Inflation in der Schweiz: Ist das Glas halbvoll oder halbleer?

Die Schweizer Inflation fällt im internationalen Vergleich moderat aus. Daran sollte sich vorerst nichts ändern, allerdings birgt eine mögliche Energiekrise Aufwärtsrisiken.

3,4 Prozent. So hoch notierte die Schweizer Jahresteuerung im Juni. Was sich im gegenwärtigen internationalen Inflationsumfeld nach einem bescheidenen Wert anhört, ist für hiesige Verhältnisse eine durchaus bemerkenswerte Preissteigerung. So muss man bis Oktober 1993 in den Statistiken zurückblättern, um auf gleich hohe Inflationsraten zu stossen.

Ist das Schweizer Teuerungsglas somit halbleer oder halbvoll? Die Beurteilung als «halbvoll» drängt sich bei Betrachtung der Preise im internationalen Kontext auf. In Deutschland etwa belief sich die Jahresteuerung zuletzt auf 7,6, in der Eurozone und in den USA auf 8,6 Prozent. Dementsprechend mutet die Schweizer Inflation als regelrechtes Luxusproblem an.

Wechselkurs und Protektionismus sei Dank

Diese vergleichsweise bescheidene Preisentwicklung ist zum einen auf den starken Franken zurückzuführen. Je höher der Kurs des Frankens gegenüber den Währungen wichtiger Handelspartner notiert, desto geringer – oder sogar negativer – fällt die über die Einfuhren importierte Inflation aus. Dies lässt sich an einem einfachen Beispiel illustrieren: Muss bei einem Euro/Franken-Wechselkurs von 1.10 für ein 100 Euro teures Produkt aus Deutschland 110 Franken bezahlt werden, kostet das gleiche Produkt bei einer Euro-Franken-Parität noch 100 Franken.

Mit dem hohen hiesigen Preisniveau sowie beträchtlichen Importzöllen ist zudem die niedrige Schweizer Inflation ausgerechnet zwei Umständen geschuldet, die normalerweise – zumindest aus marktliberaler Optik – eher Anlass zu Kritik als zu Freudensprüngen geben.  Denn ausländische Agrarprodukte, die auch hierzulande hergestellt werden, werden mittels Importzöllen auf das Schweizer Preisniveau angehoben. Damit sind die Schweizer Nahrungsmittelpreise weitgehend von der Entwicklung der Weltmarktpreise abgekoppelt, was sich im derzeitigen Inflationsumfeld eindrücklich in den Teuerungsraten niederschlägt (siehe Grafik).

Gewichtungen im Warenkorb unterscheiden sich

Und schliesslich ist die niedrige Schweizer Inflation auf unterschiedliche Gewichtungen im Warenkorb zurückzuführen, der dem Konsumentenpreis zugrunde liegt. So fällt der Energiekomponente hierzulande lediglich ein Anteil von rund 5 Prozent zu. In den USA beläuft sich diese Gewichtung auf 7 Prozent, in der Eurozone sogar auf 10 Prozent. Ein ähnliches Muster zeigt sich auch bei den Lebensmitteln: Deren Anteil am Warenkorb beträgt in der Schweiz etwas mehr als 11 Prozent, in den USA 13 und in der Währungsunion rund 15 Prozent. Ein Umstand, der durchwegs positiv zu bewerten ist, da sich darin das hohe Schweizer Wohlstandsniveau spiegelt. Denn je wohlhabender die Menschen sind, desto geringer fällt grundsätzlich der relative Ausgabenanteil für Lebensmittel aus.

Inwiefern ist das Glas nun aber als halbleer anzusehen? Eine solche Betrachtung ergibt sich etwa beim Blick zurück. Denn auch für Schweizer Verhältnisse ist die hiesige Inflation nicht nur ungewöhnlich hoch, sondern auch von einer ungewohnten Dynamik geprägt. Die 3 Prozent, um die die Schweizer Preise seit Jahresbeginn zulegten, wurden in einer gleichen Zeitspanne – also innerhalb von sechs Monaten – das letzte Mai im Jahre 1991 erreicht.

Energieversorgung ist ein Inflationsrisiko

Halbleer kann das Schweizer Inflationsglas aber auch beim Blick in die Zukunft erscheinen. Denn gerade im Vergleich zu vielen europäischen Staaten deckt unser Land die meiste Zeit des Jahres den Strombedarf praktisch ausschliesslich aus Wasser- und Atomkraft. Nur in den Wintermonaten muss die Schweiz signifikante Strommengen aus dem Ausland importieren. Also genau dann, wann mit zunehmender Wahrscheinlichkeit eine Energiemangellage in Europa droht. Vor diesem Hintergrund sind die glimpflichen Schweizer Inflationsraten insbesondere für das vierte Quartal durchaus mit erheblichen Aufwärtsrisiken behaftet.

Ob das Glas nun als halbvoll oder als halbleer angesehen wird, hängt in erster Linie davon ab, ob eine international vergleichende oder eine rein schweizerische Perspektive eingenommen wird. Tatsache ist auf jeden Fall, dass auch in der Schweiz das – neutral formuliert – halbgefüllte Glas merklich teurer geworden ist.

The table shows the relatively moderate inflation in Switzerland compared with the euro area and the USA.

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