Hält sich das Inflationsgespenst auf Frachtschiffen versteckt?

Der Krieg im Nahen Osten beeinträchtigt zusehends auch wichtige Handelsschifffahrtsrouten. Als Konsequenz sind die Seefrachtraten teilweise schon spürbar gestiegen. Die komplette Bändigung der überschiessenden Inflation könnte sich dadurch verzögern.

Die Teuerung in Europa befindet sich auf dem Rückzug. Nach einem beispiellosen geldpolitischen Kraftakt, im dessen Zuge die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen innerhalb von 14 Monaten um 450 Basispunkte anhob, hat sich die Jahresinflation in der Eurozone mittlerweile deutlich von ihrem Höchststand von 10,6 Prozent (Oktober 2022) gelöst. Mit aktuell 2,4 Prozent nähert sich der Preisauftrieb sogar langsam wieder der von der EZB angestrebten Zielmarke von knapp 2 Prozent.

Zunehmende Bedrohung für den Welthandel

Dieser beachtlichen disinflationären Entwicklung droht nun aber durch den Krieg in Gaza ein dicker Strich durch die Rechnung. Denn seit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel und der militärischen Gegenreaktion befinden sich auch regionale Akteure in Aufruhr, die eigentlich nicht direkt in die kriegerische Auseinandersetzung zwischen der Hamas und Israel verwickelt sind. So haben sich die Huthi-Rebellen des seit Jahren im Bürgerkrieg versinkenden Jemen auf die Seite der Hamas geschlagen. Wie die palästinensische Terror-Organisation werden die Huthis dabei massgeblich vom Iran unterstützt und sind daher mit Drohnen, Raketen oder Marschflugkörpern militärisch relativ hochgerüstet.

Dieses beträchtliche Waffenarsenal wird zusehends zu einer realen Gefahr für den Welthandel. Denn das von den Huthi-Rebellen kontrollierte Gebiet liegt direkt an der Meerenge von Bab al-Mandab, welches das Tor zum Roten Meer und damit zu einer der dicht befahrensten Schifffahrtsstrasse markiert. Der am nördlichen Ende des Meeres gelegene Suezkanal ist einer wichtigsten Zugänge Europas zu den Weltmeeren und damit zum globalen Warenhandel.

Teurere Fracht

Es ist also einleuchtend, dass die Huthi-Attacken der letzten Tage auf Frachtschiffe vor der jemenitischen Küste mit grosser Sorge beobachtet werden. Zwar ist es zu einem gewissen Grad möglich, die Handelsschiffe durch militärischen Geleitschutz zu beschützen. Unter der Führung der USA sind bereits Gespräche im Gang, ein internationales Marinebündnis zusammenzustellen, welches die Seerouten sichert. Bloss kostet ein solches Unterfangen viel Geld und ein Restrisiko bleibt dennoch.

Das heisst, dass auch die Versicherungsprämien für die Reedereien deutlich steigen werden. Einen ersten Vorgeschmack – und damit ist man wieder bei der Inflation – gibt es bereits auf den Jahreswechsel. So kündigte diese Woche mit Hapag-Lloyd die grösste deutsche Reederei an, die Preise per 1. Januar 2024 aufgrund der verschärften Sicherheitslage empfindlich anzuheben. Um bis zu 9 Prozent erhöht das Hamburger Unternehmen die Container-Frachtrate auf Fernrouten.

Seefrachtraten: Risikozuschlag für die Suez-Routen

Solange sich die Sicherheitslage im Roten Meer nicht deutlich entspannt, dürften die internationalen Schifffahrtsunternehmen weitere Kostenanpassungen vornehmen, womit sich die Importpreise in Europa spürbar erhöhen werden. Ein Blick auf die jüngsten Daten scheint diese Befürchtung zu bestätigen: Verglichen mit der Zeit unmittelbar vor dem Hamas-Angriff sind die Container-Seefrachtraten für durch den Suezkanal führende Routen deutlich gestiegen (siehe Grafik).

Eine Inflationsrückkehr in Gefilde von vor einem Jahr erwarten wir dennoch nicht. Je nach Eskalation, Dauer und geografischer Ausbreitung der Nahostkrise ist es aber durchaus möglich, dass die entsprechend verteuerten Logistikkosten für zwei oder drei Prozent zusätzlichen Preisauftrieb sorgen. Dies mag nach überschaubaren Ausschlägen im Vergleich zur galoppierenden Inflation im Nachgang zur Corona-Pandemie anmuten. Die gegenwärtige Situation verdeutlicht aber, worauf wir verschiedentlich hinwiesen: Noch ist es zu unsicher, das Inflationsgespenst definitiv für verscheucht zu erklären. Es kann auf völlig unerwartete Weise zurückkehren. Auf dem Seeweg zum beispielsweise.

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