Schweizer Wirtschaft die härteste Rezession seit Jahrzehnten. Wie wirkt sich dies auf den Zürcher Büroflächenmarkt aus?
Patricia Reichelt: Viele Unternehmen waren verunsichert und haben daher Entscheide über ihre Flächenplanung vorerst auf Eis gelegt, was sich in der Flächenabsorption niedergeschlagen hat. Ende 2020 lag die im Wirtschaftsraum Zürich innerhalb von sechs Monaten verfügbare Bürofläche bei rund 800’000 Quadratmetern, d.h. um 8 Prozent höher als im Vorjahr. Insgesamt erweist sich der Zürcher Büroflächenmarkt damit als relativ stabil; doch gibt es eine starke regionale Differenzierung.
Was bedeutet dies konkret?
Die Lage in der Innenstadt von Zürich gestaltet sich anders als in der Peripherie. In der Stadt Zürich sorgt die breite Branchenstruktur für Stabilität am Büromarkt; für Nachfrage auch in Zeiten der Pandemie sorgten im vergangenen Jahr u.a. ICT-Unternehmen, die Gesundheits-, Medizin- und Pharmabranche, Beratungsunternehmen und Bildungsinstitutionen. Aber auch an weniger zentralen Standorten, an denen durch die rege Bautätigkeit der vergangenen Jahre das Büroflächenangebot stark zugenommen hat, wie etwa Zürich Nord, verläuft die Entwicklung uneinheitlich – auch dort gab es 2020 zahlreiche Vermarktungserfolge, wie etwa am Flughafen. Moderne Büroflächen mit einer direkten Anbindung an das S-Bahn-Netz sowie ausreichenden Verpflegungs- und Freizeitangeboten im Umfeld finden auch in der Agglomeration noch Mieter – doch Objekte, die diese Eigenschaften nicht bieten können, werden kaum mehr nachgefragt.
Mit den Lockdowns ist das Homeoffice in Mode gekommen. Nach dieser unfreiwilligen, aber gelungenen «Generalprobe» stellt sich die Frage, ob das Büro für Unternehmen nach Ende der Pandemie den gleichen Stellenwert haben wird wie früher.
Die Reaktionen bei den Unternehmen wie Mitarbeitenden sind unterschiedlich. Auf der einen Seite gibt es Unternehmen und Angestellte, die den persönlichen Austausch im Büro schätzen – auf der anderen Seite Firmen, die zugunsten eines höheren Homeoffice-Anteils ihre Flächen reduzieren, sowie Mitarbeitende, die ungestörtes Arbeiten und weniger Pendelzeit vorziehen. Eines ist sicher: Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Wie viel strukturelles Homeoffice bleiben und welche Auswirkungen dies auf den Büroflächenmarkt haben wird, ist noch nicht absehbar. Doch beobachten wir, dass Unternehmen bereits damit beginnen, ihre Flächen zu verkleinern.
In welchen Grössenordnungen?
Bei Konzernen und grossen Unternehmen ist von einer Halbierung der Büroflächen die Rede, bei den KMU von circa einem Drittel.
So ist mit weiter steigenden Leerstandsquoten zu rechnen …
Ob diese Pläne tatsächlich in allen Unternehmen umgesetzt werden, ist fraglich; auch verhindern in vielen Fällen langfristige Mietverträge, dass dies zeitnah geschieht. Zudem wächst bei den Angestellten der Wunsch nach sozialen Kontakten und danach, ins Büro zurückkehren zu können, ebenso wie die Homeoffice-Müdigkeit, und es hat sich gezeigt, dass die Effizienz der Arbeit im Homeoffice abnimmt. Das gilt vor allem für den Wissenstransfer: Die jungen Mitarbeitenden müssen noch lernen – und das geht nur voneinander und nebeneinander, nicht via Zoom-Konferenzen. Auch wenn eine grosse Mehrheit der Büromieter plant, «post coronam» hybride Arbeitsformen mit grösserem Homeoffice-Anteil beizubehalten, heisst das nicht, dass weniger Bürofläche benötigt wird. Das Büro ist nicht tot, es wird nur anders genutzt werden – als Begegnungs- und Kollaborationsort, der eine grosse Bedeutung hat für die Wertschöpfung und Produktivität sowie für die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen, kurz: für die Firmenkultur.
Was bedeutet das für die Nachfrage?
Die Ansprüche an den Standort und die Bürofläche werden steigen; gefragt sind zentrale, gut erschlossene Lagen, ein urbanes Umfeld mit vielen Angeboten sowie Flexibilität innerhalb des Mietobjekts. Die Arbeitswelt wird sich über 2021 hinaus fortwährend verändern.
Hat diese Entwicklung Auswirkungen auf die Wohnimmobilienmärkte?
Sicher – denn wer im Homeoffice sass, kam nicht umhin, sich intensiver mit der eigenen Wohnsituation zu befassen. Ein schönes Zuhause zu haben, ist wichtiger geworden. Davon profitierte vor allem das durch die tiefen Zinsen weiterhin befeuerte Eigentumssegment, in dem die Nachfrage das Angebot 2020 bei weitem übertraf. Wie bereits gesagt: Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben – und Homeoffice braucht seinen Platz. Das muss nicht zwangsläufig ein Extrazimmer bedeuten, doch die Bereiche Wohnen und Arbeiten sollten räumlich oder durch innenarchitektonische Lösungen getrennt sein. Auch die technische Ausstattung muss passen: Wenn das Homeoffice reibungslos funktionieren soll, braucht es eine schnelle und verlässliche Internetverbindung. Vorübergehend mag man seine Arbeit «am Küchentisch» absolvieren können. Nur: Wer dauerhaft oder regelmässig im Homeoffice arbeitet, wird sich nach einer für seine veränderten Bedürfnisse geeignetere Wohnung umsehen. Diese Entwicklung war insbesondere im Eigentumssegment spürbar, in dem auch ein privater Aussenraum und eine gute Besonnung stark an Bedeutung gewannen. Wer es sich leisten kann, tendiert eben zu einem zusätzlichen Zimmer.
Welche Auswirkungen hat dies auf die Nachfrage nach Wohnraum?
Bei der Zahlungsbereitschaft respektive Tragbarkeit hat die Pandemie Spuren hinterlassen. Breite Bevölkerungsanteile können oder wollen nicht mehr jeden Miet- oder Kaufpreis zahlen. Das hohe Preisniveau in der Stadt Zürich führt schon seit Längerem zu einer Verdrängung ins Umland, wo die Wohnungsmieten und -preise tiefer sind oder zumindest mehr Fläche zum gleichen Preis verfügbar ist. Dieser Trend hat sich aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit und auch durch Homeoffice verstärkt.
Worin äussert sich dies?
Mieter wie Käufer haben ihren Suchradius inzwischen über die relativ stadtnahen Räume hinweg ausgedehnt. Dies zeigt sich vor allem im Eigentumssegment: Selbst Objekte an weniger attraktiven Lagen, die zuvor nur sehr schwer zu vermarkten waren, fanden Käufer. Ferner beobachten wir, dass 2,5-Zimmer- Wohnungen relativ schnell absorbiert werden und Paare und Familien zunehmend 4,5-Zimmer-Wohnungen suchen, sofern sie bezahlbar sind. Anders sieht die Lage bei den 3,5-Zimmer-Wohnungen aus – denn für eine Person sind sie meist zu teuer, und für Paare oder Familien zu klein.
Welche Städte und Gemeinden der Agglomeration werden bevorzugt?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Nach wie vor gefragt sind Standorte, die über eine gute Infrastruktur verfügen, eine gute ÖV-Anbindung, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Kindergärten sowie Kultur- und Freizeitangebote. Vor allem Neubauten an sehr gut erschlossenen Lagen wurden 2020 im Mietsegment rasch absorbiert. Aber auch die Bedeutung von Naherholungsgebieten im Umfeld hat zugenommen.
Nimmt die Nachfrage nach Mietwohnungen in Zürich ab? Ohnehin steigen schweizweit die Wohnungsleerstände …
Für die Stadt Zürich gilt dies nicht: Die Nachfrage nach Wohnungen ist in einer für ihre Wirtschaftskraft, Ausbildungsstätten, kulturellen Angebote und hohe Lebensqualität so bekannten Stadt wie Zürich weiterhin sehr hoch. Hinzu kommt: Wer zu Hause nicht arbeiten kann oder will, hat in Zürich eine Ausweichmöglichkeit: das grosse Angebot an Shared-Offices. Die Leerstandziffer liegt in Zürich bei gerade einmal 0,15 Prozent – damit herrscht effektiv Wohnungsmangel. Leerstand gibt es nur bei Objekten im gehobenen Preissegment, wenn diese nicht den Anforderungen des Mietersegments gerecht werden, welches sie ansprechen sollen.
Welche Anforderungen sind das beispielsweise?
Nicht mehr nur Lage und Grösse, sondern auch Qualität und Ausstattung einer Wohnung müssen gefallen: Fehlende Balkone oder Terrassen sowie aus der Mode gekommene Fliesen und Bodenbeläge in Bad oder Küche entsprechen nicht den Erwartungen der Zielgruppe. Das Angebot muss in sich stimmig sein.
Trifft die in vielen Metropolen beobachtbare «Stadtflucht» auch auf Zürich zu?
Nein, denn selbst wenn die Agglomeration und ländliche Gebiete durch das Homeoffice noch attraktiver werden, kann von «Stadtflucht» nicht die Rede sein. Zürich ist nicht mit London zu vergleichen; Pendelzeiten von ein bis zwei Stunden täglich sind hier nicht die Regel und man kommt innerhalb kürzester Zeit ins Grüne. Und wie bereits erwähnt: Zürich ist eine sehr attraktive Stadt und hat sehr viele Vorzüge. Der massive Nachfragedruck bleibt bestehen.
Immobiliendienstleistungen aus einer Hand
Zusammen mit CSL Immobilien bietet die Migros Bank eine Dienstleistungspalette an, die den gesamten Lebenszyklus von Immobilien abdeckt. Abgerundet wird das umfassende Angebot durch Research und Marktanalysen des Schweizer Immobilienmarkts.