Die Vorboten einer zweiten Trump-Präsidentschaft sind schon da

Donald Trumps Auftreten ist nach dem Attentatsversuch gemässigter und versöhnlicher geworden. Doch trotz des konzilianteren Tonfalls weicht er nicht von seinen programmatischen Eckpunkten ab. Diese wirken sich bereits heute auf Politik und Börsen aus.

Ist er geläutert oder nicht? Diese Frage zu Donald Trump stellen sich viele, seit der Republikaner letzten Samstag, 13. Juli 2024, nur knapp einem tödlichen Attentat entging. Seine angriffslustige und oftmals schrille Rhetorik scheint der Präsidentschaftskandidat – zumindest vorerst – zu zügeln. In seinen Wortmeldungen seit dem Anschlag zeigte sich Trump auffallend konziliant und sogar versöhnlich. Die tiefe Spaltung der amerikanischen Politik und Gesellschaft müsse überwunden und das Land geeint werden. Mehr noch: Auch sein designierter Vizepräsident J.D. Vance – für gewöhnlich ein «politischer Pitbull» mit ausgesprochener Freude am verbalen Zweihänder – schlug in seiner Rede am Republikaner-Parteitag in Milwaukee auffallend moderate Töne an.

Verläuft der restliche Wahlkampf nun tatsächlich etwas gemässigter und weniger gehässig als bisher oder handelt es sich bloss um eine taktische Zwischenphase des Polit- und (Selbst-)Marketingfuchses Trump? Seine mit Spannung erwartete Abschlussrede in Milwaukee vermochte am Donnerstag darüber keine endgültige Klarheit zu verschaffen. So wetterte er zwar in gewohnt scharfer Weise gegen die Immigranten aus dem Süden, appellierte aber gleichzeitig eindringlich, die Zwietracht und die Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft zu heilen. Ebenso verzichtete Trump auf persönliche Angriffe gegen Biden.

Präsident Trump 2.0? Sowohl Geopolitik…

Klar ist jedoch: Auch wenn der alte Wolf rhetorisch tatsächlich Kreide gefressen hat – programmatisch bleibt sich der ehemalige Präsident treu und dürfte auch bei einer zweiten Amtszeit keinen Kurswechsel vornehmen. Dies gilt insbesondere auch Amerikas Beziehungen nach aussen, deren weiteren Entwicklung namentlich in Europa bereits für Bauchschmerzen sorgt. Denn eine US-Aussenpolitik Trump’scher Prägung würde die mangelnde europäische Verteidigungsfähigkeit (einmal) mehr schonungslos offenlegen und nach unzähligen Milliarden Militärausgaben verlangen – und dies bei chronisch knappen Staatsfinanzen.

Dass es die USA unter einer erneuten Trump-Präsidentschaft noch mehr leid sein werden, den unterbezahlten Weltpolizisten zu spielen, schreckt aber nicht nur die Europäer auf. Auch Taiwan, das sich durch China mehr oder weniger latent in seiner territorialen Integrität bedroht sieht, blickt der möglichen Rückkehr Trumps ins Weisse Haus wohl mit grosser Besorgnis entgegen. Denn der Präsidentschaftskandidat lässt ein Bekenntnis zu einer US-Beistandschaft im Falle militärischer Aggressionen Chinas missen. Beziehungsweise knüpft er sie in bekannter «make a deal»-Manier an Bedingungen: «Ich denke, Taiwan sollte uns für die Verteidigung bezahlen.»

…als auch Börsen sind schon heute betroffen

Bezüglich eines grossen Unruheherdes steckt Donald Trump somit schon mal Eckpunkte seiner möglichen Aussenpolitik ab. Doch nicht nur geopolitisch wirft damit seine allfällige zweite Amtszeit ihre Schatten voraus, sondern auch börsenmässig. Denn Taiwan ist nicht nur irgendein Inselstaat, nein. Taiwan ist der Chiphersteller der Welt. Nahezu alle fortschrittlichen Computer-Chips stammen von der Insel vor der Küste Chinas. Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ist mit Abstand die weltgrösste unabhängige Auftragsfertigerin für Halbleiterprodukte. Fiele die Produktion aufgrund einer militärischen Eskalation aus, wäre dies wahrlich ein Super-GAU für viele Branchen und Bereiche. Von der Computer-Herstellung, über den Fahrzeugbau bis zur Waschmaschinen-Produktion – ohne taiwanesische Chips stünde sehr vieles sehr schnell still. Und: Dem Höhenflug rund um Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence, kurz AI) drohte ein brutaler Absturz.

Nicht zuletzt aus dieser Sorge stehen die bisherigen Börsenlieblieblinge des laufenden Jahrs im ungewohnten Gegenwind: ASML, AMD oder Überfliegerin Nvidia sind unter erheblichen Druck geraten und sehen sich mit deutlichen Kursrutschen konfrontiert (siehe Grafik). Diese Korrekturen nur mit der Sorge vor einer Trump’schen Aussenpolitik zu erklären, greift unseres Erachtens aber zu kurz. Vielmehr stellt diese lediglich ein Faktor eines Umfeldes dar, dessen etwas schwieriger gewordenen Terrain durch die Träume und Hoffnungen rund um AI etwas ignoriert worden ist.

Strafzölle sind Gift für Chipbranche

So lastet nicht nur die zukünftige, sondern auch die gegenwärtige US-Aussenpolitik auf den Kursen der Chipindustrie. Dass die Regierung unter Joe Biden laut darüber nachdenkt, zusätzliche Handelsrestriktion gegenüber China zu verhängen, akzentuiert die bereits schon grossen Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation des Handelsstreits. Massnahmen führen zu Gegenmassnahmen, gegen die wiederum neue Massnahmen ergriffen werden. Die Chipbranche mit ihrer hohen Importabhängigkeit ist von jeder neuen Runde an Strafzöllen besonders betroffen, was sich entsprechend über kurz oder lang auf die Profitabilität niederschlägt. Bezeichnenderweise strotzt mit Intel jener Chiphersteller der aktuellen Verkaufswelle, der nicht nur eigene Fertigungsstätten betreibt, sondern im grossen Stil auch in neue Fabriken in den USA investiert.

Zudem sendet neben der Aussenpolitik auch die antizipierte Innenpolitik ihre Vorboten voraus. An den Märkten gewinnt die Erwartung an Breite, dass traditionelle Industriefirmen, aber auch Unternehmen aus der Finanzdienstleistungsbranche zu den Profiteuren von Trumps möglicher Innenpolitik gehören. Das diese erneut durch Deliberalisierung und Steuersenkungen geprägt sein würde, ist mit der Nominierung von J.D. Vance als Vizepräsident noch etwas wahrscheinlicher geworden. Entsprechend gross sind die Hoffnungen, dass eine dergestalt wirtschaftsfreundliche Politik zusammen mit dem absehbaren Start des Zinssenkungszyklus auch kleineren und weniger bekannten US-Unternehmen neuen Schub verleiht.

Nein, es ist noch nicht sicher, ob Donald Trump tatsächlich der neue alte Präsident der USA wird. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist jedoch seit dem Attentat nochmals gestiegen. Und nein, es ist noch ebenso wenig sicher, ob der Republikaner wirklich gemässigter und besonnener geworden ist. Doch selbst wenn dem so wäre: Weder an der Aussen- und Innenpolitik noch an den Finanzmärkten ginge eine erneute Präsidentschaft spurlos vorüber. Im Gegenteil: Trump sorgt schon für ein Durchschütteln, bevor er im Oval Office überhaupt zum ersten Mal Platz genommen hat. Verzeihung – zum zweiten Mal.

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