Mit der Austragung der EURO 2024 verbindet Deutschland auch ökonomische Hoffnungen. Diese müssen aber realistisch bleiben. Die Freude über ein gelungenes Fussball-Fest sollte im Vordergrund stehen.
In einer Woche beginnt in Deutschland die Fussball-Europameisterschaft. Und insbesondere beim Gastgeber sind die damit verbundenen Hoffnungen gross. Man muss aber von Hoffnungen sprechen und weniger von Erwartungen. Denn diese sind doch eher als gedämpft zu bezeichnen. Zum einen aus sportlicher Hinsicht. So befindet sich die deutsche Nationalmannschaft seit geraumer Zeit nicht eben in Höchstform und hat den Nimbus als die gefürchtete Turniermannschaft etwas eingebüsst. Der letzte Titel liegt doch schon ein paar Jährchen zurück. Weltmeister wurde die DFB-Elf zum letzten Mal 2014 und der letzte Europameister-Titel datiert sogar auf 1996, als die Deutschen im Finalspiel die Tschechen nach Verlängerung 2:1 besiegten.
Aber die Hoffnung (aus deutscher Sicht) stirbt ja bekanntlich zuletzt und die Mannschaft von Julian Nagelsmann ist – eine abgedroschene Phrase, ich weiss – immer für eine Überraschung gut.
Zwischen Sommermärchen…
Für wenig Überraschung dürfte die Europameisterschaft aber aus wirtschaftlicher Sicht sorgen, auch wenn in dieser Hinsicht die Hoffnungen bei unserem nördlichen Nachbarn ebenfalls gross sind. Denn die Stimmung in Deutschland ist weiterhin durchzogen. Zwar scheint sich die grösste Volkswirtschaft Europas langsam aus der konjunkturellen Talsohle von Rezession und Stagnation herauszuarbeiten, und die Perspektiven hellen sich weiter auf. Doch ähnlich wie die Bundes-Elf hat die deutsche Wirtschaft (noch) nicht zu alter Stärke zurückgefunden. Auf dem Land lasten zudem weiterhin strukturelle Probleme, politische – um es mal vorsichtig auszudrücken – Suboptimalitäten und gesellschaftliche Herausforderungen. Da erinnert man sich natürlich mit Freude zurück an die Heim-WM von 2006, die gerne als «Sommermärchen» umschrieben wird. Auch wenn sich dieses Märchen im Nachgang aus sportrechtlicher mindestens teilweise als Mischung aus Tragödie und Komödie entpuppte – die Hoffnungen, dass mit der EM ein Ruck Gesellschaft und Wirtschaft gehen möge, sind allenthalben greifbar. Doch sind diese auch berechtigt?
Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht sind doch einige Fragezeichen angebracht. Denn die Austragung von Sportgrossereignissen verleiht dem Gastgeberland in der Regel höchstenfalls einen kleinen und nur kurzfristigen Konjunkturimpuls. Mittel- und längerfristig sind die wirtschaftlichen Effekte jedoch marginal und zudem schwierig zu messen. Werfen wir hierfür nochmals einen Blick zurück auf das «Sommermärchen» von 2006.
…und nüchterner Ökonomie
Die deutsche Bundesregierung kam in einem Ende 2006 veröffentlichten und primär qualitativ-emotionalen Abschlussbericht zum Schluss, dass die wirtschaftlichen Erwartungen «übertroffen» worden seien. Sie beruft sich dabei in erster Linie auf eine Umfrage bei rund 19 000 Unternehmen, von denen neun Prozent über eine Umsatzsteigerung während der WM berichteten. Zudem sei ein Stellenplus von 50 000 Arbeitsplätzen entstanden. Im Bericht wird aber zugleich eingeräumt, dass viele davon aber nur temporären Bestand gehabt hätten.
Zeitweilige Umsatzsteigerung und kurzfristiger Stellenaufbau – schlugen sich diese Effekte auch längerfristig nieder? Um dies zu beantworten, hilft eine Betrachtung des Wirtschaftswachstums. Und spätestens hier wird die Beurteilung schwierig. Denn während die Bundesregierung – gestützt auf Schätzungen der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) – für das Bruttoinlandprodukt (BIP) von einem Wachstumsimpuls von 0,3 Prozentpunkten ausgeht, fällt die Analyse andernorts deutlich nüchterner aus. Das Institut für Sportökonomie SportsEconAustria etwa gelangte zum Schluss, dass das Wirtschaftswachstum Deutschlands durch die WM-Austragung lediglich um 0,1 bis 0,15 Prozentpunkte höher ausfiel. Noch zurückhaltender gab sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DWI) in einer im Sommer 2007 publizierten Untersuchung: Die WM hätte letzten Endes keine nennenswerten konjunkturellen Effekte gehabt, so das konsternierende Fazit.
Das mag zunächst erstaunen. Schliesslich pilgern doch hunderttausende Fussballtouristen – Schätzungen gehen von 650 000 für die anstehende EM aus – nach Deutschland, die übernachten und konsumieren? Beim Konsum hat diese Überlegung eine gewisse Richtigkeit, gerade wenn man etwa an die Biernachfrage denkt. Fussball und ein (oder mehrere) kühle Bierchen gehören für viele Fans einfach untrennbar zusammen. Und so überrascht es denn auch nicht, dass die Brauereien zu jenen Unternehmen zählen, die mit einem zeitlich beschränkten, aber satten Umsatzwachstum rechnen. Das gilt insbesondere für Bitburger. Die Brauerei aus der Rheinland-Pfalz darf als exklusiver Bierpartner der EM als einzige Bier in den Stadien und den offiziellen Fanzonen ausschenken. Bei 2,7 Millionen erwarteten Fans in den Stadien und unzähligen in den Public-Viewings – da dürfte nicht nur der eine oder andere Alkoholpegel zwischenzeitlich in die Höhe schnellen.
Die Hotellerie pokert hoch
Bereits bei den Übernachtungen wird der konjunkturelle Stimulus aber deutlich fraglicher. Der Grund liegt darin, dass die Fussballfans nicht einfach zur normalen Nachfrage in der Beherbergungsbranche hinzukommen. Sondern es kommt oftmals zu einer Verdrängung der regulären Kundschaft. Das versuchen die Betriebe natürlich auszunutzen. Am Mittwoch ergab eine Suche auf einer bekannten Buchungsplattform, dass es in München an diesem Wochenende noch über 210 verfügbare Zimmer (Doppelbelegung) für unter 150 Euro pro Nacht gibt, wobei das teuerste Angebot bei 1050 Euro liegt. Zum Eröffnungsspiel am kommenden Freitag in der Allianz Arena gibt es gerade noch drei Zimmer für unter 150 Euro, und das teuerste Hotel auf Platz bietet die Übernachtung nun für 2500 Euro an.
Ein ähnliches Muster zeigt sich an allen Austragungsorten. Die Hotels und Gasthöfe versuchen die tendenziell höhere Zahlungsbereitschaft abzuschöpfen. Allerdings ist auch eine Woche vor Beginn der EM die Nachfrage insgesamt noch enttäuschend, wie das Handelsblatt vermeldete. In Städten wie Köln oder Düsseldorf sind an den jeweiligen Spieltagen noch bis zu 23 Prozent der verfügbaren Zimmer nicht belegt. Dies liegt wohl nicht zuletzt auch an den oftmals überrissenen Angebotspreisen.
Doch auch wenn durch Last-Minute-Buchungen spürbar weniger Betten leer bleiben sollten, auch wenn die Fans in der Gastronomie emsig konsumieren – der gesamtwirtschaftliche Effekt auf das ganze Jahr hinaus bleibt trotzdem bestenfalls bescheiden. Denn neben dem Verdrängungseffekt haben auch Zurückhaltungseffekte einen Einfluss. Das heisst, dass während der EM-Zeit beispielsweise weniger im Detailhandel ausgegeben wird. Ebenfalls schlägt sich zeitlich verschobenes Kompensationssparen nieder. Viele, die an die EM-Austragungsorte fahren, verzichten dafür dieses Jahr bewusst auf andere Freizeit-Aktivitäten, um das Haushaltsbudget nicht überzustrapazieren.
Die Stimmung ist und bleibt wichtig
Vor diesem Hintergrund erwarten auch wir nicht, dass die EM der deutschen Wirtschaft einen massiven Schub verleihen wird. Der Erholungspfad für Deutschland bleibt – selbst im Falle des Turniersieges – mühselig und steinig. Gleichzeitig sind wir aber auch dezidiert der Meinung, dass eine rein ökonomische Betrachtung aufgrund harter Daten zu kurz greift. Einen Monat unbeschwerte Fussball-Freude bei sonnigem Wetter könnte stimmungsmässig tatsächlich zu einer Neuauflage des Sommermärchens von 2006 führen. Und ein grundsätzlich aufgeräumter Gemütszustand kann in aufsummierter Betrachtung durchaus zu einem geringfügigen volkswirtschaftlichen Zusatzwachstum führen. Wie hoch dieses ausfällt oder ob es sogar vernachlässigbar ist, bleibe mal dahingestellt. Aber ein wenig Feel-Good-Stimmung durch eine gelungene Euro 2024 tut nicht nur den Deutschen in einer durch Krisen und Unsicherheit geprägten Welt gut. Auch wenn der Europameister – so viel Helvetismus sei verziehen – nicht unbedingt Deutschland heissen muss…
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