Während die westlichen Volkswirtschaften weiterhin mit der Bekämpfung der Inflation beschäftigt sind, ist der chinesische Verbraucherpreisindex im Juli gesunken. Die Deflation ist ein Anzeichen der bedenklichen Lage der chinesischen Wirtschaft.
Im Juli 2023 sanken die Konsumentenpreise in China gegenüber dem Vorjahresmonat um 0,3 Prozent. Der Preisrückgang war von den Nahrungsmitteln und Konsumgütern getrieben: am meisten brach der Preis des Schweinefleisches ein (-26 Prozent), ein sehr beliebtes Grundnahrungsmittel der chinesischen Küche. Auf den ersten Blick könnte diese Nachricht sogar positiv klingen, da sich gerade westlichen Konsumenten*innen daran gewöhnt haben, dass sich die Konsumentenpreise nur in eine Richtung bewegen, und zwar nach oben.
Allerdings stellt eine Deflation ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar, das zu einer Abwärtsspirale führen kann: Die tieferen Preise setzen die Margen der Unternehmen unter Druck und führen zu tieferen Gewinnen. Die Unternehmen müssen dann ihre Produktionskosten vermindern. Dazu gehören oftmals auch Lohnkürzungen und Stellenabbau. Sinkende Einkommen der Haushalte wiederum haben eine rückläufige Konsumnachfrage zur Folge. In der Vergangenheit musste Japan jahrelang die Deflation und ein schwaches Wirtschaftswachstum bekämpfen. Dies sollte als Warnung zu den negativen Auswirkungen der Deflation dienen.
Im Gegensatz zu den westlichen Ländern hat China keinen Inflationsschub nach der Aufhebung der drakonischen COVID-Einschränkungen und der Wiedereröffnung der Wirtschaft erlebt. Die Teuerung schoss nie über das Inflationsziel der Zentralbank von 3 Prozent. Nach der endgültigen Einstellung der Null-COVID-Strategie am Anfang dieses Jahres sank die chinesische Inflationsrate allmählich von 2,1 Prozent im Januar bis 0,0 Prozent im Juni und notierte im Juli im negativen Bereich. Die Produzentenpreise haben sich bereits seit dem letzten Oktober 2022 deflationär entwickelt, um den sinkenden Rohstoffpreisen und der abschwächenden Nachfrage Rechnung zu tragen.
Die schwache Nachfrage bremst die chinesische Wirtschaft
China hat es noch nicht geschafft, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie hinter sich zu lassen. Dabei begann das Jahr 2023 vielversprechend – mit einem Wirtschaftswachstum, das im ersten Quartal über den Erwartungen der Analysten lag (2,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal) an. Die Euphorie über die Wiedereröffnung hielt nicht lange an und im zweiten Quartal wuchs das BIP noch um 0,8 Prozent. Die Verlangsamung ist grundsätzlich der schwachen Nachfrage nach chinesischen Waren und Dienstleistungen geschuldet.
Einerseits haben die rapiden Leitzinserhöhungen in den wichtigsten Handelspartner Chinas Bremsspuren hinterlassen, da die Abkühlung der Konjunktur zu einer niedrigen Nachfrage nach chinesischen Produkten führt. Im Juli haben die Exporte den bisherigen Tiefpunkt seit dem Ausbruch der COVID-Pandemie erreicht. Die Aussichten für die kommenden Monate bleiben weiterhin eingetrübt, da weitere Leitzinserhöhungen und die erschwerten Bedingungen für Kreditvergaben gegen eine rasche Erholung der globalen Nachfrage sprechen.
Andererseits hat sich die Binnennachfrage nach dem dank Nachholeffekten starken ersten Quartal abgekühlt. Der private Konsum schwächelt, und die Investitionen lassen nach. Der Immobilienmarkt bleibt problematisch: Die Anzahl Transaktionen bleibt auf einem tiefen Niveau, die Preise neuer Immobilien weisen eine sinkende Tendenz auf und die Immobilienentwicklungsgesellschaft wie beispielsweise Country Garden kämpfen mit finanziellen Schwierigkeiten aufgrund der hohen Verschuldung. Die chinesischen Behörden als Wirtschaftsplaner sind dabei nicht passive Zuschauer, sondern die Wirtschaft durch Massnahmen zur Förderung des privaten Konsums und des Immobilienerwerbs anzukurbeln. Auch die chinesische Zentralbank versucht durch die expansive Geldpolitik, die Binnennachfrage zu stimulieren.
Hohe Jugendarbeitslosigkeit und zukünftiger Arbeitskraftmangel
Ein weiteres Problem der chinesischen Wirtschaft ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Im Juli lag die Arbeitslosenquote bei den 16- bis 24-Jährigen bei über 21 Prozent. Die Unternehmen scheuen sich vor der Einstellung neuer Absolvent*innen. Die Einarbeitung von jungen Arbeitnehmenden in die Arbeitswelt erfordert Ressourcen, die die Arbeitgeber in aktuellem unsicherem Umfeld lieber für die Einstellung erfahrenerer Mitarbeitenden einsetzen. Zudem scheint es eine Diskrepanz zwischen den belegten Ausbildungsfächern und den am Arbeitsmarkt gefragten Berufsbildern zu geben.
Die Nachwuchsintegration in die Berufswelt ist ein entscheidender Faktor für die Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der chinesischen Wirtschaft. Denn die Alterung der Gesellschaft ist ein kritischer Punkt: aufgrund der mittlerweile aufgehobenen Ein-Kind-Politik wird der Anteil der Erwerbstätige an der gesamten Bevölkerung abnehmen und mittelfristig besteht das Risiko, dass die Arbeitenden, die in den Ruhestand gehen, nicht vollständigen ersetzt werden können. Dies könnte dazu führen, dass die Unternehmen die Digitalisierung in der Produktion beschleunigen und vermehrt Menschen durch Maschinen ersetzen werden, da der Produktionsfaktor «Humanes Kapital» mit zunehmender Knappheit teuer wird.