Die chinesische Inflationsentwicklung spiegelt die Wachstumsschwäche der Volksrepublik. Die umfangreichen Gegenmassnahmen der Regierung werden immer mehr auch ausserhalb Chinas zum Problem. Beispielsweise für Europa und die Energiewende.
Chinas Binnenwirtschaft schwächelt weiter. Das zeigen die jüngsten Preisdaten aus dem Reich der Mitte. So stiegen die Konsumentenpreise im März lediglich um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Was auf den ersten Blick nach einem erfreulichen Wert für die chinesischen Verbraucher klingt, offenbart bei näherer Betrachtung ein tiefsitzendes Problem der chinesischen Wirtschaft. Denn Chinas Bevölkerung ist angesichts der stotternden Konjunkturentwicklung, den ebenso gewaltigen wie ungelösten Schwierigkeiten im Immobiliensektor und dem schwachen Arbeitsmarkt zutiefst verunsichert. Letzteres wiegt gerade unter den Jungen schwer. Rund 20 Prozent der 16- bis 24-Jährigen sind in China ohne Arbeit.
Überkapazitäten drücken Produzentenpreise
Angesichts dieser Gemengelage ist es wenig überraschend, dass die Chinesinnen und Chinesen über eine stark eingetrübte Kauflaune verfügen und sich entsprechend in Konsumzurückhaltung üben. Eine solche Konsumentenstimmung macht es für die Unternehmen aber nahezu unmöglich, höhere Absatzpreise durchzusetzen. Allerdings besteht hierfür auch kein Anlass. Denn während sich die Verbraucherpreisentwicklung immerhin aus dem negativen Terrain verabschiedeten, setzt sich der Preiszerfall auf der Produzentenseite unvermindert fort.
Auch bei den Produzentenpreisen gilt, dass die Entwicklung nicht per se schlecht ist. Im Gegenteil: Tiefere Produktionskosten sind vielfach ein Zeichen optimierter Fertigungsabläufe und/oder sinkender Ausgaben für Vorleistung und Material. Dies vergrössert grundsätzlich die Gewinnmargen, die dann wiederum für Investitionen aufgewendet werden können. Die Krux in China ist aber, dass die Abnahme Produzentenpreise nicht organisch aus der eigentlichen Wirtschaftstätigkeit getrieben ist. Vielmehr resultiert sie vielfach aus massiven Subventionen der chinesischen Regierung, die nach den strikten Corona-Beschränkungen mit aller Kraft versucht, den Wirtschaftsmotor wieder auf Touren zu bringen. Das Ergebnis: Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt schafft enorme Überkapazitäten, die zunehmend zur Herausforderung – wenn nicht sogar zum Problem – für ganze Wirtschaftszweige rund um den Globus werden.
Staatlich getriebener Boom der Solarbranche…
Besonders exemplarisch zeigt sich das bei der Solarindustrie. Diese wurde von Peking – neben der Batterietechnik und der E-Mobilität – als eine der drei Schlüsseltreiber für Chinas zukünftigen Wachstum auserkoren. Dementsprechend üppig fällt die staatliche Unterstützung aus. Einer Studie von Wood Mackenzie zufolge flossen allein 2023 rund 130 Milliarden US-Dollar in die Förderung der eigenen Solar-Branche.
Die grosszügigen Zuwendungen bleiben nicht ohne Folge. Der sowieso schon weltmarktbeherrschende chinesische Solarsektor wächst mit rasanter Geschwindigkeit immer weiter. Alleine im letzten Jahr produzierten Chinas Unternehmen rund 2,5 Mal so viel Solaranlagekapazität wie ein Jahr zuvor. Bei dieser Wachstumsdynamik gehen Schätzungen davon aus, dass von der dereinst jährlich weltweit möglichen Solaranlage-Produktionskapazität von 800 Gigawatt drei Viertel in China gefertigt werden können.
…führt zum Zerfall der Weltmarktpreise
Dies bedeutet ein Tempo bei der Angebotsausweitung, mit dem das Nachfragewachstum noch lange nicht mithalten kann. Die dadurch entstandenen und weiter wachsenden Überkapazitäten führen zu einem regelrechten Zerfall der Weltmarktpreise, was auch die chinesischen Exportstatistiken verdeutlichen: Mit 220 Gigawatt legten die ausgeführten Solaranlagen letzten Jahr um 25 Prozent gegenüber 2022 zu. Gleichzeitig wuchs der Wert eben dieser Ausfuhren nur um rund 1 Prozent. Selbst unter Berücksichtigung des Wertverlusts des Renminbis – handelsgewichtet büsste die chinesische Währung 2023 rund 3 Prozent ein – indizieren die Aussenhandelsdaten damit einen Solartechnik-Preiszerfall von über 20 Prozent in einem Jahr.
Europa ist kaum noch konkurrenzfähig
Das bringt insbesondere die europäische Solarwirtschaft in die Bredouille. Denn weil etwa die USA oder Indien Importbeschränkungen über chinesische Solartechnik verhängt haben, flutet die Volksrepublik den europäischen Markt umso stärker und energischer. Doch solange Chinas massive Überkapazitäten bestehen bleiben und diese in der Folge zu ebenso massivem Druck bei den Weltmarktpreisen für Photovoltaik führen, wird sich die europäische Solarbranche ohne umfangreiche Subventionen und/oder eigene Marktabschottungen kaum über Wasser halten können. Zu teuer ist die Produktion in Europa und zu erdrückend ist das Gewicht der chinesischen Solarindustrie (siehe Grafik).
Weder Subventionierung noch Markteintrittsbarrieren sind im Sinne einer möglichst freien Welthandelsordnung, die sich trotz ihrer Schwächen in den letzten Jahrzehnten für enorme globale Wohlstands- und Wohlfahrtsgewinne zeichnete. Dennoch scheint insbesondere vor dem Hintergrund der angestrebten Energiewende kaum ein Weg daran vorbeizuführen. Denn je mehr die die entsprechenden Unternehmen in einen erbarmungslosen – und letztlich aussichtslosen – Preiskampf getrieben werden, desto mehr schwindet das Investorenvertrauen in diese Schüsseltechnologie zur Erreichung der ambitionierten Klimaschutzziele (siehe Grafik). Ohne diese Unsummen privaten Kapitals verkommt die Finanzierung der Energiewende – gelinde gesagt – zu einer noch grösseren Herkulesaufgabe, als sie dies ohnehin schon ist.
Ein Ausweg aus dieser verzwickten Situation läge darin, wenn China von sich aus die umfangreichen Subventionen zurückfährt und damit zu einem Abbau der Überkapazitäten beitragen würde. Doch auch wenn die chinesische Zentralbank jüngst verlauten liess, gegen die «blinde Expansion» in von Überkapazität geprägten Branchen vorzugehen, bleiben griffige Massnahmen zweifelhaft, solange eben diese Branchen wenigstens für Arbeitsplätze sorgen. Die Parteiführung wird kaum zulassen, dass in Zeiten der Verunsicherung und eines Arbeitsmarktes der Staat als Auftrags- und Jobgarant wegfällt. Hierfür müsste erst der Konjunktur wieder mehr Fahrt aufnehmen. Aber – womit wir wieder beim Anfang wären – Chinas Binnenwirtschaft schwächelt weiter. Eine zu geringe Binneninflation ist dabei noch das kleinste Problem.