Die Vereinigten Staaten sehen sich mit mannigfaltigen Problemen konfrontiert. Diese werden auch an den US-Aktienbörse nicht spurlos vorbeiziehen. Ein allzu pessimistischer Blick auf Amerikas Konjunktur und Finanzmärkte ist aber nicht angezeigt.
Vom «Land of Hope and Dreams» singt Bruce Springsteen in einem 1998 erschienen Song über sein Heimatland Amerika. Vom «Land der Hoffnung und Träume» also. In typisch amerikanischer Ärmelhochkrempel-Manier beschwört der «Boss» seine Landsleute, Widrigkeiten zu überwinden, Ballast abzuwerfen und nach einer besseren Zukunft zu streben. «We’ll take what we can carry, yeah, and we’ll leave the rest.» Pathetisch? Ohne Zweifel. Vielleicht trotzdem – oder gerade deshalb – nicht ganz verkehrt? Das scheint uns durchaus wahrscheinlich.
Springsteen gilt als aufmerksamer Beobachter der Gesellschaft mit einem feinen Gespür für die Sorgen und Ängste sowie die Hoffnungen und Träume der ganz gewöhnlichen Menschen in seinem Land. Wenn er an die «Packen-wir-es-an!»-Mentalität seiner Landsleute appelliert, zielt er nicht in den luftleeren Raum, sondern adressiert sich an eine uramerikanische Eigenschaft schlechthin.
Die Herausforderungen sind unterschiedlicher Natur
Eine Eigenschaft, die den Amerikanerinnen und Amerikanern gerade auch im gegenwärtigen Umfeld zugutekommt. Denn das «Land der Hoffnung und Träume» befindet sich seit geraumer Zeit in einer Phase der gesellschaftlichen Verunsicherung, des politischen Hickhacks und der wirtschaftlichen Umwälzung. Alles zusammen ergibt ein wenig erfreuliches Bild, das die Supermacht auf den ersten Blick hinterlässt.
Zwar hat man sich mittlerweile schon an die tatsächlichen oder in letzter Minute abgewendeten Shutdowns gewöhnt. Das zeitweilige Herunterfahren von gewissen Bundesstellen und -aktivitäten, um das Budget zu entlasten, schwebt sozusagen permanent als Damoklesschwert über jeder US-Administration. Entsprechend gelassen sehen die Amerikaner dem drohenden Shutdown vom November entgegen, wenn das aktuelle Übergangsbudget ausläuft. So weit, so altbekannt.
Ein Novum hingegen ist das Ausmass des politischen Chaos in Washington. Ein amtierender, von altersbedingten Aussetzern geplagter Präsident, dessen Sohn unter Anklage steht und sich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sieht. Ein strafrechtlich verurteilter Ex-Präsident, der zudem mehrerer schwerwiegender Vergehen angeklagt ist, aber dennoch ein nicht eben aussichtsloser Kandidat für die erneute Wahl ins höchste Amt ist. Und jetzt auch noch ein abgesetzter Sprecher des Repräsentantenhauses und damit eine vorderhand handlungsunfähige Kongresskammer. Die politische Führung der weltgrössten Volkswirtschaft hinterlässt in der Tat einen unrühmlichen bis peinlichen Eindruck.
Der Streik wird wieder zum probaten Mittel
Nicht gänzlich neu, aber in dieser Heftigkeit schon beinahe vergessen geglaubt, ist zudem die Streikwelle, die durch das Land rollt. Von der Autoindustrie über die Filmbranche bis zum Gesundheitswesen – die massenhafte Arbeitsniederlegung hat wieder Einzug in die amerikanische Wirtschaft gehalten und ist erneut salonfähig geworden. Und dies, obschon sich die konjunkturellen Aussichten eintrüben und sich das verfügbare Einkommen der Privathaushaushalte wieder zu schmälern beginnt. Bereits sind die während der Pandemie angehäuften Ersparnisse weitgehend aufgezehrt, und die private Verschuldung nimmt wieder zu.
Und schliesslich ziehen sich tiefe, unüberbrückbar scheinende Gräben durch die amerikanische Gesellschaft. Die politisch festgefahrenen Fronten verlaufen bis weit in die Bevölkerung und haben sich spätestens seit der Amtszeit von Donald Trump und dessen Nicht-Wiederwahl unerbittlich verhärtet. Von «United we stand» ist im heutigen Amerika nicht mehr viel zu spüren. Vielmehr erhält die Befürchtung zusehends Auftrieb, dass sich der zweite Teil der geläufigen Redewendung zu manifestieren beginnt: «Divided we fall.»
Eine Rezession zeichnet sich nicht ab
Für einen eigentlichen Fall sind aus ökonomischer Sicht aber weiterhin kaum Anzeichen auszumachen. Gesellschaftlicher Zerrissenheit, immer prekärerer Verschuldungssituation sowie politischem Stillstand und Tamtam zum Trotz – die US-Konjunktur zeigt sich nach wie vor bemerkenswert resilient, um nicht zu sagen solide. Die Beschäftigung befindet sich seit geraumer Zeit im Höhenflug, die überbordende Inflation ist auf dem Rückzug, und die Einkaufsmanager-Indizes signalisieren bislang nur ein leichtes Schwächeln der Industrie, während sie beim Dienstleistungssektor auf eine anhaltende Expansion hindeuten.
Alles halb so wild also? Wir haben da zumindest aus Anlageperspektive eine gewisse Skepsis. Denn auch wenn wir weiterhin an unserem seit langem propagiertem Szenario der Rezessionsvermeidung festhalten, so erwarten wir doch eine beachtliche konjunkturelle Eintrübung. Der steile Zinsanstieg wird die Haushalte zunehmend belasten und damit die private Konsumnachfrage als essenziellen Wachstumspfeiler belasten. Gleichzeitig führt der Ausgang des gehässig geführten Präsidentschaftswahlkampfs zu erheblichen binnenwirtschaftlichen Unsicherheiten, während aufgrund der angespannten Weltwirtschaftslage die bereits schon schwachen aussenwirtschaftliche Impulse weiter nachlassen werden.
Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass der Gegenwind an den US-Aktienmärkten eher zu- als abnehmen wird. Kommt hinzu, dass die zurückgehende Inflation für amerikanische Aktien ein zweischneidiges Schwert ist. Denn je mehr sich die Erkenntnis durchsetzt (beziehungsweise nicht mehr verdrängt wird), dass das Zinsniveau für längere Zeit auf deutlich erhöhtem Niveau verharrt, desto mehr gewinnen Obligationen gegenüber Aktien an Attraktivität. Eine weiter rückläufige Teuerung verstärkt diesen Effekt, da dadurch auch die Realrenditen von risikoarmen Staatsanleihen steigen.
Vorsicht ist angebracht, aber kein Alarmismus
Aus diesen Gründen neigen wir bezüglich eines Engagements in US-Aktien zur Vorsicht, ohne gleich den Teufel an die Wand malen zu wollen. Die Vereinigten Staaten mögen in vielerlei Hinsichten in einer herausfordernden bis schwierigen Situation stecken – den Abgesang auf sie sollte man aber dennoch nicht anstimmen. Mit dem wirtschaftlich schwächelnden China und der Wiederentdeckung von «Hard Power» aufgrund zugenommener geopolitischer Spannung ist Amerikas globale Führungsrolle so unangefochten wie schon lange nicht mehr.
Und nicht zuletzt verorten wir in der tief verwurzelten Mentalität des «weiter geht’s» eine nicht zu unterschätzende Quelle der längerfristigen Beständigkeit der amerikanischen Wirtschaft. Ja, es sind Wolken über den USA aufgezogen, aber der – bewundernswerte – Optimismus, der weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung zu eigen ist, bildet eine gute Voraussetzung, dass der Himmel dereinst wieder aufklaren wird. Oder wie es Bruce Springsteen in seinem «Land of Hope and Dreams» ausdrückt: «Well, tomorrow there’ll be sunshine, and all this darkness past».
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