Die Beschäftigung in der Schweiz befindet sich wieder auf Vorkrisen-Niveau und signalisiert eine sehr robuste Verfassung. Auch wenn sich gewisse Austrocknungsanzeichen manifestieren, sind Sorgen vor einer Lohn-Preis-Spirale nicht angezeigt.
Die Schweizer Wirtschaft hat gut aus der Corona-Krise herausgefunden. Dies bestätigen auch die jüngsten Arbeitsmarktdaten. Gemäss diesen belief sich die Arbeitslosenquote im Mai auf 2,1 Prozent, nachdem sie im Vormonat noch bei 2,3 Prozent gelegen hatte. Unter Ausklammerung der saisonalen Effekte – wie beispielsweise dem geringeren Arbeitsanfall auf dem Bau während der Wintermonate – notierte die Arbeitslosenquote unverändert bei 2,2 Prozent.
Damit zeigt sich der Schweizer Arbeitsmarkt bereits wieder auf dem hervorragenden Vorkrisen-Niveau. Für einen noch tieferen Wert muss man in den Statistiken bis zum November 2001 zurückblättern. Damals lag die Arbeitslosenrate bei 2,0 Prozent.
Nach dem starken BIP-Wachstum im ersten Jahresviertel (+0,5 Prozent gegenüber Vorquartal) unterstreichen somit die Beschäftigungsdaten die robuste Verfassung der Schweizer Wirtschaft. Einziger Wermutstropfen – oder das sprichwörtliche Haar in der Suppe – ist die Gegenüberstellung der Anzahl offener Stellen und der Anzahl Stellensuchenden. So waren im Mai bei den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAVs) 71’048 offene Stellen gemeldet. Gleichzeitig registrierten die RAVs 175’456 Personen auf Stellensuche. Anders ausgedrückt: Pro zu besetzenden Position waren zuletzt knapp 2,5 Personen unmittelbar auf dem Arbeitsmarkt verfügbar. Dies entspricht dem tiefsten Wert innerhalb der Datenverfügbarkeit (siehe Grafik).
Eine ausufernde Lohnrunde zeichnet sich nicht ab
Der Fachkräftemangel in der Schweiz hat sich somit weiter akzentuiert. Denn unter Berücksichtigung der Übereinstimmung von Anforderungs- und Kandidat*innen-Profil fällt das Verhältnis zwischen Stellenangebot und -nachfrage nochmals deutlich tiefer aus. Das lässt zunehmend Befürchtungen nach heissen Lohnverhandlungsrunden aufkommen, die durch die auch hierzulande erhöhte Inflation zusätzlich befeuert werden.
Tatsächlich ist vor diesem Hintergrund die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmenden (bzw. der Gewerkschaften) so ausgeprägt wie seit langem nicht mehr. Wir gehen denn auch davon aus, dass in einzelnen Branchen substanzielle Lohnerhöhungen durchgesetzt werden können. Gleichzeitig erwarten wir jedoch keine überhitzende Dynamik bei den Saläranpassungen. Denn im Zuge der globalen konjunkturellen Abkühlung dürfte auch die Schweizer Wirtschaft an Schwung verlieren und damit die Austrocknungstendenzen am Arbeitsmarkt zumindest vorerst zum Erliegen bringen. Ausserdem notiert die Teuerung in der Schweiz nach wie vor auf einem vergleichsweise (!) niedrigen Niveau. Der Höhepunkt dürfte im dritten Quartal überschritten werden, was den inflationsseitigen Druck auf die Löhne wieder etwas lindern sollte.
In der Schweiz ist man somit weit von einer Situation wie in der Eurozone entfernt, wo angesichts der galoppierenden Inflation die Sorgen vor einer schädlichen Lohn-Preis-Spirale nicht verschwinden. Die florierende Beschäftigungslage sollte daher primär als das gesehen werden, was sie ist: Ausdruck einer solide aufgestellten Wirtschaft in einem äusserst herausfordernden Umfeld.
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