«Ich erwarte kritisches Denken»

Die Migros Bank gibt sich gern als menschliche Bank. Wie tickt Manuel Kunzelmann, seit vier Jahren der Mensch an ihrer Spitze?

(Das Interview erschien am 08.07.2024 im Migros-Magazin / Text: Jörg Marquardt)

Manuel Kunzelmann, was ist Ihre früheste Erinnerung an die Bankwelt?
Ich sehe noch die Ecke mit den Märli-Telefonen vor mir, die es in der Filiale meiner Kindheit gab. Dort hat mich meine Mutter parkiert, um ihre Bankgeschäfte in Ruhe zu erledigen.

Das tönt nostalgisch.
Eher nicht, nach dieser Welt habe ich keine Sehnsucht. Die Schalterhalle war kalt, ein geschlossenes System mit Beratern hinter Glas. Heute sind Filialen offener und wohnli­cher. Kinder werden nicht mehr als Störfak­toren behandelt, sondern sind überall dabei.

Wie haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Mit etwa zwölf Jahren als Zeitungsverträger. Ich habe einem Kollegen ausgeholfen, der seinen Lohn mit mir teilte. Zu Hause wusste niemand davon. Mein Vater brachte immer den Spruch: «Kinderarbeit ist abgeschafft. Konzentriere dich auf die Schule!»

Wann ist die Geschichte aufgeflogen?
Meine Eltern erfahren es erst jetzt aus diesem Interview (lacht).

Was haben Sie von Ihrem heimlichen Lohn gekauft?
Ich glaube, einen Bausatz für ein ferngesteuertes Auto.

Kommen Sie aus einer Familie von Bankern?
Nein, ich bin aus eigenem Antrieb zum Bankwesen gekommen. Die Branche hat mich schon früh fasziniert. Sie ist nahe am Markt, wichtig für den Wirtschaftskreis­lauf und hochdynamisch.

Also wenig Routinen …
Ich gehe sehr gern in Veränderungen hinein. Zudem reizt es mich, die grossen Zusam­menhänge zu verstehen: Wie wirkt sich das wirtschaftliche Umfeld auf Haushalte und Firmen aus? Wie entwickeln sich Marktpreise? Welche Geschäftsmodelle sind zukunftsfähig? Das ist hoch spannend.

Sind Sie ein Zahlenmensch?
Ja, sonst wäre ich am falschen Ort. Aber das Bankgeschäft ist viel mehr als Zahlen. Zu unserer Arbeit gehören auch Marketing, Produkte, Vertrieb, Risikomanagement, IT und vieles mehr.

Hand aufs Herz: Gibt es Bankthemen, bei denen Sie selbst ins Schlingern geraten?
Auf jeden Fall. Ohne das tiefe Expertenwissen unserer Spezialistinnen und Spezialisten könnten wir keine guten Entschei­dungen treffen. Meine Aufgabe als CEO besteht unter anderem darin, die Informationen aus den verschiedenen Bereichen schnell zu verarbeiten und für folgerichtige Entscheide zu sorgen.

Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitenden?
Eigenverantwortliches Handeln, kritisches Denken, Zuversicht und die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln. Dafür braucht es gegenseitiges Vertrauen und Beziehungen auf Augenhöhe. Hierarchisches Denken hat bei uns keinen Platz.

Und was erwarten Sie von sich selbst?
Unsere Mitarbeitenden erfolgreich durch den Wandel zu begleiten. Als Chef ist es meine Aufgabe, eine gute Balance zwischen Veränderung und Stabilität hinzubekom­men – und einen gesunden Pragmatismus vorzuleben.

Von wem haben Sie Führen gelernt?
Vor allem von einem Generaldirektor bei der UBS. Da war ich Anfang 30 und frisch Abteilungsleiter. Er hat ganz anders geführt als damals üblich. Nicht im Befehlston, son­dern wertschätzend und anspornend. Er dachte stark vom Team her, wollte wissen, wie wir Herausforderungen anpacken, und vertraute auf die Fähigkeiten der Beleg­schaft. Diese Haltung prägt mich bis heute.

Mit wem arbeiten Sie im Alltag am meisten zusammen?
Vor allem mit den Entscheidungsträgern aus der Migros-Gruppe, dem Verwaltungs­rat, der Geschäftsleitung, den Programmleitern und den Senior-Managern der Bank. Einen Tag in der Woche habe ich für Treffen mit Firmenkunden oder Privatkunden reserviert. So erfahre ich, was wir gut machen und wo wir noch besser werden müssen.

Wie werden Sie von Ihrem Team wahrgenommen?
Ich hoffe, als aufmerksamer Zuhörer und als jemand, der nach Lösungen sucht und dann auch für die Umsetzung sorgt. Das ist jedenfalls der Anspruch, den ich an mich habe.

Es kommt öfter vor, dass mich Freunde in finanziellen Dingen um Rat bitten.

Haben Sie im Freundeskreis den Ruf eines Börsengurus?
Es kommt öfter vor, dass mich Freunde in finanziellen Dingen um Rat bitten.

Geben Sie auch Börsentipps?
Direkt nicht, das wäre unseriös. Aber ich kann dabei helfen, die richtigen Fragen bei der Suche nach der passenden Anlage zu stellen.

Apropos investieren: In was investieren Sie Ihre freie Zeit?
Ganz klar in die Familie, also meine Frau und die Kids. Ansonsten bin ich gern draussen unterwegs, entweder auf dem Velo oder beim Wandern in den Bergen. Für mich ist die freie Zeit aber kein Investment, sondern Genuss.

Sie sind seit vier Jahren CEO. Was waren die grössten Meilensteine bisher?
Ich konnte auf viel Gutem und Bewährtem aufbauen. Neben der Ausgestaltung der Finanzberatung haben wir bei der Digitali­sierung noch mal einen Schritt vorwärts gemacht. Wir sind heute eine der digitalsten Retailbanken der Schweiz – auch dank der neuartigen Videoberatung für alle Bankgeschäfte. Ein weiterer Meilenstein war die Einführung der Cumulus Kreditkarte vor zwei Jahren.

Haben Sie selbst eine?
Na klar! Ich schätze die Vorteile, die sie mir bietet: keine Jahresgebühr, keine Bear­beitungsgebühr bei Zahlungen im Aus-land, dazu wichtige Reiseversicherungen und Schutz vor Cyberkriminalität. Mit jedem Einkauf sammle ich obendrein noch Cumulus-Punkte.

Zahlen Sie noch mit Bargeld?
Selten. Mein Portemonnaie ist so dünn, dass nur wenig Bargeld hineinpasst. Heute kann ich fast überall mit Karte oder digitalen Zah­lungsmitteln zahlen – auch an Orten, wo ich es nicht erwarten würde, etwa in Hofläden.

Verschwindet das Bargeld?
Nein, aber es verliert zugunsten von Karten­produkten und Anbietern wie Twint an Bedeutung. Seine Berechtigung als wichtiges Zahlungsmittel wird Bargeld aber behalten.

Manuel Kunzelmann

Manuel Kunzelmann (50) ist seit 2020 CEO der Migros Bank. Von 2009 bis 2020 war der Betriebsökonom für die Basel-landschaftliche Kantonalbank tätig, zuletzt als Leiter des Bereichs Strategie & Marktleistungen. Davor hatte er diverse Funktionen bei der UBS inne, unter anderem im globalen Strategiebereich und dem Schweizer Vertriebsgeschäft. Kunzelmann ist verheira­tet und hat drei Kinder. Er lebt mit seiner Familie in Zug.

 

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