A couple standing in front of a house

Die Abschaffung des Eigenmietwerts rückt näher – oder doch nicht?

Der umstrittene Eigenmietwert soll endlich abgeschafft werden. Dies hat kürzlich die zuständige Kommission des Ständerates erneut bekräftigt. Doch in wesentlichen Details der Steuerreform ist kein Konsens in Sicht. Wer würde überhaupt von einem Systemwechsel profitieren?

Die Steuer auf Wohneigentum in der Schweiz blickt schon auf eine über 100-jährige Geschichte zurück. Erstmals führten die Behörden in Krisenjahren wie 1915 und während des Zweiten Weltkriegs eine solche Sonderabgabe ein. 

Aber die Steuer ist für Wohneigentümerinnen und -eigentümer schwer nachvollziehbar. Sie zahlen paradoxerweise eine Steuer dafür, dass sie ihre eigene Liegenschaft bewohnen. Nach einer Lehrmeinung im Schweizer Steuerrecht stellt die Nutzung von privatem Wohneigentum quasi ein «Naturaleinkommen» dar, das wie andere Einkünfte zu besteuern ist. Bloss: Dieses Einkommen ist ja fiktiv. Wohneigentümerinnen und -eigentümer haben nie einen Franken und Rappen davon gesehen. 

Sukzessive steigende Steuerlast

Eine Zeit lang führten Steuerrechtler das Argument der Gleichbehandlung an. Wenn nämlich Wohneigentümerinnen und -eigentümer Schuldzinsen steuerlich abziehen können, muss dies kompensiert werden – eben mit dem Eigenmietwert. Sonst wäre die Gleichbehandlung zwischen Miete und Wohneigentum nicht gegeben.

Das mag schlüssig sein. Bloss hat sich die Balance verschoben: Die Eigenmietwerte sind im Zug höherer Verkehrswerte immer gestiegen. Parallel dazu sind aber die abziehbaren Schuldzinsen extrem gesunken. Mit dem Effekt: Bei den meisten Eigentümerinnen und Eigentümern übersteigt die Steuerlast durch den Eigenmietwert deutlich die Höhe der Schuldzinsabzüge. 

Wie wird der Eigenmietwert berechnet?

Nach einem oft zitierten Urteil des Bundesgerichts muss der Eigenmietwert mindestens 60 Prozent einer vergleichbaren Marktmiete betragen. Jeder Kanton kennt sein eigenes Verfahren, um die amtlichen Werte und die Eigenmietwerte zu ermitteln. Manche Kantone wie etwa Zürich wenden dabei ein standardisiertes Verfahren nach bestimmten Formeln an. Andere Kantone verfügen über eine eigene Schätzungsabteilung, oder sie ziehen Vergleichsmieten aus der Region bei. Da die Einschätzungen periodisch angepasst werden, ist in vielen Kantonen mit einer Anhebung der Steuern zu rechnen. 

Die gewichtige Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) hat sich in den letzten vier Jahren intensiv mit den Varianten eines Systemwechsels auseinandergesetzt. Im Kern besteht Einigkeit, dass die unpopuläre Steuer endlich abgeschafft werden soll.

Eckpunkte des Systemwechsels

  • Grundsatz des Systemwechsels: Die Besteuerung des Eigenmietwerts für selbst genutztes Wohneigentum entfällt vollständig, und zwar sowohl auf Bundesebene als auch in allen Kantonen. Im Gegenzug wird bei Bund und Kantonen die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen eng limitiert oder ganz abgeschafft (hierzu bestehen verschiedene Varianten, siehe Textbox). Ebenfalls entfallen weitere Steuerabzugsmöglichkeiten für Gebäudeunterhalt, Renovationen, Versicherungsprämien sowie Verwaltungskosten durch Dritte. Ausnahmen gelten für Investitionen in Energiespar- und Umweltschutzmassnahmen und für den Denkmalschutz.
  • Energie und Umweltschutz: Diese Abzüge werden bei der Bundessteuer abgeschafft. Es bleibt aber den Kantonen überlassen, weiterhin solche Abzüge zuzulassen – für Massnahmen zum Energiesparen und Umweltschutz sowie im Zusammenhang mit dem Rückbau von Liegenschaften.
  • Denkmalschutz: Auslagen rund um Denkmalschutz bleiben bei Bund und Kantonen steuerlich abziehbar.
  • Ersterwerb eines Hauptwohnsitzes: Wer zum ersten Mal Wohneigentum als Hauptwohnsitz kauft, kann in den ersten zehn Jahren einen Teil der Hypothekarzinsen abziehen. Dieser sogenannte Ersterwerberabzug beträgt im ersten Jahr 5000 Franken (Ehepaare: 10’000 Franken). Der Abzug würde während der Frist von 10 Jahren jährlich linear sinken.
  • Zweitwohnsitz: Bei Ferienwohnungen und -häusern muss weiterhin der Eigenmietwert besteuert werden, ohne dass die heutige Form des Schuldzinsabzugs fortgeführt wird. Diese Regelung ist ein Zugeständnis an Tourismusregionen und Bergkantone, die somit weiterhin auf die Steuereinnahmen aus dem Eigenmietwert zählen können. Immerhin bleiben die weiteren Steuerabzugsmöglichkeiten bestehen.
  • Renditeliegenschaften im Privatvermögen: Hier gilt dieselbe Regelung wie beim Zweitwohnsitz.

Gewinner des Systemwechsels

Die Abschaffung des Eigenmietwertes käme vor allem Rentnerinnen und Rentner sehr gelegen: Im Pensionsalter gehen die Einkünfte meist stark zurück, während der steuerbare Eigenmietwert unverändert bleibt. Im Alter 65+ fällt die Besteuerung des Eigenmietwerts im Verhältnis zu den Einkünften stark ins Gewicht. Diese Haushalte werden geradezu dafür «bestraft»,  in einem grösseren Umfang Hypotheken zu tilgen.

Generell würden bei einer Abschaffung des Eigenmietwerts Wohneigentümerinnen und -eigentümer profitieren, die ihre Hypothek im Lauf der Jahre in grösserem Umfang amortisieren und zugleich kaum oder zumindest keine grösseren Investitionen in ihr Eigenheim tätigen. Denn in der aktuellen Lage werden sie benachteiligt, weil sie kaum etwas vom Eigenmietwert abziehen können.

Tendenziell profitieren würden auch Ersterwerberinnen und -erwerber von Wohneigentum, z.B. junge Familien. Die Streichung des Eigenmietwerts würde sie entlasten. Und gemäss der aktuellen Vorlage könnten sie ja immer noch – wenn auch klar begrenzt – Zinsen abziehen.

Die Verlierer eines Systemwechsels

Auf der Verliererseite wären Käuferinnen und Käufer von Altliegenschaften. Wer beispielsweise ein älteres Wohnhaus erwirbt und in grösserem Umfang in die Sanierung und Erneuerung investiert, könnte diese Auslagen nur noch in viel geringerem Umfang von der Steuer absetzen. Sowohl Ökonomen als auch das Baugewerbe rechnen sogar damit, dass die Anreize für Gebäudeunterhalt zurückgehen könnten. Wenn es zusehends unattraktiv ist, ältere Liegenschaften zu kaufen, hätte dies auch Folgen für den Immobilienmarkt – die Präferenz für Neubauten würde sich z.B. noch verstärken.

Gemäss dem aktuellen Stand der Vorlage setzt sich die Mehrheit der zuständigen WAK-S dafür ein, dass unter den fünf zur Auswahl stehenden Varianten (siehe Textbox) jene zum Zug kommt, die generell keine privaten Schuldzinsabzüge mehr ermöglicht. Dies wäre ein grundlegender Bruch mit heute akzeptierten Grundsätzen. Denn heute gilt: Wenn private Immobilienbesitzerinnen und -besitzer Wohnungen vermieten und diese Erträge versteuern, dürfen sie im Gegenzug die damit verbundenen Auslagen, Kosten und eben auch die Hypothekarzinsen abziehen. Kommt es zu einem vollständigen Verbot solcher Schuldzinsabzüge, hätten wir also noch zwei weitere Gruppen von Verlieren: die privaten Eigentümerinnen und Eigentümer von Renditeliegenschaften (z.B. Buy-to-let-Eigentumswohnungen oder Mehrfamilienhäusern) und von Zweitwohnungen. Wer also eine Zweitwohnung besitzt, zahlt weiter für den Eigenmietwert, kann aber die Schuldzinsen nicht mehr abziehen. 

Im Weiteren ist zu beachten, dass das Zinsniveau für den ganzen Systemwechsel eine entscheidende Rolle spielt. Solange die Hypothekarzinsen so tief sind wie jetzt, sind die Abzüge für sehr viele Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer tiefer als die Steuer auf dem Eigenmietwert. Bei Zinsen von 3,5 oder 4 Prozent macht es aber kaum einen Unterschied – die meisten können dann etwa gleich viel abziehen, wie sie zusätzlich an Steuern aufbringen müssen.

Fazit: Verschiedene Kommissionen, Verwaltungsbehörden und der Bundesrat schieben das umstrittene Dossier seit Jahren hin und her. Laufend werden wieder Zusatzberichte verlangt und überarbeitet, etwa zu den mutmasslichen Steuerausfällen für den Bund und die Kantone. Es ist klar, dass der öffentlichen Hand in grossem Umfang Steuerausfälle blühen könnten – auch hier wieder abhängig vom Zinsniveau. Die Vorlage an sich ist so ausgelegt, dass sie sehr viele Angriffsflächen bietet. Die erwähnten fünf Varianten beim Schuldzinsabzug weichen materiell derart stark voneinander ab, dass die Vorlage als Ganzes politisch kaum durchzusetzen ist. Die von der WAK-S favorisierte Variante 5 läuft de facto auf ein Verbot von privaten Schuldzinsabzügen hinaus. Dies wird die verschiedenen Lager im Parlament noch weiter auseinanderdividieren. Zumindest für die nächsten zwei bis drei Jahre ist es somit unwahrscheinlich, dass der Eigenmietwert endlich Geschichte ist.

Fünf Varianten beim Schuldzinsabzug

Nach dem geltenden Recht sind in der Schweiz Schuldzinsen im Umfang der steuerbaren Vermögenserträge zuzüglich weiterer 50’000 Franken abzugsfähig. Die fünf in der Vernehmlassung vorgeschlagenen Varianten wären strenger und würden zu tieferen Abzügen führen: 

Variante 1: Abzug von privaten Schuldzinsen in Höhe von 100 Prozent der steuerbaren Vermögenserträge. 

Variante 2: Abzug von privaten Schuldzinsen in Höhe von 80 Prozent der steuerbaren Vermögenserträge.

Variante 3: Abzug von privaten Schuldzinsen im Umfang der steuerbaren Erträge aus unbeweglichem Vermögen plus 50‘000 Franken für Beteiligungen von mindestens 10 Prozent am Grund- oder Stammkapital einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft. Dies wäre eine spezielle «KMU-Variante», insbesondere für Unternehmer bzw. Firmeninhaber.

Variante 4: Abzug von privaten Schuldzinsen im Umfang der steuerbaren Erträge aus unbeweglichem Vermögen. Damit wären z.B. Mieteinnahmen aus einer Zweitliegenschaft gemeint.

Variante 5: Vollständige Streichung privater Schuldzinsabzüge.  

Jürg Zulliger

Jürg Zulliger ist freier Journalist mit den Spezialgebieten Immobilienbranche, Bauwirtschaft, Wohneigentum und Wohnungsbau. Er schreibt für verschiedene Zeitungen und Fachpublikationen.

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