Wann fällt sie, die magische Schwelle von 1000 Milliarden US-Dollar Börsenkapitalisierung? Mit derzeit rund 950 Mrd. US-Dollar Marktkapitalisierung steht der US-Technologiekonzern Apple kurz davor, diese Hürde zu überspringen. Doch ist der «teuerste Apfel der Welt» das erste Unternehmen, das an der Börse die 1 Billion-Dollar-Grenze überschreitet?
Apple, seit geraumer Zeit das wertvollste Unternehmen der Welt, wäre der erste Konzern, der an der Börse die Billionen-Marke knacken könnte. So heisst es in einigen Medien immer wieder. Stimmt das wirklich? Die Antwort lautet: Jein. Ja, weil Apples Aktien mehrheitlich im Streubesitz und im freien Handel erhältlich sind. Rund 88,5 Prozent der Aktien befinden sich im Umlauf. Nein, weil diese Wertmarke schon mal erreicht wurde – zumindest, wenn A statt H als Massstab genommen wird. Doch der Reihe nach.
El Dorado in Schanghai
Blenden wir ins Jahr 2007 zurück: In der Volksrepublik China ist die Vorfreude auf die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking riesig, und der lokale Aktienmarkt wird von einer Euphoriewelle getragen. Chinas kräftig wachsendes Heer von Privatanlegern ist nach wie vor vom Handel mit Aktien in Überseemärkten ausgeschlossen. Dazu zählt auch der Aktienmarkt im benachbarten Hongkong.
An den beiden sogenannten A-Aktienmärkten in Schanghai und Shenzhen grassiert das Spekulationsfieber. Ausländische Investoren spielen da zu jener Zeit so gut wie keine Rolle. Die beiden Festlandmärkte sind Inländern und einigen qualifizierten ausländischen Institutionellen vorbehalten, der Handel mit A-Aktien wird dominiert von den lokalen Privatanlegern. A-Aktien sind in der Landeswährungseinheit Yuan (CNY) notierte Titel von chinesischen Unternehmen mit Sitz auf dem Festland. Sie werden in Schanghai oder in Shenzhen gehandelt.
Massenweise eröffnen chinesische Privatanleger von Woche zu Woche Wertschriftenkontos. In der Hoffnung, an der Börse schnell den grossen Reibach zu machen, verschulden sie sich teilweise erheblich. Es sind Szenen, die an den Dotcom-Boom in den Neunzigerjahren erinnern – allen Warnungen der Aufsichtsbehörden zum Trotz. Mitte Oktober 2007 markiert der Shanghai Composite Index ein Allzeithoch von rund 6092 Punkten. Innert zwei Jahren versechsfachte sich damit der Index der Börse Schanghai nahezu.
Unterschiedliche Käuferstruktur
Rückblickend fällt der Höhepunkt der atemberaubenden Kursrally fast zeitgleich mit dem Börsengang des Ölkonzerns Petrochina am A-Aktienmarkt in Schanghai zusammen. In Hongkong bzw. New York dagegen werden die Titel schon länger als sogenannte H-Aktien und als ADR (American Depository Receipts) gehandelt. H-Aktien sind Titel von chinesischen Festland-Unternehmen, die in Hongkong kotiert sind und in HK-Dollar gehandelt werden. A- und H-Aktien des gleichen Unternehmens handeln oft zu unterschiedlichen Kursen. In der Regel sind A-Aktien zu dieser Zeit deutlich teurer als H-Titel. Das liegt hauptsächlich an der unterschiedlichen Käuferstruktur. Denn in der chinesischen Sonderverwaltungszone treiben Ausländer und Institutionelle die Kurse.
Am 5. November 2007 debütieren Petrochinas A-Aktien in Schanghai. Zu einem IPO-Kurs von 16.70 Yuan emittiert, schiessen die Valoren im Tageshandel vorübergehend auf 48.62 hoch und schliessen auf 43.96 Yuan. In Hongkong knicken die Titel gleichentags 8,2 Prozent auf 18 HK-Dollar ein. Gemessen am Tageshoch in Schanghai ist Petrochina mit rund 1,2 Billionen. US-Dollar bewertet. Oder anders ausgedrückt: Der Börsenwert übersteigt in der Spitze Australiens Bruttosozialprodukt.
Basierend auf dem Tagesschlusskurs entfällt fast ein Viertel der Gesamtmarktkapitalisierung in Schanghai auf den Ölkonzern. Er ist rund doppelt so viel wert wie die beiden Konkurrenten Royal Dutch Shell und BP zusammen. Und weitaus höher bewertet als das zuvor wertvollste Unternehmen der Welt, der Branchenkrösus Exxon Mobil (rund 487 Mrd. US-Dollar). Dabei wirtschaftet Petrochina nur halb so profitabel wie der US-Riese.
Somit hatte – zumindest kurzzeitig – bereits viele Jahre vor Apple ein Unternehmen die magische Billionen-Grenze geknackt.
Knappes Angebot, riesige Nachfrage
Ein Grund für die enorme Marktbewertung war, dass mit 4 Milliarden A-Aktien nur etwa 2,2 Prozent der Petrochina-Titel an die Börse Schanghai gebracht wurden – und dies, obwohl eine Nachfrage von mehr als 440 Mrd. Dollar für die Titel bestand. 86,29 Prozent verblieben im Besitz der staatlichen Mutter China National Petroleum Corporation. Die überwiegende Mehrheit der Aktien war also nicht frei handelbar. In Hongkong und in New York wiederum waren etwa 21 Milliarden H-Aktien ausstehend. Gemessen an den Aktienkursen in Hongkong und New York erreichte Petrochinas Börsenwert nie 500 Mrd. US-Dollar.
So fulminant wie Chinas Kursrally und der Börsenstart von Petrochina damals waren, so jäh und brutal war hernach auch deren Crash. Rund ein Jahr später, Ende Oktober 2008, stand der Shanghai Composite Index wieder bei rund 1700 Punkten und Petrochina notierten bei etwa 10 Yuan.
Aufstieg in die Weltspitze
2007 stellte China zeitweise fünf der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt. Neben Petrochina gehörten China Mobile, Industrial & Commercial Bank of China (ICBC), China Life Insurance und Sinopec zu den Top-Ten. Gegenwärtig rangieren drei chinesische Unternehmen in den ersten 15 Spitzenrängen: das Online-Unternehmen Tencent, der E-Commerce-Riese Alibaba und die Grossbank ICBC. In einer Langzeitbetrachtung (vgl. untenstehende Grafik) fällt vor allem auf, dass China sich auf Kosten von Japan an die Spitze hochgearbeitet hat. Anfang Neunzigerjahre klassierten sich noch sechs japanische Unternehmen unter den 15 wertvollsten Konzernen der Welt. Dieser Tage findet sich kein einziger Vertreter aus Nippon im Spitzenfeld.
An der Börse war China indes lange Zeit eine «unbekannte» Grösse. 1993 öffnete sich mit dem Bierbrauer Tsingtao Brewery in Hongkong zwar erstmals ein chinesisches Unternehmen den Investoren. Zum Zeitpunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise in Asien 1997/98 beispielsweise notierten China-Unternehmen gemessen am Börsenwert aber noch immer unter «ferner liefen». Erst ab etwa 2003 klassierte sich mit dem Mobilfunkunternehmen China Mobile eine chinesische Gesellschaft unter den zehn wertvollsten asiatischen Konzernen. Obschon Chinas rapider und fulminanter Aufstieg in der Weltwirtschaft meistens auf den Beginn der Achtzigerjahre datiert wird, geht dabei oft unter, dass der Start zum Erfolgslauf äusserst zäh und die erste Hälfte der Wegstrecke von vielen harten Rückschlägen geprägt war.
Dieses Jahr hat China auf dem langen Marsch, seine Finanzmärkte besser in die internationalen Kapitalmärkte zu integrieren, eine weitere wichtige Hürde übersprungen. Der vielbeachtete US-Indexanbieter MSCI nimmt in zwei Schritten erstmals rund 230 A-Aktien in seine beiden Referenzindizes MSCI Emerging Markets und MSCI All Country World Index auf. Entsprechend müssen internationale Fondsmanager, die diese Indizes als Benchmark heranziehen, die chinesischen Titel zukaufen, um nicht vom Referenzwert abzuweichen. Angesichts der schieren Grösse des Landes bietet China das Wachstumspotenzial, dass es in Zukunft weitere Billionen-Dollar-Unternehmen aus der Volksrepublik geben könnte.
Die wertvollsten Unternehmen der Welt | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
1993 1) | 2000 1) | |||||
Rang | Unternehmen (Land) | Marktkapitalisierung in Mrd. USD strong> | Branche | Unternehmen (Land) | Marktkapitalisierung in Mrd. USD strong> | Branche |
1 | Exxon Mobil (US) | 75.9 | Öl & Gas | Microsoft (US) | 601.0 | Technologie |
2 | Wal-Mart Stores (US) | 73.6 | Retail | General Electric (US) | 507.2 | Industrie |
3 | General Electric (US) | 73.0 | Industrie | NTT DOCOMO (JP) | 368.1 | Telekom |
4 | Nippon Telegraph (JP) | 71.3 | Telekom | Cisco Systems (US) | 355.1 | Technologie |
5 | Altria Group (US) | 69.3 | Konsumgüter | Wal-Mart Stores (US) | 307.9 | Retail |
6 | AT&T (US) | 68.0 | Telekom | Intel (US) | 275.0 | Technologie |
7 | The Coca-Cola Co (US) | 55.0 | Konsumgüter | Nippon Telegraph (JP) | 271.5 | Telekom |
8 | Paribas (FR) | 54.5 | Finanz-Services | Nokia (FI) | 219.7 | Technologie |
9 | MUFG Bank (JP | 53.4 | Finanz-Services | Pfizer (US) | 204.5 | Healthcare |
10 | Merck (US) | 49.9 | Healthcare | Deutsche Telekom (DE) | 197.3 | Telekom |
11 | Industrial Bank of Japan (JP) | 46.5 | Finanz-Services | BP (UK) | 196.0 | Öl & Gas |
12 | Sumitomo Mitsui (JP) | 45.5 | Finanz-Services | Exxon Mobil (US) | 195.6 | Öl & Gas |
13 | Toyota Motor (JP) | 44.1 | Automobil | IBM (US) | 192.5 | Technologie |
14 | Royal Dutch Petroleum (UK/NL) | 43.6 | Öl & Gas | Citigroup (US) | 187.5 | Finanz-Services |
15 | Fuji Bank (JP) | 41.7 | Finanz-Services | Toyota Motor (JP) | 182.1 | Automobil |
2010 1) | 2018 2) | |||||
Unternehmen (Land) | Marktkapitalisierung in Mrd. USD strong> | Branche | Unternehmen (Land) | Marktkapitalisierung in Mrd. USD strong> | Branche |
|
1 | Petrochina (CN) 3) | 353.1 | Öl & Gas | Apple (US) | 950.2 | Technologie |
2 | Exxon Mobil (US) | 323.7 | Öl & Gas | Amazon (US) | 823.1 | Retail |
3 | Microsoft (US) | 270.6 | Technologie | Google/Alphabet (US) | 795.2 | Technologie |
4 | ICBC (CN) 4) | 269.0 | Finanz-Services | Microsoft (US) | 785.2 | Technologie |
5 | Wal-Mart Stores (US) | 203.7 | Retail | Facebook (US) | 558.7 | Technologie |
6 | CCB (CN) 3) | 201.5 | Finanz-Services | Alibaba (CN) | 533.7 | Retail |
7 | BHP Billiton (UK/AUS) | 201.1 | Basismaterialien | Tencent (CN) | 508.7 | Technologie |
8 | HSBC (UK) | 199.3 | Finanz-Services | Berkshire Hathaway (US) | 471.2 | Finanz-Services |
9 | Petrobras (BR) | 199.2 | Öl & Gas | JP Morgan Chase (US) | 367.2 | Finanz-Services |
10 | Google/Alphabet (US) | 196.7 | Technologie | Exxon Mobil (US) | 341.6 | Öl & Gas |
11 | Apple (US) | 189.6 | Technologie | Johnson&Johnson (US) | 325.8 | Healthcare |
12 | China Mobile (HK) | 188.5 | Telekom | ICBC (CN) 4) | 314.0 | Finanz-Services |
13 | Royal Dutch Shell (UK/NL) | 186.6 | Öl & Gas | Samsung Electronics (KR) | 308.5 | Konsumgüter |
14 | BP (UK) | 181.8 | Öl & Gas | Bank of America (US) | 295.3 | Finanz-Services |
15 | Johnson&Johnson (US) | 177.7 | Healthcare | Royal Dutch Shell (UK/NL) | 293.8 | Öl & Gas |
1) per 1. Januar, 2) per 6. Juni, 3) H-Aktien, 4) A-Aktien | ||||||
Quelle: Bloomberg |