Deutschland geht in einem wirtschaftlich und geopolitisch komplizierten Umfeld zur Wahl: Die nächste Regierung muss die deutsche Wirtschaftslokomotive wieder auf das richtige Gleis bringen. Trotz der konjunkturellen Misere erreicht der Aktienindex DAX neue historische Höchststände.
Am kommenden Wochenende wird das deutsche Volk den Bundestag wählen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird dann unter Berücksichtigung der Kräfteverhältnisse im neugewählten Parlament den Kanzler ernennen, der seinerseits die Mitglieder seines Kabinetts auswählt und dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorlegt. Das könnte Zeit in Anspruch nehmen, falls die Koalitionsverhandlungen nicht reibungslos ablaufen. Gemäss der jüngsten Wahlumfragen wird die Führung der deutschen Regierung nach dem Scheitern der Rot-Gelb-Grün-Koalition wieder bei der CDU/CSU-Union liegen, die mit ihrer langjährigen Kanzlerin Angela Merkel das Land für vier Legislaturen regiert hat.
Es ist wahrscheinlich, dass der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, eine Einigung mit der linken Partei SPD oder den Grünen erzielen wird. Entweder einzeln oder zusammen im Rahmen einer grossen Koalition. Die Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland (AfD) schliesst Merz bislang kategorisch aus. So ist davon auszugehen, dass die neue deutsche Regierung aus Mitgliedern mit teilweise stark unterschiedlichen politischen Vorstellungen bestehen wird, was wesentliche Reformen erschweren wird.
Von der Lokomotive zum Waggon
Jahrzehntelang kam Deutschland die Rolle als die Konjunkturlokomotive der europäischen Wirtschaft zu. In den letzten Jahren hat sich die Lage dramatisch verschlechtert: Unter anderem die Pandemie und der russische Angriff auf die Ukraine haben strukturellen Veränderungen ausgelöst, die die deutsche Wirtschaft unter Druck setzen. Als externer Beobachter hat man den Eindruck, dass in einigen Bereichen das Land vom Glanz der Vergangenheit lebt. Wohl auch darum wurden Investitionen für die Erhaltung und Entwicklung der Infrastruktur jahrelang vernachlässigt.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schätzt das erforderliche Investitionsvolumen in kritischen Bereichen wie Bildung, Verkehr und Dekarbonisierung auf 600 Milliarden Euro für die nächsten 10 Jahre. Darüber hinaus sind die Ausgaben für die Verteidigung wieder ein heisses Thema geworden – spätestens seit US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, dass die USA jenen NATO-Mitgliedern keine Rückendeckung mehr geben, die seiner Meinung nach nicht genug in die Verteidigung investieren. Doch was heisst das? Der NATO-Vertrag schreibt nationale Verteidigungsausgaben von mindestens 2 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandprodukts vor. Zwar erreichte Deutschland diesen Wert 2024 erstmals seit vielen Jahren. Aber Trump brachte zuletzt eine kaum realistische Quote von 5 Prozent ins Spiel. Auf jedem Fall wird sich die neue Regierung mit einem grossen Ausgabedruck auseinandersetzen müssen – dies bei begrenzten Finanzmitteln, da die maue Konjunktur das Wachstum der Steuereinnahmen bremst und ähnlich wie in der Schweiz eine Schuldenbremse existiert.
Ein Blick auf die Konjunktur…
Unser nördliches Nachbarland wird für das zweite Jahr in Folge ein negatives Wachstum verzeichnen (2023: -0,3 Prozent; 2024: -0,2 Prozent). Der Rückgang ist sowohl auf konjunkturelle als auch auf strukturelle Faktoren zurückzuführen: Einerseits hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen auf historische Hochstände erhöht, andererseits belasten die seit der Einstellung der russischen Gasimporte Ende August 2022 deutlich gestiegenen Strompreise die Industrie. Die Kontraktion der deutschen Wirtschaft 2023 und 2024 ist folglich in hohem Masse der Industrie und dem Bausektor geschuldet: Die Wertschöpfung in den beiden Bereichen brach um 3 bzw. 3,8 Prozent ein, verursacht durch höhere Finanzierungskosten, teurere Energiepreise und eine von unsicheren Aussichten belastete Nachfrage. Dementsprechend gingen auch die Investitionen in Ausrüstungsgütern deutlich zurück (-5,5 Prozent), da das Investitionsklima von den Unternehmen als zu unsicher betrachtet wird. Besonders betroffen ist zudem die exportorientierte Autoindustrie, deren Überkapazitäten die Autoherstellen zwang, die Produktionsstätten zu verkleinern oder gar zu schliessen. Auch der Immobiliensektor steht unter Druck: Trotz sinkender Immobilienpreise halten sich die Investoren und Investorinnen zurück und reduzieren deutlich die Bauinvestitionen.

Der private Konsum stabilisierte sich hingegen leicht über dem Vorjahresniveau. Die in weiten Teilen üppigen realen Lohnzuwächse im Jahr 2024 konnten die deutschen Haushalten aber nicht dazu animieren, viel mehr zu konsumieren. Im Gegenteil: Die Sparquote ging nach oben, um den Kaufkraftverlusten der vergangenen Jahre teilweise entgegenzuwirken.
Auch das laufende Jahr begann mit einer eingetrübten Konsumentenstimmung, die eine niedrige Anschaffungsneigung und tiefe Einkommenserwartung widerspiegelt. Schlechte Rahmenbedingungen, die Androhung von US-Zöllen und eine mögliche Fragmentierung in der Regierung: Die Neuorientierung Deutschlands, um wieder die Lokomotive der europäischen Wirtschaft zu werden, ist voller Hindernisse und wird sich nicht in kurzer Frist vollziehen. Die Schweiz spürt schon jetzt die Schwäche unseres wichtigsten Handelspartners: Die Handelsströme gehen zurück, und die Attraktivität des hiesigen Arbeitsmarkts für deutsche Arbeitssuchende nimmt weiter zu.
… und auf die Finanzmärke
Die Entwicklung an der deutschen Börse ist ein gutes Beispiel, dass sich der Aktienmarkt in der kurzen Frist von den makroökonomischen Fundamentaldaten abkoppeln kann. So legte der Leitindex DAX 40 im Jahr 2024 um 19 Prozent zu und gehörte zu den weltweiten Top-Performer. Das Kurswachstum hat aber nicht den gesamten Aktienmarkt ergriffen: Der Index MDax, der mittelkapitalisierte Unternehmen umfasst, verlor auf Jahressicht 6 Prozent. Zinssenkungen, der globale Hype um die Künstliche Intelligenz sowie die Erkenntnis des Nachholbedarfs europäischer Länder im Verteidigungsbereich haben vor allem die Kurse der grössten Unternehmen nach oben getrieben.
Am Kapitalmarkt lässt sich derweil die Entkoppelung zwischen dem sinkenden EZB-Leitzins und der seitwärts tendierenden Entwicklung der Staatsanleihen-Renditen beobachten. Die jüngsten Aussagen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die eine schwächere Haushaltdisziplin zur Finanzierung der Militärausgaben erlauben möchte, und die Aussicht auf die Emission von gemeinsamen Staatsanleihen dürften die Renditen deutscher Staatsanleihen steigen lassen, da die erwähnten Pläne eine Art Querfinanzierung der hochverschuldeten EU-Länder schaffen. Allerdings hat die EZB ein Ass im Ärmel: Mit dem Transmission Protection Instrument kann die Notenbank unter gewissen Bestimmungen Staatsanleihen am Markt ankaufen, um den steigenden Renditedruck zu dämpfen.
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