Japan ist besonders. Nicht nur für Touristen

Trotz weiterhin ultraexpansiver Geldpolitik ist die japanische Inflation auf dem Rückzug. Nun lassen die zum ersten Mal seit langem steigenden Reallöhne die Zentralbank hoffen, dass der Privatkonsum vom Fleck kommt und das Wirtschaftswachstum stützt.

Japan wird gerade von Touristinnen und Touristen aus der ganzen Welt überrannt. Das Land der aufgehenden Sonne hob spät alle Covid-Einschränkungen auf und öffnete seine Grenze für den Fremdverkehr erst im Frühling 2023. Seitdem nahm der Touristenstrom rasch Fahrt auf, und im vergangenen Jahr wurden rund 25 Millionen Gäste aus Übersee verzeichnet – unweit von den Rekordwerten der beiden Jahren vor der Pandemie. Der Reiz der Landschaften, der Gastronomie und der Kultur Japans lockt schon seit langem auch viele Touristen aus der Schweiz. Gemäss Angaben der hiesigen Reisebranche beschleunigte sich die Nachfrage seit der Wiederöffnung der Grenzen, und im letzten Jahr besuchten mehr als 50’000 Schweizerinnen und Schweizer Japan.

Yen im freien Fall…

Neben der Reiselust besteht auch ein finanzieller Anreiz für einen Japan-Besuch. Denn der Yen hat sich in den letzten Jahren aufgrund der einzigartigen Geldpolitik der Bank of Japan (BoJ) deutlich abgeschwächt. Bekam man 2019 im Durchschnitt rund 110 Yen für einen Franken, sind es heutzutage fast 170. Das sind gute Nachrichten für Personen und Unternehmen, die Waren und Dienstleistungen aus Japan beziehen. Da das japanische Preisniveau im gleichen Zeitraum deutlich weniger angestiegen ist, bedeutet die Aufwertung der Schweizer Währung um mehr als 35 Prozent innerhalb von fünf Jahren eine deutliche Zunahme unserer realen Kaufkraft.

Die Abwertung des Yen sorgt hingegen für wenige Freude für die Schweizer Tourismusbranche: Das hohe Preisniveau in der Schweiz und der dahinschmelzende Aussenwert des Yen haben zu einer drastischen Verringerung der Ankünfte und Logiernächte japanischer Gäste geführt. Beispielsweise kamen in die Schweiz im vergangenen Juli nur halb so viele Besucher aus Japan wie fünf Jahre zuvor.

… aber keine Hyperinflation

Dieser Rückgang deutet darauf hin, dass etwas bei den japanischen Haushalten nicht rund läuft. Für lange Zeit war die Inflation ein Wunsch der japanischen Zentralbank, die sich jahrzehntelang mit Deflation und schwachem Wirtschaftswachstum auseinandersetzen musste (siehe auch «Blickpunkt» vom 13. Oktober 2023). Nach der Aufhebung der Pandemieeinschränkung kannte Japan, ähnlich wie beinahe alle Industrieländer, eine inflationäre Phase, die im Januar 2023 mit einer Teuerungsrate um 4,3 Prozent ihren Höhepunkt erreichte, ohne dass die BoJ den negativen Leitzins anhob. Das Stillhalten der BoJ während einer Phase, in welcher andere Zentralbanken wie die Fed, die EZB oder selbst die SNB ihre Leitzinsen deutlich erhöht, hatte einen hohen Preis: Die Yen-Abwertung, die während der Pandemiezeit begann, beschleunigte sich zusätzlich

Das asiatische Land ist nicht reich an natürlichen Ressourcen und ist insbesondere auf den internationalen Handel von Energieträgern angewiesen. Angesichts der deutlichen Abschwächung der japanischen Währung und des damit verbunden starken Anstiegs der Importpreise, die im zweiten Jahreshälfte 2022 Spitzen von fast 50 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat erreichte, kann man den eingetreten Preisauftrieb als moderat betrachtet.

Die Inflation war denn auch nicht die von der BoJ für die Bestimmung der Geldpolitik beobachtete Zielgrösse: Stattdessen stand das Lohnwachstum im Fokus der Zentralbank. Die BoJ verfolgt das Ziel einer jährlichen Teuerung um 2 Prozent, die aus realen Lohnzuwächsen entsteht. Dergestalt werden der private Konsum und das gesamte Wirtschaftswachstum angekurbelt.

Mittelfristig ist diese Sichtweise plausibel. Dies vor allem aufgrund der Alterung der Gesellschaft und des Arbeitskräftemangels – die Kosten des Produktionsfaktors werden damit tendenziell nach oben getrieben (bis die Fortschritte in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Automatisierung zu einer Abfederung führen, wird es noch dauern).

Kurzfristig ist die Ausgangslage anders: Die japanischen Arbeitgeber sind eher zurückhaltend, was Lohnerhöhungen angeht. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich dieses Jahr Arbeitgeber und -nehmer dahingehend einigten, dass es erstmals seit zweieinhalb Jahren zu realen Lohnzuwächsen kommt.

Noch kein Booster für das Wirtschaftswachstum

Diese Rückkehr zu einem positiven Wachstum der Reallöhne hat die BoJ dazu veranlasst, den Leitzins erstmalig seit 17 Jahren und zweimal zu erhöhen (von -0,1 auf 0,25 Prozent). Das führte auch zu einem Schock an den Finanzmärkten, da zahlreichen Investoren ihre Carry Trades vorzeitig auflösen mussten. Für die reale Wirtschaft bleibt die japanische Geldpolitik ultraexpansiv, und es ist daher nicht mit negativen Rückkoppelungen für das Wirtschaftswachstum zu rechnen. Das Ziel der Zentralbank ist es, dass das für japanische Verhältnisse hohe Lohnwachstum die Japaner dazu bringt, den unterdurchschnittlich wachsenden Privatkonsum zu erhöhen. Das ist tatsächlich, was die japanische Wirtschaft genau braucht: Denn diese scheint sich zwar von der schwachen Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte 2023 zu erholen, aber sie braucht inländische Impulse, um einer mögliche Abkühlung der wichtigen Auslandnachfrage seitens USA und China entgegenzuwirken.

Und der Wechselkurs? Solange die BoJ ihre Geldpolitik nicht deutlich straffen werden, wird die Yen-Schwäche weitergehen. Bestimmt zur Freunde der zukünftigen Besucher des Landes der Kirschblüten.

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