Wasserglässer

Was der «Zinswahnsinn» bedeutet

Die Auswirkungen der extrem tiefen Zinsen sind um einiges gravierender, als in der Öffentlichkeit wahrgenommen: Das Sparen lohnt sich immer weniger. Besonders in der Altersvorsorge werden wir die Folgen stark zu spüren bekommen.

Was passiert, wenn es keinen Zins mehr gibt? Noch vor Kurzem hätte man eine solche Frage als «wahnsinnig» abgetan. Inzwischen ist es die Realität: Die Zinsen sind weltweit entweder extrem niedrig oder gar negativ. Doch was das effektiv bedeutet, ist vielen Leuten zu wenig bewusst.

Erstens kommt es zur paradoxen Situation, dass der Staat mit dem Schuldenmachen Geld verdienen kann. Neben der Schweiz gilt das bereits für zahlreiche andere Länder in Europa. Zweitens verliert der Zins seine Steuerungsfunktion. Diese sorgt nämlich dafür, dass das Kapital in Investitionen fliesst, welche zukünftig einen Mehrwert schaffen können. Ohne eine solche Lenkung dagegen versickert das Geld in nutzlosen Projekten.

Und drittens hat der Wegfall der Zinsen zur Folge, dass sich das Sparen nicht mehr lohnt.

Was das konkret heisst, möchte ich anhand der Mindestverzinsung in der beruflichen Vorsorge aufzeigen. In der 2. Säule haben Herr und Frau Schweizer ein Vermögen von 800 Milliarden Franken angespart – es geht also um enorme Summen. Während Jahren, von 1985 bis 2002, wurde dieses Geld mit 4 Prozent verzinst. Dank dem Zinseszinseffekt konnte man sein Vorsorgekapital somit innerhalb von 18 Jahren verdoppeln, wie auch die Grafik verdeutlicht. Über das gesamte Berufsleben konnte man sein Erspartes sogar vervierfachen. Sank der Zins von 4 auf 3,5 Prozent, dann erhöhte sich die Verdoppelungsdauer nur geringfügig von 18 auf 20 Jahre – eine Differenz von zwei Jahren (vgl. Grafik).

Sparen lohnt sich immer weniger
Mit dem neuen Mindestzins der 2. Säule von 1.25 Prozent dauert es 56 Jahre, bis sich Ihr Kapital verdoppelt. Bei 4 Prozent Zins bräuchte man nur 18 Jahre...
Mit dem neuen Mindestzins der 2. Säule von 1.25 Prozent dauert es 56 Jahre, bis sich Ihr Kapital verdoppelt. Bei 4 Prozent Zins bräuchte man nur 18 Jahre…

Welche Folge hat nun die Senkung der Mindestverzinsung von 1,75 auf 1,25 Prozent per Anfang 2016? Die Zeitdauer, bis sich Ihr Kapital verdoppelt, erhöht sich damit von 40 auf 56 Jahre! Obwohl der Zins ebenfalls um 0,5 Prozent reduziert wird, beträgt der zeitliche Unterschied nicht mehr zwei Jahre, wie im obigen Beispiel, sondern plötzlich 16 Jahre.

Das zeigt: Je tiefer der Zins bereits liegt, desto brutaler wird die Auswirkung einer weiteren Zinssenkung.

Der Grund ist der fehlende Zinseszinseffekt. Würde der Mindestzins um ein weiteres halbes Prozent auf 0,75 Prozent reduziert, dann dauerte es 93 Jahre, bis sich das Ersparte verdoppelte.

Albert Einstein wurde einst gefragt, welches die stärkste Kraft im Universum sei. Seine spontane Antwort lautete: «der Zinseszins.» Auch die Zentralbanken, insbesondere die Europäische, sollten sich wieder an diese Kraft erinnern.

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16 Kommentare über “Was der «Zinswahnsinn» bedeutet”

  1. Das Problem in dieser Art von Debatte ist, dass an Details (wie hier am Zins) herumdiskutiert wird, ohne zuerst den Überblick über die Gesamtstruktur des sozioökonomischen Gefüges in seiner Eigendynamik zu haben, oder mit anderen Worten ohne zuerst die Eigengesetzlichkeit des sozioökonomischen Prozesses als ganzem zu kennen. Mit Begriffen wie Gleichgewicht oder homo oeconomicus lässt diese Ebene nicht sicher erreichen, und der Glaube ist nicht hilfreich, so eine Eigengesetzlichkeit könne es nicht geben, weil das Wirtschaften als Tätigkeit des Menschen jederzeit frei wählbar sei. Zu diesen Oberflächlichkeiten kommt noch dazu, dass die monetäre Ordnung in der VWL denkbar schlecht erfasst ist und so das Verhältnis zwischen dem Wert der Güter und dem Wert des Geldes nur auf Vermutungen schwimmt. Dann ist je nach Standpunkt ein Thema wie z.B. der Zins vielfältig interpretierbar und man streitet um den Bart des Propheten, und jeder hat in seiner Perspektive recht, ohne dass insgesamt die Klarheit erreichbar werden könnte. Meist wird der heutige Stand des Systems als Kriterium für die Wahrheitsfindung angenommen, aber damit ist die wirkliche Klarheit nicht erreichbar und den üblen Folgen des heutigen Stands des Systems kann nicht entgangen werden. Darum habe wir viele Debatten und dennoch jede Menge Krisen, die nicht kleiner werden.
    Vielleicht interessiert sich jemand hier für die Möglichkeit, die Eigengesetzlichkeit des sozioökonomischen Prozesses als ganzem zu erkennen. Der Pfad dazu ist schon öfters publiziert worden, aber weil er den grossen Profiteuren ein Dorn im Auge ist, die das System steuern, fristet er ein Mauerblümchen-Dasein. So wird eine Wende nur durch noch dickere Krisen oder / und Massenaufstände erreichbar. Eine der ausführlichen Publikationen dazu findet sich hier: http://edoc.unibas.ch/1421/ – siehe dort Seiten 361-509, wo eine Darlegung zu finden ist, wie konfliktfreie Systeme erreichbar sind. Im engeren Sinne wird die Eigengesetzlichkeit des sozioökonomischen Prozesses als auf Seite 403-408 dargelegt (A law of nature that governs all forms of economy).

    1. Guten Tag Herr Schaerer
      Ich habe Ihren Link benutzt und habe die von Ihnen angegebene Stelle in Ihrer Publikation gelesen. Sie nehmen dort auch Bezug auf die Freiwirtschaftslehre. Ich habe geplant, am 18. April einen Einschätzung dazu wie auch zum Konzept des Schwundgeldes zu publizieren. Hinter solchen Konzepten steht die Vorstellung, dass der Zins etwas Schädliches oder Unsoziales sei. Ich teile diese Ansicht nicht, sondern denke, dass es so etwas wie einen natürlichen Zins gibt, weil der Mensch grundsätzlich den Konsum zum jetzigen Zeitpunkt demjenigen zu einem späteren Zeitpunkt (der mit vielen Unsicherheiten verbunden ist) vorzieht. Der Zins widerspiegelt somit diese Zeitpräferenz. Ich bin überdies auch skeptisch gegenüber den überzogenen Hoffnungen in die Geldpolitik, welche mit Negativzinsen ein stärkeres Wachstum erzwingen wollen. Die Gründe für die wirtschaftliche Stagnation liegen meines Erachtens tiefer und lassen sich nicht „per Knopfdruck durch die Notenbanken“ wieder in Ordnung bringen. Freundliche Grüsse, Albert Steck

  2. Ich sehe das genau so. Tiefe Zinsen sind kein Problem für die Sparer, weil die Teuerung auch sehr gering (oder negativ ist). Das Problem tiefer Zinsen liegt in den Fehlinvestitionen, wenn das investierte Kapital sozusagen gratis ist. In diesem Sinne sind wir froh, werden die Kapitalvorschriften für Banken verschärft und die Kreditvergabe durch strengere Vorschriften erschwert.

  3. Guten Tag Herr Steck

    Ihre Kolumnen sind nicht nur interessant, auch sehr professionell. Gratuliere. Geben viel Diskussionsstoff in meinem Börsenkreis.

  4. Zinseszins ist exponentielles Wachstum. Reale Grundgrössen sind aber begrenzt. Diese Grenzen kann der Zinseszins nicht aushebeln (Physik).
    Die Geschäftsbanken betreiben heute Buchgeldschöpfung aus dem Nichts (aus 1 Franken werden per Mausklick 100). Dieses Geld verleiht der Banker und kassiert dafür Zins (Gebühr). Ein geniales Geschäft für die Banker und die Hölle für die Schuldner. Damit dies möglich wurde, wurden weltweit die Märkte dereguliert. Das nennt man (unüberschaubare und unkontrollierbare) Globalisierung. Für die (mittlerweile systemrelevanten) Zocker hat man schliesslich noch die Termingeschäfte ins Leben gerufen. Der unkontrollierte Finanzlobbyismus hat die Politiker gekauft. Masslosigkeit, Überheblichkeit und vor allem die Gier der Finanzbranche werden dem System den Garaus machen und letztendlich die Finanzindustrie entmachten, was dringend nötig ist. Es stellt sich nur noch die Frage, wann der Crash kommt!
    Betrugen im Jahr 2007 die Schulden noch 269 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, ist das Verhältnis nun auf >286 Prozent gestiegen, so die internationalen Experten des Forschungszweigs von McKinsey in ihrem Report, den Spiegel Online publizierte. Unser Finanzsystem funktioniert aber nur so lange, wie die Schulden durch die demnächst ausgepressten Schuldner (Staaten, Gemeinden, Unternehmen oder Privatpersonen) auch bedient werden können.
    Fakt ist: Unser Wohlstand und Frieden fusst zu einem grossen Teil auf der Ausbeutung ärmerer Länder. Der Verteilkampf findet aber zur Hauptsache zwischen oben und unten statt und nicht zwischen innen und aussen.
    Nicht die Vorstellung einer gerechten Welt prägen die Abstimmungs- bzw. Wahlentscheidungen, sondern die Aufstiegsfantasien, was wiederum menschlich ist.

  5. Sehr geehrte Herren,
    Ich muss Herrn Martignoni klar zustimmen: Nestlé hat ja in den letzten Dekaden bekanntlich nur noch über Firmenzukäufe und -übernahmen die Dividenden halten können, durch künstliches Wachstum, nicht reales, und das Letztere zum Teil mit äußerst bedenklichen Mitteln durchgesetzt. Und sobald das von den USA im Moment geheim mit der EU verhandelte TTIP-abkommen unterzeichnet und ratifiziert werden wird, dann können wir uns darauf verlassen, dass die Steuerzahler, durch «berechtigte» bzw. brutal durchgesetzte Schadensersatzforderungen der Grosskonzerne an die Staaten (ohne Vetorecht), sehr rapide in die komplette Armverarmung fallen werden. Da nützen dann auch 0.75% Zins nichts mehr, um die Verdampfung des erwitschafteten Kapitals zu mildern. Auch Gold wird uns nicht mehr retten, nur ein von Grund auf und auf realen Werten (Erde, Mineralien, etc) bauendes Bewertungssystem einzelner Staaten könnte diesen absoluten Gier-Wahnsinn ein Ende bereiten. Deswegen habe ich keine Pensionskasse, sondern reale Werte. Frohes neues Jahr !

  6. Der Zinswahnsinn ist eine gute Bezeichnung, allerdings genau für das Gegenteil von dem, was Sie Herr Steck (und die meisten Ökonomen) im Artikel sagen wollen. Was heisst denn eine Verdoppelung des Kapitals in 18 Jahren? Die Besitzer des Kapitals haben dann doppelt so viel Geld in ihrem Eigentum. Woher stammt dieses Geld? Da gibt es genau zwei Möglichkeiten: Entweder mussten 1) alle anderen diesen Betrag abtreten, oder es wurde 2) neues Geld oder entsprechende Vermögenswerte geschaffen. Das soll angeblich durch Investitionen möglich sein: Aber wo sollten denn solche Pensionskassenvermögen investiert werden können, wenn sie mit 4% verzinst in 16 Jahren bei 1’600 Milliarden angelangt wären. Wie wollen Sie zusätzliche 800 Milliarden in die sowieso schon überinvestierte Schweiz stecken? Vermutlich würden sich einfach die Bodenpreise verdoppeln und damit wäre die scheinbare Reichtumsverdopplung praktisch wieder bei Null angelangt. Das Pensionskassenprinzip, das an den Zinseszins gekoppelt wurde, kann deshalb nicht funktionieren, weil es keine echten Werte in der Welt gibt, die sich ebenfalls nach dem Zinseszinsprinzip vermehren. Dass sich die Pensionskassen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr weiter anhäufen können liegt damit in der Natur der Sache, alles andere ist Augenwischerei.

    1. Guten Tag Herr Martignoni
      Gerne nutze ich die Gelegenheit, um Ihren Argumenten entgegenzutreten: Schauen wir doch einmal, wie die Welt vor 18 Jahren aussah. Die Schweiz hatte ein Bruttoinlandprodukt von knapp 400 Milliarden Franken. Seither ist dieses um zwei Drittel auf rund 650 Milliarden Franken gestiegen. Das ist zwar keine Verdoppelung – aber doch ein eindrücklicher Anstieg des Wohlstands. Die Lebenserwartung für einen 65-jährigen Mann ist in den letzten 18 Jahren ebenfalls um stattliche 3 Jahre gestiegen. An der Schweizer Börse ist der Swiss Performance Index seit 1997 von 4000 auf über 9000 Punkte gestiegen. Hier gab es sogar mehr als eine Verdoppelung. Dahinter stecken reale Werte, die in dieser Zeit geschaffen wurden. Innovationen und eine gesteigerte Produktivität haben dieses Wachstum ermöglicht. Nestlé zum Beispiel schüttete vor 18 Jahren erst gut eine Milliarden Franken an Dividenden an die Aktionäre aus. Inzwischen sind diese Ausschüttungen auf über 7 Milliarden Franken gestiegen. Unsere Pensionskassen und Vorsorgewerke, und damit wir alle, haben von dieser Wertsteigerung profitiert. Und ich zweifle nicht daran, dass unsere Unternehmen auch in Zukunft neue Werte schaffen können. Hingegen beinhalten die extrem tiefen Zinsen die grosse Gefahr, dass unser Kapital nicht mehr dorthin fliesst, wo es eben produktiv eingesetzt werden kann. Mit ihrer expansiven Geldpolitik können die Notenbanken lediglich «Zeit kaufen». Wirtschaftliche Probleme werden dadurch nicht gelöst. Im Gegenteil werden Ungleichgewichte und Fehlentwicklungen sogar noch zementiert. Ein Anstieg der Zinsen ist also im Interesse von uns allen, nicht zuletzt damit sich das Sparen wieder lohnt. Freundliche Grüsse, Albert Steck

      1. Guten Abend Herr Steck
        Danke für die Antwort, die ich gerne kommentiere. Sie haben sicher recht, das BIP ist in den letzten 18 Jahren stark gestiegen. Effektiv ist unser Wohlstand seit 1997 sicher noch etwas gestiegen, ob ich mir heute 66% mehr leisten kann als damals, ist natürlich individuell schwer zu beurteilen aber für sehr viele ist die Antwort klar Nein. Der SPI musste natürlich auch steigen, das ist klar, auch die Geldmenge hat ja von 469 auf 979 Mia Fr. zugenommen (M3). Und dass die Grosskonzerne und Banken ihren Anteil am Kuchen massiv gesteigert haben ist ebenfalls klar. Was ich aber sagen wollte ist, dass Zinseszinsen einer Exponentialfunktion folgen. Die ersten 800 Milliarden der Pensionskassen wurden hauptsächlich, seit Installation des BVG (1985), also über 30 Jahre angesammelt. Wieviel davon aus Zinserträgen kam wäre interessant festzustellen aber sicher nur ein kleinerer Teil. Nun müsste in den nächsten 16 Jahren aber 800 Mia. voll als Zinsen aus der Wirtschaft herausgeholt werden, dann (wenn wir mal bei der Vereinfachung bleiben) in den nächsten 16 Jahren 1’600 Mia. dann 3’200 Mia, 6’400 Mia. usw. Da wir mal annehmen können, dass die pensionskassenberechtigte Bevölkerung nur linear ansteigt (wenn überhaupt), könnten die Pensionäre in z.B. 32 Jahren also fast mit einer vierfachen Rente rechnen… Da aber die reale Wirtschaft wie gesagt NICHT exponentiell wachsen KANN (die Erde ist voll, die Ressourcen sind definiert knapp)…?
        Es ist eben das umgekehrte Seerosenbeispiel (Verdoppelungsbeispiel): 30 Jahre Wachstum bis die Hälfte des Sees bedeckt ist, und dann ist eben nur noch Platz für 1 Jahr mehr, bis alles bedeckt ist!
        Genau deshalb ist der Nullzins im Moment auch ein Lebensverlängerer für das System, die Notenbaken kaufen uns tatsächlich Zeit. Denn Sie haben vollkommen recht im letzten Abschnitt: Die massiven Ungleichgewichte müssten dringendst angegangen werden, aber hoffentlich mit mehr Intelligenz und Gemeinschaftsgeist anstatt mit Erhöhung der zerstörerischen Zinsen.

  7. Guten Abend Herr Steck

    Sie irren sich, kann Sie aber verstehen, da ich mir bis vor ein paar Monaten auch nicht bewusst war, dass für die ganze Misere auf diesem Planeten einer der Haupschuldigen der Zinseszins-Effekt ist. Dieser Effekt führt nämlich zu einer Umverteilung der Einkommen von Fleissig nach Reich! Schauen Sie sich mal den Vortrag in YouTube von Rico Albrecht (Freiheit – eine Frage des richtigen Geldsystems) an. Im Gegenzug empfehle ich Ihnen die Ausführungen von Prof. Dr. Dr. Wolfgang Berger (Durch fließendes Geld raus aus der Zinsknechtschaft) ebenfalls in YouTube.
    Es ist Zeit, dass wir auch bezüglich unserem aktuellen Finanzsystem erwachen. Es braucht auch hier Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Da sind umgehend auch die Ausbildungsstätten für Ökonomen und andere Wirtschaftsfachleute gefordert. Der Zinseszins-Effekt bewirkt Krieg und Zerstörung auf allen Ebenen. Letzlich bedeutet dies auch die Zerstörung unseres Planeten, weil dessen Resourcen nicht ins Unendliche gehen, wie eben der Zinseszins-Effekt!

    1. Guten Tag Herr Ingold
      Der Zins (und der Zinseszinseffekt) standen in der Geschichte über Jahrhunderte in einem schlechten Ruf. Es hiess, sie würden zu einer Ausbeutung der Schuldner und zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der «Kapitalisten» führen – was in manchen Fällen auch zweifellos zutraf. Ich teile Ihre Meinung jedoch nicht, dass eine Abschaffung des Zinses zu einer «besseren Welt» führen würde. In der Ökonomie ist der Zins ein Massstab für den Wert der Zeit. Wenn Sie also heute auf Konsum verzichten, dann ist der Zins Ihre Belohnung für diesen Verzicht. Ein gegenteiliges Konzept ist die Idee des Schrumpfgeldes oder Freigeldes von Silvio Gesell: Demnach sollte der Wert des Geldes schrumpfen (der Zins müsste also von Natur aus negativ sein), so wie auch ein Auto oder anderer Gegenstände mit der Zeit an Wert verlieren. Dieses Konzept hat sich in der Ökonomie aber nie durchsetzen können – nach meiner Meinung zu Recht. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie zum Beispiel unter diesem Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Silvio_Gesell#Geld_und_Freigeld
      Freundliche Grüsse, Albert Steck

      1. Guten Morgen Herr Steck

        Zurück von den Weihnachtsferien, möchte ich Ihre Antwort auch noch kommentieren. Denn Ihr Feedback, wofür ich Ihnen danken möchte, behandelt nur einen Teil meines Beitrages. Durch die Brille des Profitoptimierers gesehen, haben Sie Recht. Den Preis dafür haben die Herren Martignoni und Leuenberger untenstehend erklärt und nehmen mir quasi die Worte aus dem Mund.

        Das Problem ist in der Tat das exponentielle Wachstum das dazu führt, dass immer mehr Reiche von diesem Zinseszins-Effekt ohne etwas zu leisten leben können. Um dieses System zu bedienen, müsste deshalb auch die Wirtschaft exponentiell (letztlich unendlich) wachsen. Da dies unmöglich ist, zahlen wir (das Fussvolk), die Ärmsten in den Drittweltländern und letztlich Mutter Erde dafür – bis zum Kollaps. Dies führt unweigerlich zu Unruhen in der Bevölkerung (welche aktuell auch konstant zunehmen), zu Kriegen (selten oder nie hats auf der Erde so viele Kriegsschauplätze gehabt wie jetzt), Ausbeutung (die Zahl deren, die nichts haben nimmt stetig zu…Umverteilung von fleissig nach reich) und letztlich zu einem zerstörten Planeten (auch diesbezüglich ists wahrscheinlich später als 5 vor 12, durch Menschen verursachte Umweltkatastrophen werden immer zahlreicher).

        Es braucht jetzt ein neues, gerechtes Geldsystem, das nicht auf Schulden basiert. Prof. Dr. Dr. Wolfgang Berger (Durch fließendes Geld raus aus der Zinsknechtschaft) könnte ein Ansatz dafür sein.

        Happy new year an alle

        1. Guten Tag
          Mehrere Leser haben auf meinen Beitrag mit Kommentaren reagiert, die man als «wachstumskritisch» bezeichnen könnte. Als Ursache der aktuellen Probleme in der Wirtschaft bezeichnen diese Kommentare den Zinseszins, der für ein exponentielles Wachstum stehe, während die «realen Grundgrössen» dagegen begrenzt seien (Zitat aus dem Kommentar weiter unten von Rolf Leuenberger). Ich danke den Kommentarschreibern an dieser Stelle herzlich für Ihre Ausführungen, die ich hiermit in allgemeiner Form beantworten möchte.
          1.) Niemand möchte wohl die sozialen Errungenschaften unserer Zeit aufs Spiel setzen. Diese verdanken wir jedoch zu einem wesentlichen Teil dem starken wirtschaftlichen Wachstum in den letzten 200 Jahren sowie dem Produktivitätsfortschritt. Wie gigantisch diese Fortschritte sein können, verdeutlicht zum Beispiel das so genannte Mooresche Gesetz bei den Computerchips: Seit über 40 Jahren hat sich die Leistungsfähigkeit dieser Chips alle circa 18 Monate verdoppelt – auch dies ein exponentielles Wachstum, das wir dem menschlichen Erfindergeist verdanken.
          2.) Unbestritten ist auch, dass es in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten immer wieder zu Übertreibungen und Exzessen gekommen ist. Genau darin liegt aber die Gefahr der gegenwärtigen Nullzinspolitik. Diese zielt ja darauf ab, mittels tiefer oder gar negativer Zinsen das Sparen unattraktiv zu machen. Statt also das Geld zu «horten», sollen die Menschen es ausgeben, um die Konjunktur anzutreiben. Ebenso soll die Zinslast der Schuldner, insbesondere der Staaten, verringert werden. Eine solche Politik kann für kurze Zeit während einer akuten Krise durchaus angebracht sein. Wird der Zinsmechanismus allerdings während einer längeren Periode ausgehebelt, dann entsteht die Gefahr von neuen Blasen und Übertreibungen. Die New Economy-Blase und auch die Immobilienblasen in den USA, Spanien oder Irland wurden nachweislich durch sehr tiefe Zinsen angeheizt. Der Zins hätte hier also die wichtige Funktion, um die Entstehung neuer Ungleichgewichte zu verhindern. Gerade in China hat in den letzten Jahren ein starkes Schuldenwachstum stattgefunden, worauf wir hier auf dem Blog schon mehrfach hingewiesen haben.
          3.) Auf den Höhepunkt der Finanzkrise haben die Notenbanken einen wertvollen Beitrag geleistet, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Gefährlich ist es allerdings, wenn daraus nun ein übertriebener Machbarkeitsglaube in die Geldpolitik entstehen würde. Die Notenbanken können die strukturellen Probleme in einer Wirtschaft nicht lösen, auch wenn Statements im Stile von «whatever it takes» das Gegenteil suggerieren. Es wäre deshalb an der Zeit, wenn die Zentralbanken (insbesondere in Europa und Japan) ihre «unkonventionellen Massnahmen» wieder beenden würden und sich auch das Zinsniveau auf einem höheren Niveau einpendeln könnte. Das hätte unter anderem zur Folge, dass sich das Sparen wieder lohnt und würde auf längere Frist dazu beitragen, dass auch das Vertrauen in die Finanzmärkte zurückkehrt.
          Mit freundlichen Grüssen, Albert Steck

  8. Der Artikel ist irreführend und hat zur Folge, dass unnötige Angst geschürt wird. Es fehlt in ihrem Artikel das Aufzeigen der Geldentwertung durch die Inflation. Nur eine inflationsbereinigte Darstellung zeigt die wirkliche Auswirkung!

    1. Guten Tag Herr Meier
      Die reale Mindestverzinsung in der zweiten Säule seit 1985 habe ich sehr wohl erwähnt: sie betrug durchschnittlich 1,9 Prozent pro Jahr. Was ich allerdings in meinem Beitrag noch gar nicht angeschnitten habe und was die Aussage des «Zinswahnsinns» zusätzlich unterstreicht: Die fallenden Zinsen haben zur Folge, dass Obligationen – auch solche von eher geringer Qualität – plötzlich viel «wertvoller» geworden sind. Ein drastisches Beispiel sind die italienischen Staatsanleihen: Gemessen am S&P Italy Sovereign Bond Index haben diese seit Anfang 2007, also seit Ausbruch der Finanzkrise, um nicht weniger als 67 Prozent an «Wert» zugelegt und damit auch deutlich besser rentiert als Aktien. Dabei hat sich ja der Zustand bei den italienischen Staatsfinanzen in diesen letzten acht Jahren keineswegs verbessert. Halten wir also fest: An den Zins- und Kapitalmärkten haben sich über die letzten Jahre grosse Verzerrungen bei der Preisbildung aufgebaut. Aktuell haben europäische Staatsanleihen mit einem Volumen von 1700 Milliarden Euro, dies entspricht rund einem Viertel, eine Rendite unter null. All dies hat negative Konsequenzen für die Sparer und insbesondere für die Altersvorsorge, wobei immerhin die tiefen Inflationsraten einen gewissen Lichtblick darstellen. Freundliche Grüsse, Albert Steck

      1. Herr Meier hat völlig recht. Der Zinssatz ist nicht relevant, sondern die Preisentwicklung der benötigen Güter, welche auch Zyklen unterliegen. Momentan sind diese Zyklen (mit Ausnahmen) auf einem Tiefpunkt (Gold, Öl, importierte Güter, usw). Sinken diese, so haben wir mehr Kaufkraft, und wir geben fürs Gleiche weniger aus. Das eingesparte Geld ist dann der «Zins».

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