Für die Schweizer Wirtschaft ist die Chemie- und Pharmaindustrie ein unverzichtbarer Pfeiler. Deren starke Exportausrichtung nach den USA birgt aber auch grosse Gefahren. Diesen gilt es, möglichst proaktiv zu begegnen.
Die Schweizer Wirtschaft zeigt sich bemerkenswert resilient. Trotz des Kriechgangs in der Eurozone, geopolitischer Spannung und einer aggressiven US-Handelspolitik, gelang ihr im Schlussviertel 2024 eine deutliche Wachstumsbeschleunigung von 0,2 auf 0,5 Prozent gegenüber Vorquartal. Damit bleibt die hiesige Konjunkturlage zwar weiterhin alles andere als rosig, präsentiert sich aber gerade mit Blick ins nahe Ausland deutlich aufgehellt.
Zu verdanken ist dieser vergleichsweise robuste Wirtschaftsgang einmal mehr zu einem massgeblichen Teil dem Schweizer Pharmasektor. Während bei den restlichen Industriezweigen eine Stagnation zu konstatieren war, verzeichnete die chemisch-pharmazeutische Industrie ein Wachstum von 2,7 Prozent und trug damit entscheidend zum Exportanstieg von 4,2 Prozent bei. Knapp die Hälfte der Schweizer Warenexporte entfallen auf Chemie- und Pharmaprodukte (siehe Grafik). Sie wirken sozusagen als Vitaminpräparate.

US-Exposure: Segen…
Neben der privaten Konsumnachfrage bleibt die Chemie- und Pharmabranche somit einmal mehr eine zentrale Stütze des Schweizer Bruttoinlandprodukts. So erfreulich dies für die momentane Betrachtung zwar sein mag, erweist sich diese Freude mit Blick nach vorn aber nicht als gänzlich ungetrübt. Denn chemisch-pharmazeutischen Erzeugnisse machen den Löwenanteil an den Gesamtausfuhren in die USA aus. Rund 61 Prozent aller Exporte in die Vereinigten Staaten entfielen im letzten Quartal auf entsprechende Produkte.
Dank dieser Export-Ausrichtung des gewichtigsten Schweizer Industriezweigs gelingt es der Schweiz, sich zu einem gewissen Grad dem erheblichen Konjunkturgegenwind in Europa zu entziehen. Während die Wirtschaft in der Eurozone 2024 um 0,7 Prozent wuchs und in Deutschland sogar zum zweiten Mal in Folge schrumpfte, kam das Wachstum in der Schweiz auf rund 0,9 Prozent zu liegen. Die im Vergleich zu den übrigen Industriesektoren geringere Europa-Abhängigkeit des Pharmasektors zahlte sich damit auch auf Ebene der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aus.
…und Fluch zugleich
Umgekehrt ist Konzentration auf die USA für die wichtigste Schweizer Exportbranche aber auch nicht ohne Risiko, das insbesondere seit dem Amtsantritt der neuen US-Regierung wieder stärker in den Fokus gerückt ist. Da sind zum einen die im Raum stehenden Zolldrohungen, von denen auch die Chemie- und Pharmaerzeugnisse nicht verschont sind. So liess Donald Trump schon mehrmals verlauten, dass Zölle – bekanntlich eines seiner Lieblingsworte – Anreize schaffen könnten, entsprechende Produkte vermehrt in Amerika herzustellen. Über die allfällige Höhe solcher Importabgeben schweigt sich der US-Präsident bislang aus. Klar ist aber, dass auch bereits tief bemessene Zölle die Schweizer Pharmaindustrie empfindlich träfen. Schätzungen zufolge erwirtschaften allein die beiden Branchenriesen Novartis und Roche rund 40 Prozent ihres Arzneimittel-Umsatzes in den Vereinigten Staaten.
Das Ungemach würde sich ausweiten, wenn die US-Administration zudem zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Deckelung oder gar einer Senkung der Medikamentenpreise greift, wie dies bereits unter der Vorgänger-Regierung im Rahmen von «Medicare» erfolgte. Ein solcher Schritt gilt als nicht unwahrscheinlich und kann im Falle von tatsächlicher Zollerhebung nahezu als gesichert betrachtet werden. Denn damit verhindert Donald Trump eine Weitergabe der Zölle über die Preise an die Konsumentinnen und Konsumenten. Zollgetriebene Preissteigerungen bei lebensnotwendigen Produkten sind der inländischen Beliebtheit des Präsidenten kaum zuträglich.
Insbesondere die Pharmabranche steht mit Blick auf die USA somit vor einem doppelten Risiko: Die Verkaufsmargen könnten sich aufgrund staatlich festgesetzter Maximalpreise spürbar schmälern, während sich gleichzeitig das US-Geschäft infolge von Zöllen deutlich verteuert.
Eine schwierige, aber nicht ausweglose Situation
Aus dieser unangenehmen Situation gibt es zwei Auswege. Der eine ist die Produktionsverlagerung in die USA. Das wäre zwar ganz im Sinne Trumps, würde aber der Schweizer Volkswirtschaft erheblichen und schwer verdaubaren Schaden zufügen. Die Schweiz verlöre nicht nur die elementare Stütze des Aussenhandels, sondern müsste auch nicht zu unterschätzende Zweitrundeneffekte durch den Wegzug hochqualifizierter Arbeitskräfte vergegenwärtigen. Für den hiesigen Werks- und Forschungsstandort wäre dies – gelinde gesagt – ein Desaster.
Der zweite Ausweg ist nur schon aus diesem Grund um ein Vielfaches verlockender: Die Schweiz muss alles daransetzen, mit den USA ein Freihandelsabkommen zu unterzeichnen. Das klingt zwar nach einer Herkulesaufgabe. Ruft man sich aber in Erinnerung, dass ein solches Abkommen ausgerechnet während der ersten Amtszeit von Donald Trump bereits einmal kurz vor Abschluss stand, ist durchaus ein gewisser Optimismus angezeigt. Doch der Freihandel mit der grössten Volkswirtschaft wird nicht ohne Konzessionen zu kriegen sein, und allen Partikularinteressen wird kaum gerecht werden. Dies sollten die Schweizer Verhandlungsführer aber in Kauf nehmen. Ansonsten wächst die Gefahr, dass die Chemie- und Pharmabranche nicht mehr durch ihre Rolle als Rückhalt der Schweizer Wirtschaft charakterisiert sein wird, sondern buchstäblich durch Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen.
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