Viele Schweizer Haushalten stehen vor einer eigentlichen Strompreisexplosion. Deren Ursache liegen in den Marktverwerfungen infolge des Ukraine-Kriegs. Die teils frappanten Unterschiede bei den Preissteigerungen sind aber Ausdruck eines institutionellen Grundsatzproblems.
Nun sind sie also da, die mit Spannung erwarteten Strompreise für 2023. Und wie befürchtet sind die Aufschläge happig. Durchschnittlich 27 Prozent mehr müssen Haushalte schweizweit für Elektrizität berappen. Die Unterschiede sind dabei gewaltig. Von Versorgungsgebieten, in denen es zu keinen Preissteigerungen kommt, bis hin zum Berühmtheit erlangten Oberlunkenhofen (+263 Prozent) ist alles zu finden. Ich selbst wohne an einem Ort, wo die Strompreise um fast 100 Prozent aufschlagen.
Eine institutionelle Herausforderung
Um die Preisexplosion an sich sowie deren Belastung für die Wirtschaft und die Privathaushalte geht es mir aber gar nicht. Darüber wird schon genug geschrieben, und wie hoch der Schaden für die Schweizer Konjunktur ausfällt, wird sich erst zeigen müssen. Vielmehr sind für mich die starken Unterschiede bei den Preisaufschlägen Ausdruck einer weit verbreiteten Herausforderung in der Institutionenökonomie. Die Rede ist vom sogenannten Prinzipal-Agent-Theorem.
Eine Prinzipal-Agent-Beziehung liegt immer dann vor, wenn ein Auftraggeber (Prinzipal) und ein Auftragsausführer (Agent) in einem vertraglichen Verhältnis stehen, das den Agenten zur Leistungserbringung und den Prinzipal zur Leistungsabnahme verpflichtet. Dieser Vertrag kann auf freiwilliger Basis erfolgen, bei welcher der Prinzipal seinen Agenten selbst auswählt. Ein Beispiel hierfür wäre etwa ein Hausbau, im Rahmen dessen die Bauherrschaft die entsprechenden Unternehmen anhand von für sie wichtigen Kriterien berücksichtigt.
Ein vertragliches oder quasi-vertragliches Verhältnis zu einem bestimmten Agenten kann aber auch faktisch aufgezwungen werden, wie dies etwa bei der Elektrizitätsversorgung für Privathaushalte der Fall ist. Denn im Gegensatz zu grösseren Unternehmen verfügen Privatpersonen über keine Wahlfreiheit, was die Stromanbieterin betrifft. Und in diesem Umstand liegt meines Erachtens ein wesentlicher Grund der teilweise exorbitanten Strompreisanstiege und den frappanten Unterschieden.
Das Problem: unzureichende Professionalität…
Denn seien wir ehrlich: Würden die Konsument*innen freiwillig eine Elektrizitätsgesellschaft wählen, die in vielen Versorgungsgebieten oftmals institutionelle Kleinstgebilde darstellen? Entschiede man sich tatsächlich für eine Anbieterin, bei der die Stromeinkäufe – ebenfalls keine Seltenheit – von Personen getätigt werden, die diese Aufgabe im Nebenamt wahrnehmen und nicht über ausreichend Expertise über die Komplexität des Strommarktes sowie Termin- und Absicherungsgeschäfte verfügen? An einer Börse notabene, an der auch Gross- und Grössteinkäufer mitmischen, deren Händlerprofis tagein, tagaus nichts Anderes machen und den Strommarkt wie die sprichwörtliche Westentasche kennen.
Schwer vorstellbar, dass die Wahl auf eine solche Anbieterin fiele. Wie beim Beispiel des Hausbaus, wo eine professionelle Baufirma wohl immer den Vorzug gegenüber einer Person erhält, die so quasi nebenher noch ab und zur Maurerkelle greift, würden tendenziell eher Elektrizitätsgesellschaften mit einem Minimum an professionellen Strukturen berücksichtigt werden.
…und mangelnde Wahlfreiheit
Die grossen Unterschiede bei den anstehenden Preiserhöhungen beleuchten aber auch ein zweites Problem, das vielen Prinzipal-Agent-Beziehungen innewohnt und im Falle der Elektrizitätsversorgung besonders ausgeprägt ist: Der Leistungserbringer muss nicht zwangsweise die gleichen oder die gleich starken Interessen haben wie der Leistungsnehmer. Dieses grundsätzliche Problem akzentuiert sich umso stärker, je mehr der Prinzipal von seinem Agenten abhängig ist. Im Falle der Stromversorgung von Privathaushalten ist diese Abhängigkeit nahezu vollständig gegeben. Denn auch wenn die eigene Elektrizitätsbieterin die Strompreise aufgrund einer unglücklichen Einkaufsstrategie erhöht, haben Privatpersonen keine Möglichkeit zur Konsequenzenziehung und einem Wechsel der Versorgerin.
Aus Sicht einer Elektrizitätsgesellschaft ergibt sich aus diesem Umstand eine mangelhafte Anreizstruktur. Warum sollte sie beispielsweise eine professionelle – und entsprechend teure – Trading-Struktur aufbauen, wenn im Falle von Fehlspekulationen ausser einem Empörungsaufschrei nichts zu befürchten ist und die Kundschaft gar nicht erst abwandern kann? Überflüssig zu erwähnen, dass die Frage rhetorisch gemeint ist.
Unabhängigkeit als Ausweg
Die Herausforderung der nicht zwangsläufig komplett deckungsleichen Interessen zwischen Prinzipal und Agent existiert auch in anderen Bereichen. Beim Hausbau wird ihr mit entsprechenden Verträgen begegnet, die vor Baubeginn die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien detailliert festlegen. In der Finanzwelt – um ein anderes Beispiel zu nehmen – sind die Gebühren für bestimmte Produkte von der erzielten Performance abhängig. Man spricht von Interessensgleichschaltung zwischen Leistungserbringer (etwa einem Fondsmanager) und Leistungsnehmer (Kunde).
Eine solche Interessensgleichschaltung ist im Falle der Stromversorgung von Privathaushalten aufgrund des institutionellen Setups nicht möglich. Wollen Privatpersonen der allenfalls problematischen Prinzipal-Agent-Beziehung begegnen, bleibt ihnen nur die möglichst grosse Reduktion der Abhängigkeit von der Elektrizitätsanbieterin. Für Eigenheimbesitzer heisst das neben Stromsparen vor allem, dass die eigenen vier Wände energetisch optimiert sein sollten und falls möglich auf eine eigene Elektrizitätserzeugung in Erwägung gezogen wird, was nicht nur aus Klimaschutzgründen sinnvoll ist. Denn dass die Energiepreise tendenziell eher teurer als günstiger werden, erscheint mehr als wahrscheinlich.
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