Das Corona-Virus ist noch lange nicht verschwunden. Lässt sich aber die Ausbreitung einigermassen unter Kontrolle halten, dürfte die Weltwirtschaft das Schlimmste hinter sich haben. Die Konjunkturerholung wird jedoch mühsam und langwierig. Eine Rückkehr zum Vor-Pandemie-Niveau zeichnet sich nicht vor 2022 ab – auch in der Schweiz nicht.
Der weitere Verlauf der Corona-Pandemie bestimmt, wie schnell sich die Weltwirtschaft erholen wird. Kommt es zu einer zweiten Infektionswelle rund um den Globus? Müssen erneut einschneidende Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens erlassen werden? Angesichts dieser «bekannten Unbekannten» sind Konjunkturprognosen mit grossen Unsicherheiten behaftet.
Kein «V»-Szenario
Sicher ist jedoch bereits heute, dass die Corona-Krise zum stärksten Konjunktureinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg geführt hat. Und sicher erscheint auch, dass selbst unter Annahme eines optimalen Pandemieverlaufs die Erholung ebenso langwierig wie mühselig ausfallen wird. Die Einschätzung, wonach es zu einem sogenannten «V»-Szenario komme – einer kurzen, aber scharfen Rezession, gefolgt von einer schnellen Rückkehr auf das konjunkturelle Vorkrisenniveau –, teilen wir nur bedingt.
Wir gehen vielmehr davon aus, dass der Erholungspfad – die rechte Seite des «V» – deutlich flacher und länger sein wird als vielfach vermutet. Selbst wenn die Ausbreitung von Covid-19 unter Kontrolle gehalten werden kann, unterscheidet sich die gegenwärtige Krise von früheren in mehreren Punkten.
Angebots- und Nachfragestörungen
Besonders belastend ist, dass sich die private Konsumnachfrage nicht wie üblich als stabilisierende Stütze erweist. Daran wird sich auch mit den Lockerungen der Lockdown-Massnahmen nicht so schnell etwas ändern. Die in vielen Wirtschaftsräumen sprunghaft gestiegene – und wohl noch weiter zunehmende – Arbeitslosigkeit geht mit einem Einschnitt bei den verfügbaren Einkommen einher. Teilweise grosszügige staatliche Zuschüsse (beispielsweise in den USA) können diesen Effekt allenfalls mindern, aber nicht komplett beseitigen. Ein breit abgestütztes Anziehen der privaten Nachfrage zeichnet sich daher erst mit einem nachhaltigen Beschäftigungsaufbau ab, wenn die Konsumenten wieder zuversichtlicher in ihre berufliche Zukunft blicken können.
Gleichzeitig bleibt die Angebotsseite noch für einige Zeit beeinträchtigt. Die Verzögerungen und Unterbrüche in den Produktions-, Transport- und Absatzketten werden noch über Monate andauern. Das Zusammenfallen von Nachfrage- und Angebotsstörungen ist ein spezifisches Phänomen der Corona- Krise – zumindest, wenn man die beiden Weltkriege ausklammert. Wurden bisherige Rezessionen meist durch einen einzigen Schock ausgelöst, ist die Corona-Krise durch eine Kombination aus unterschiedlichen Angebots- und Nachfrageschocks über eine Vielzahl von Sektoren und Wirtschaftsräumen geprägt. Dies macht die Rückkehr zum Vorkrisenmodus schwieriger.
Schwellenländer sind keine Taktgeber
Erschwerend kommt hinzu, dass Covid-19 die gesamte Weltwirtschaft gleichzeitig getroffen hat. Bei der Finanzkrise von 2008 konnten sich viele grosse Schwellenländer dem Sog des konjunkturellen Abwärtsstrudels entziehen und stellten dadurch ein Gegengewicht zu den taumelnden Industriestaaten dar. Anders bei der Corona-Krise: Der Wirtschaftseinbruch erfolgte global, und entsprechend sind für die anstehende Erholung kaum belebende Impulse von den aufstrebenden Wachstumsmärkten zu erwarten. Da viele Schwellenländer hinsichtlich Infektionsverlauf den Industriestaaten hinterherhinken, zeichnet sich – mit Ausnahme der früh von der Pandemie erfassten asiatischen Länder – auch ein zeitlich versetzter Wiederaufschwung der Emerging Markets ab.
Globalisierung in der Krise
Zudem ist das Wachstum des Welthandels schon vor der Corona-Krise ins Stocken geraten – nicht zuletzt aufgrund des Handelskonflikts zwischen den USA und China. Legte der Welthandel zwischen der Dotcom- und der Finanzkrise um durchschnittlich mehr als 7 Prozent pro Jahr zu, betrug das Jahreswachstum zwischen Finanz- und Corona-Krise nurmehr 4 Prozent.
Angesichts der Tatsache, dass der globale Handel in den ersten drei Monaten der Corona-Krise stärker eingebrochen ist als im Vergleichszeitraum bei der Finanzkrise, kann dies als ungünstiges Omen gedeutet werden: Die Globalisierung, die Wohl- standszuwachs-Garantin von einst, steckt in einer Vertrauenskrise. Der weltweite Warenhandel sieht sich mit protektionistischen Tendenzen konfrontiert und wird beim Erholungskurs kaum für zusätzlichen Schwung sorgen. Erst recht nicht, falls die Lieferketten künftig wieder vermehrt regional statt global ausgerichtet werden sollten.
Der Welthandel geriet bereits vor der Corona-Krise unter Druck
Schweiz: Verhaltener Optimismus ist angezeigt
Auch die Schweizer Wirtschaft verzeichnete eine Vollbremsung, deren Folgen trotz mittlerweile fast vollständig aufgehobener Schutzmassnahmen noch lange nachwirken werden. Beispielsweise wird der Tourismussektor noch einige Zeit unter dem Nachfrageeinbruch aus dem Ausland leiden. Insbesondere das Fernbleiben der asiatischen Gäste dürfte der Branche schwer zusetzen.
Der Privatkonsum wird bis auf Weiteres ebenfalls zur Schwäche neigen, weil die Unsicherheit am Arbeitsmarkt zunimmt. Verglichen mit anderen Arbeitsmärkten präsentiert sich die Situation für Schweizer Arbeitnehmende allerdings etwas weniger bedrohlich. Denn die unbürokratischen Überbrückungshilfen und das Kurzarbeitsmodell sollten die gravierendsten Folgen der Corona- Krise abfedern. Dies legen auch die Beschäftigungszahlen nahe: Die im internationalen Vergleich sehr tiefe Arbeitslosigkeit ist in der Schweiz bislang relativ gering gestiegen.
Schweizer Arbeitsmarkt zeigt sich robust
Nicht zuletzt nimmt die Schweizer Wirtschaft mit einem soliden Fundament den Wiederaufschwung in Angriff. Die unternehmerischen Rahmenbedingungen zählen zu den weltweit besten, während der starke Franken die Unternehmen dazu gezwungen hat, sich fit zu trimmen.
Einer scharfen Rezession kann sich damit auch die Schweiz nicht entziehen. Viele Hausaufgaben wurden gemacht, andere harren weiterhin der Erledigung. Namentlich bei der Suche nach einem Ausweg aus der europapolitischen Sackgasse, den stockenden Reformen bei den Sozialwerken oder beim Fachkräftemangel in bestimmten Sektoren tut eine Lösung dringend not. Gelingt es, auch in diesen Bereichen Fortschritte zu erzielen, und kommt es bei der «bekannten Unbekannten» nicht zu einem fatalen Rückfall, kann die Schweiz durchaus mit gewissem Optimismus in die Post-Corona-Zukunft blicken.