De-Globalisierung ist der falsche Weg

Die Globalisierung hat in den letzten vierzig Jahre für Wohlstand, eine niedrige Inflation und wenig kriegerische Auseinandersetzungen gesorgt. Protektionistische Tendenzen, die Pandemie und geopolitische Spannungen führen zu einem Umdenken und zu einem Trend der De-Globalisierung.

Vierzig Jahre lang Wohlstand, niedrige Inflation und Frieden

Die Globalisierung brachte in den letzten vierzig Jahren viel Wohlstand und führte zu einem drastischen Rückgang der Armut. Ein grosses Angebot von billigen Arbeitskräften, vor allem in China und den Schwellenländern, führte zu hohen Unternehmensgewinnen und erhöhte das weltweite Pro-Kopf-Einkommen. Die Globalisierung brachte auch eine Veränderung der Lieferketten mit sich. So befinden sich die Lieferanten nicht mehr nur im eigenen Land, sondern überall in der ganzen Welt. Die Just-in-time-Herstellung ermöglichte den Unternehmen, die Lagerkosten zu reduzieren und die Produktion in Niedriglohnländer auszulagern. Der globale Wettbewerb sorgte für niedrige Preise und bremste durch die Produktionsverlagerung das Lohnwachstum. Zudem dämpfte die Globalisierung in den letzten Jahrzehnten die Inflationsraten.

Die wirtschaftliche Verflechtung trug neben dem Wohlstand auch zu einer Periode von langem Frieden bei. Mit der internationalen Arbeitsteilung sind Nationen gegenseitig voneinander abhängig, sei es, um Waren zu kaufen oder zu verkaufen. So bestand automatisch ein Anreiz gute internationale Beziehungen zu pflegen und Konflikte ohne militärische Auseinandersetzungen zu lösen.

Protektionismus, Pandemie und geopolitische Spannungen führen zum Trend der De-Globalisierung

In den letzten Jahren gab es verstärkt protektionistische Tendenzen. Der amerikanische Ex-Präsident Donald Trump nahm das chronisch hohe US- Handelsdefizit im Jahr 2018 als Anlass, um mehrere Strafzölle auf Waschmaschinen, Solaranlagen, Aluminium und Stahl zu verhängen. China reagierte auf die Strafzölle mit protektionistischen Massnahmen und erhöhte beispielsweise den Selbstversorgungsgrad mit kritischen Gütern. Auch Regierungen von europäischen Ländern griffen in den letzten Jahren immer wieder zu protektionistischen Massnahmen. Grund dafür waren vor allem die soziale Ungleichheit in der Bevölkerung. Während es den Konsument*innen mit der zunehmenden Globalisierung immer besser ging, fühlten sich viele Arbeitnehmer*innen in kompetitiven Industrien wie z.B. der Stahlindustrie vermehrt als Verlierer und von der Politik nicht ernst genommen. Es ist seit langem bekannt, dass der weltweite Handel den allgemeinen Wohlstand verbessert, aber zu Verlierern in einzelnen Sektoren führt.

Paradigmen-Wechsel: Statt just-in-time lautet die Devise just-in-case

Die Pandemie hat das alles noch stärker in Frage gestellt. Denn die globale Vernetzung fördert neben dem Handel auch den Austausch von Infektionskrankheiten. Viele Länder haben sich mit Exportbeschränkungen als Reaktion auf die Krise noch stärker gegen innen gerichtet. Die Schwierigkeiten bei den Lieferketten stellten die Vorzüge der Just-in-time-Produktion, die bislang für geringe Lagerbestände, schlanke Produktion und niedrige Kosten stand, stark in Frage. Die Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern wie beispielsweise von Chipherstellern ist zu hoch. Statt Kostenreduktion ist die Sicherheit der Versorgung wieder vermehrt in den Mittelpunkt gerückt: Mit dem sogenannten Reshoring soll die Rückverlagerung von sicherheitsrelevanten Wirtschaftszweigen wie dem Halbleiter- und dem Energiesektor von Schwellenländern zurück in Industriestaaten folgen. Mit einer sogenannten Just-in-case-Produktion werden höhere Lagerkosten in Kauf genommen, um künftige Engpässe zu vermeiden.

Der Ukraine-Krieg und das wachsende Unbehagen gegenüber China haben das Reshoring zusätzlich noch verstärkt. Das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wurde geschädigt, und die geopolitischen Allianzen wurden verstärkt. Es entwickelte sich ein Trend des «Friend Shoring», also die Beschränkung des Handels auf Länder mit gemeinsamen Werten.

Abnehmender Welthandel im Jahr 2023 und grosse Herausforderungen

Es ist zu früh, das Ende der Globalisierung auszurufen. Der Welthandel wird trotz der Tendenzen zur De-Globalisierung im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr gemäss Schätzungen der Welthandelsorganisation WTO um 3,5 Prozent wachsen. Dieses Wachstum ist unter anderem auch auf die Erholung nach der Pandemie zurückzuführen. Für das Jahr 2023 prognostiziert die WTO aber nur noch ein Wachstum von 1,0 Prozent – eine deutliche Dynamik-Abschwächung. Gleichzeitig steht die Welt vor grossen globalen Herausforderungen: hohe Inflation, abschwächende Konjunktur, Energiekrise, Krieg in der Ukraine, geopolitische Spannungen und Klimaveränderung.

Der Trend der De-Globalisierung hilft uns nicht, diese Herausforderungen zu lösen. Wir werden vermutlich aufgrund des Reshorings und den geopolitischen Spannungen nie mehr zu den tiefen Warenpreisen von vor der Pandemie zurückkehren. Eher müssen wir uns an ein höheres Preisniveau gewöhnen. Je mehr protektionistische Massnahmen eingesetzt werden, desto schwieriger wird es, die Inflation zu bändigen.

Insgesamt war die Globalisierung in den letzten vierzig Jahren ein grosser Gewinn für die Weltbevölkerung. Die Handelsbarrieren dürfen nicht noch mehr ausgebaut werden. Vielmehr müssen wir schauen, dass wir die Globalisierung neu ausrichten: Die Lieferketten sollen diversifiziert und widerstandsfähiger werden. Der Welthandel darf dabei aber nicht eingeschränkt werden.

The KOF globalization index shows the decline in international economic integration in the very recent past.

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