Bei den vorgezogenen Nationalversammlungs-Wahlen in Frankreich landete das rechtsnationale Rassemblement National (RN) überraschenderweise nur auf Platz drei. Stattdessen entschied das Linksbündnis Neue Volksfront die Wahl für sich. Ein Sieg mit einem bitteren Beigeschmack – sowohl für Frankreich wie auch für Europa.
Nein, zu mehr Klarheit führte die vorgezogene Wahl für die wichtigere der beiden französischen Parlamentskammern nicht. Denn die linke Volksfront kommt auf 178 Sitze, Präsident Macrons Mitte auf 150, Le Pens RN auf 125 Mandate. Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen wird demnach von keiner der grossen politischen Kräfte erreicht.
Schwierige Regierungsbildung
Das klingt auf den ersten Blick nach einem Sieg für Mitte-Links, da sich Macrons Mitte-Bündnis angesichts des drohenden RN-Wahlsieges mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten zusammenschlossen. Doch Frankreich steht damit vor einer schwierigen Zukunft. Denn während Macron noch bis 2027 Präsident, ist unklar, welches politische Lager zukünftig den Premierminister stellen wird, da der jetzige Amtsinhaber und Macron-Vertraute Gabriel Atal am Sonntagabend seinen Rücktritt ankündigte.
Die Regierungsbildung gestaltet sich schwierig, weil einerseits die politische Kultur Frankreichs nicht mit dem Prinzip der Koalitionsregierung vertraut ist. Andererseits rächt sich der verzweifelte Schulterschluss zwischen den Mitte- und Linksparteien, deren inhaltliche Positionen teilweise meilenweit auseinanderstehen. So bekämpften etwa die Sozialisten mit aller Kraft die von Macron durchgepeitschte Rentenreform. Die politischen Gemeinsamkeiten sind minimal.
Nur gegen etwas zu sein, reicht nicht
Damit zeigt sich in Frankreich, was die Demokraten in den USA bereits auf die harte Tour lernen mussten: Nur gegen etwas zu sein, reicht nicht als Wahlprogramm. Im Gegenteil: Das Lotterbett, in das sich die Mitte und die Linke einzig zur Wahlsiegverhinderung Le Pens legten, kann mittelfristig erst recht zum Sprungbrett des RN werden. Denn während die Koalitionäre ihre Positionen weiter verwässern, kann das Rassemblement mit das politische Profil weiter schärfen.
Die Zweck-Ehe tut aber Europa insgesamt keinen Gefallen. Erstens ist mit der Einbindung extrem linker Kräfte der befürchtete Ausgabe-Schlendrian nicht vom Tisch. Die Sorgen um die sowieso schon hochverschuldete und häufig wachstumsschwache zweitgrösste Eurozone-Volkswirtschaft verschwinden nicht. Und zweitens bleibt der politische Betrieb gelähmt und von einer starken Rechtsaussen-Partei vor sich hergetrieben. Die Situation ähnelt damit jener in Deutschland. Das ist bedenklich. Denn das Umfeld ist geprägt durch geopolitische Bedrohungen, eskalierende Handelsstreitigkeiten, Energiewende-Problemen, Migrations-Debatten oder wieder zunehmenden Verschuldungssorgen. Auf all dies haben die beiden wichtigsten Führungsmächte Europas aber nur ein «Hauptsache nicht rechts» als Lösungsansatz und präsentieren sich buchstäblich als «lame Ducks».