Bei Allzeithochs an den Finanzmärkten wird es vielen Anlegern unheimlich: Sie machen Kasse und steigen aus. Doch die Angst vor Rekordmarken ist meist unbegründet. Stattdessen sollten Sie die Gewinne laufen lassen und Stop-Loss-Limiten nutzen.
Egal ob Bitcoin oder Börse: Viele Anleger plagt die Höhenangst. Sie fürchten, dass Rekordstände und insbesondere Allzeithochs unweigerlich von korrigierenden Crashs gefolgt werden, welche die Kurse wieder auf ein «gewohntes» Niveau zurückführen. Das ist Unsinn – in der Börsenpsychologie spricht man vom Allzeithoch-Fehlverhalten oder «All time high bias». Unser Hirn narrt uns mit dem Glauben, nach einer langen Sequenz von steigenden Kursen sei die Wahrscheinlichkeit eines Fallens massiv gestiegen.
Verstärkt wird das Problem durch den so genannten Dispositionseffekt. Er besagt, dass wir Verluste viel stärker empfinden als Gewinne. Oder anders formuliert: Ein Kursverlust von 1000 Franken schmerzt uns mehr als ein gleich grosser Gewinn. Das führt dazu, dass wir aus Furcht vor einem Kurssturz Börsenanlagen tendenziell zu rasch verkaufen, statt die Gewinne weiterlaufen zu lassen.
Ein Allzeithoch – «die Mutter aller Kaufsignale»
Die Folge von Dispositionseffekt und «All time high bias»: Viele Anleger sehen ein Allzeithoch als Verkaufsgrund. Klar, Aktienbewertungen mögen durch einen solchen Kursanstieg tatsächlich luftige Höhen erklimmen, die Anlass zur Sorge geben können. Aber wenn Bewertungen kein Problem darstellen, gilt die Devise: «Ein neues Allzeithoch ist die Mutter aller Kaufsignale.» Daran halten sich Charttechniker – das sind Analysten, die Kursmuster untersuchen, ohne sich dabei um Bewertungsfragen zu kümmern. Für sie ist ein neues Allzeithoch Ausdruck eines starken Herdentriebs, der nicht einfach so von heute auf morgen zusammenbricht. «The trend is your friend», lautet ihr Motto.
Wann geht der Bullenherde der Atem aus?
Kein Trend hält ewig – irgendwann geht auch der stürmischsten Bullenherde der Atem aus. Warnsignale bieten zwei einfach zu interpretierende charttechnischen Kennzahlen. Die erste ist der Relative Strength Index (RSI): Er setzt für bestimmte Perioden die Stärke der Kursgewinne ins Verhältnis zu jener der Kursverluste. Dabei nimmt er Prozentwerte zwischen 0 und 100 an: Solche von 0 bis 30 gelten als Verkaufssignal, solche von 70 bis 100 als Kaufsignal. Der zweite häufig verwendeter Indikator ist der 200-Tage-Durchschnitt: Ein Aufwärtstrend gilt als intakt, wenn der aktuelle Kurs über dem gleitenden Mittel der vergangenen 200 Handelstage liegt – wie aktuell beim Bitcoin (siehe z.B. bitcoincharts.com). Für Aktien und Börsendizes andererseits finden Sie charttechnische Indikatoren auf Finanzportalen wie finanzen.ch – zum Zeitpunkt der Publikation dieses Beitrags zeigen für den SPI-Aktienindex sowohl der 200-Tage-Durchschnitt als auch der RSI einen ungebrochenen Aufwärtstrend.
Gewinne laufen lassen, Verluste begrenzen
Bleiben die charttechnischen Signale auf Grün aus, können Sie investiert bleiben. Der Tipp lautet: Gewinne laufen lassen – aber vorsichtshalber allfällige Verluste mit so genannten Stop-Loss-Aufträgen begrenzen. Und so funktionieren sie: Ein Verkaufsauftrag wird automatisch ausgelöst, sobald der Titel auf ein von Ihnen zuvor definiertes Preisniveau fällt. Diese Limite können Sie z.B. 10 Prozent unter dem aktuellen Kurs setzen. Bei steigenden Aktien müssen Sie den Stop-Loss natürlich laufend nach oben nachziehen.
Und noch etwas ist zu beachten: Der klassische Stop-Loss-Auftrag wird «bestens» ausgeführt. Fällt der Kurs unter die von Ihnen gewählte Auslöselimite, wird der Titel zum besten zu erzielenden Preis verkauft. Bei einem heftigen Einbruch und gleichzeitig geringer Handelsliquidität kann allenfalls der Auftrag nicht bei der gewünschten Auslöselimite abgewickelt werden, sondern zu einem tieferen Preis. Um dieses Risiko zu vermindern, wählen sie den so genannten Stop-Limit-Auftrag: Sie setzen eine zusätzliche Kurslimite fest, unter der Ihr Verkaufsauftrag nicht mehr ausgeführt werden soll.
Bei stark schwankenden Anlagen machen eng gesetzte Stop-Loss-Limiten keinen Sinn. Es empfiehlt sich die 50:50-Regel: Nach einem markanten Kursgewinn wird die eine Hälfte der Titel verkauft und für die verbleibenden Titel ein Stop-Loss-Auftrag beim Einstiegskurs gesetzt. Ein Beispiel für hochvolatile Wertschriften sind etwa Zertifikate, die 1:1 den Bitcoin-Kurs abbilden. Nehmen wir an, Sie besitzen vier dieser Zertifikate, die seit dem Kauf von 4000 auf 7675 Dollar gestiegen sind, und sie veräussern nun zwei davon. Für die restlichen beiden platzieren Sie im E-Banking einen Stop-Loss-Auftrag beim Einstiegskurs von 4000 Dollar (siehe Grafik). So hätten Sie 7350 Dollar bzw. 46 Prozent Rendite auf sicher – selbst im schlechtesten Fall, wenn der Bitcoin auf Ihren Einstiegskurs zurückfiele und dort ein automatischer Verkaufsauftrag ausgelöst würde.
Mit solchen Sicherheitsnetzen brauchen Sie als Anlegerin und Anleger keine Höhenangst vor Rekordständen zu haben.
Läuft die Stop-Loss-Limite bei steigenden Kursen mit oder muss die Limite manuell angepasst werden?
Sehr geehrter Herr Aeschbacher
Die Stop-Loss-Limite muss bei steigenden Kursen manuell nachgezogen werden.
Freundliche Grüsse, Urs Aeberli
Eine Frage zu den Stop-Loss- bzw. Stop-Limit-Aufträgen:
Kostet das Erfassen dieser Art Aufträge (im Migros-Onlinebanking) bereits etwas, oder fallen Kosten erst beim Ausführen an?
Also könnte ein Auftrag dort erfasst werden, und wenn die Limite nie über- bzw. unterschritten wird, nie zur Ausführung kommen – also auch keine Kosten generieren?
Guten Tag
Die Eingabe von Stop-Loss- und Stop-Limit-Aufträgen ist kostenlos; Transaktionskosten fallen erst an, wenn diese zur Ausführung kommen.
Freundliche Grüsse, Urs Aeberli
Sehr geehrter Herr Aeberli
Mich würde interessieren, ob diese Stop-Loss-Limiten auch bei den Vermögensverwaltungsmandaten der Migros Bank angewendet werden.
Guten Tag
Nein, bei den Vermögensverwaltungsmandaten kommen keine Stop-Loss- bzw. Stop-Limit-Aufräge zur Anwendung.
Freundliche Grüsse, Urs Aeberli