Anlagen_Achterbahn

Kein Grund zur Panik

Die Börse ist miserabel ins Jahr 2016 gestartet. Wir nennen die Gründe für den Kurssturz und zeigen, wie schlimm dieser Verlust im historischen Vergleich ausfällt. Unsere Einschätzung zu den Ereignissen lautet: Die Börse hat überreagiert – Aktienanlagen bleiben attraktiv.

An den Finanzmärkten herrscht plötzlich grosse Verunsicherung. Was sind die Gründe?

Der Auslöser ist die wirtschaftliche Schwäche in China. Diese kommt aber keineswegs überraschend. Auch auf diesem Blog haben wir schon mehrfach auf die Risiken hingewiesen: Das Schuldenwachstum in China ist nicht nachhaltig (vgl. «Welche Schuldner jetzt zittern müssen») und es besteht die Gefahr einer abrupten Abwertung der chinesischen Währung Yuan (vgl. «Was die Schwäche in China für den Westen bedeutet»). An den Finanzmärkten klammerte man sich indes lange Zeit an die Hoffnung, die chinesische Führung werde diese Probleme rasch in den Griff bekommen. Nicht zuletzt dank den riesigen Währungsreserven von 3,3 Billionen Dollar. Der beschleunigte Kapitalabfluss (allein im letzten Halbjahr erreichte er 500 Milliarden Dollar) zeigt nun aber, dass China doch schwächer dasteht, als es sich wohl manche erhofft hatten. Als zweiter Faktor ist der erneute Einbruch des Ölpreises dazugekommen. Nachdem sich dieser im Herbst stabilisiert hatte, ist der Preis in kurzer Zeit um einen Drittel gefallen. Das hat nun zur Folge, dass zahlreiche Staatsfonds aus Erdölländern ihre Aktienbestände reduzieren mussten, um damit die fehlenden Öleinnahmen zu kompensieren.

Seit Anfang Jahr hat die Schweizer Börse 6,4 Prozent an Wert eingebüsst (gemessen am Schlusskurs vom 25.1.). Wie dramatisch ist dieser Kursverlust?

Ein solcher Einbruch ist zwar eher selten, liegt aber durchaus noch in einem üblichen Rahmen. Als Aktionär muss man solche Wertschwankungen aushalten können. Das belegen auch die historischen Daten: Ich habe die monatlichen Kursgewinne und -verluste an der Schweizer Börse in den letzten 60 Jahren ausgewertet. Wie die unten stehende Grafik zeigt, ist ein Monatsverlust von mehr als 6 Prozent mit einer Häufigkeit von 6,3 Prozent vorgekommen. Also relativ oft, im Durchschnitt alle 16 Monate. Ein Monatsverlust von über 8 Prozent trat bereits deutlich seltener auf, im Schnitt nur noch alle rund 2,5 Jahre. Eine weitere interessante Erkenntnis aus dieser Grafik lautet übrigens: Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie als Aktionär in einem Zeitraum von einem Monat einen Verlust erzielt haben werden, beträgt rund 40 Prozent. Umgekehrt enden 60 Prozent der Monate mit einem Plus. Bei einer Zeitdauer von einem Jahr erhöht sich die statistische Wahrscheinlichkeit, eine positive Rendite zu erreichen, sogar auf 70 Prozent.

Heftige Ausschläge sind eher selten
Heftige Ausschläge sind eher selten
Häufigkeitsverteilung der monatlichen Kursausschläge an der Schweizer Börse seit 1955. Lesebeispiel: Ein Kurverlust zwischen 6 und 8 Prozent im Monat ereignete sich mit einer Häufigkeit von 2,9 Prozent.

Für 2016 sehen die Perspektive aber nicht gerade rosig aus. Man spricht ja auch vom so genannten Januar-Effekt, wonach sich die Börse über das gesamte Jahr oftmals in die gleiche Richtung entwickelt wie im Monat Januar. Gibt es diesen Effekt tatsächlich?

Auch dazu habe ich die Schweizer Börsendaten über die letzten sechs Jahrzehnte ausgewertet: Demnach endete das Jahr in sechs von zehn Fällen mit dem gleichen Vorzeichen wie schon der Monat Januar. Statistisch lässt sich ein solcher Januar-Effekt also in der Tat beobachten. Relevanter für den Anleger ist jedoch eine andere Frage: Soll man nun Ende Januar, nachdem der Kursverlust in diesem Monat bereits eingetreten ist, Aktien verkaufen? Hier lautet die Antwort, zumindest aus statistischer Sicht: Nein. Wenn wir nämlich sämtliche Jahre analysieren, in denen der Januar an der Börse zu einem Verlust führte, dann lagen die Kurse bis zum Schluss des Jahres in immerhin 60 Prozent der Fälle höher als per Ende Januar. Wichtiger allerdings sind die fundamentalen Faktoren, welche für Aktien weiterhin positiv ausfallen.

Somit ist das Szenario, dass die Börsenverluste einen Konjunktureinbruch oder gar eine Rezession ankündigen, als unwahrscheinlich einzustufen?

Davon bin ich überzeugt. Zweifellos signalisiert uns die Nervosität an den Finanzmärkten, dass die konjunkturellen Risiken zunehmen. Das sollte man aber nicht überbewerten. Der Nobelpreisträger Paul Samuelson hat es einmal treffend auf den Punkt gebracht: «Die Aktienmärkte haben neun der fünf letzten Rezessionen perfekt vorausgesagt.» Mit anderen Worten: Zwischendurch neigen die Börsen zu einem übertrieben pessimistischen Ausblick, was aus meiner Sicht auch diesmal der Fall ist. Aus folgendem Grund: Die Unternehmensgewinne, insbesondere in den USA, liegen im historischen Vergleich nach wie vor auf sehr hohem Niveau (siehe unten stehende Grafik). Zwar gehen die aggregierten Gewinnerwartungen der US-Konzerne seit einigen Monaten etwas zurück. Dahinter stehen allerdings zwei spezifische Einflüsse, welche nur einzelne Sektoren betreffen: Zum einen leidet die Ölbranche unter dem tiefen Ölpreis und zum andern verspürt die Exportindustrie Gegenwind aufgrund des gestiegenen Dollars. Unter Ausklammerung dieser Sonderfaktoren bleibt die Konjunkturentwicklung robust.

Rekordhohe Konzerngewinne
Rekordhohe Konzerngewinne
Entwicklung der Unternehmensgewinne in Prozent des Bruttoinlandprodukts in den USA seit 1960.

Bei den europäischen Firmen sind die Gewinnmargen tiefer als in den USA, dafür haben sie noch Aufholpotenzial. Nicht zuletzt dank dem schwachen Euro. Und auch bei den Schweizer Konzernen liegen die Gewinnprognosen für das laufende Jahr noch immer klar im positiven Bereich. Zwar leiden einzelne Sektoren wie die Uhrenindustrie unter der Schwäche in China. Doch von den gesamten Exporten beträgt der Anteil Chinas nur etwa 8 Prozent.

Wie sieht es bei den Aktienbewertungen aus: Droht Gefahr von dieser Seite?

Beim Swiss Market Index liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) derzeit bei knapp 16, verglichen mit einem KGV von 14 im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis ist mit 2,4 sogar leicht tiefer als im zehnjährigen Mittel. Und auch die Dividendenrendite von aktuell 3,2 Prozent deutet keineswegs auf eine Überbewertung hin. Im letzten Jahr haben die 20 SMI-Unternehmen rekordhohe 37,5 Milliarden Franken ausgeschüttet. 2016 dürfte diese Summe erneut ansteigen. Damit man als Aktionär von den Dividenden profitieren kann, braucht es allerdings einen langfristigen Anlagehorizont, wie die Grafik unten verdeutlicht. Denn erst mit der Reinvestition der Dividendenausschüttungen kann der Zinseszinseffekt seine Wirkung entfalten. Bei einer konstanten Dividendenrendite von 3 Prozent dauert es 23 Jahre, bis sich das Kapital allein aufgrund der reinvestierten Ausschüttungen verdoppelt hat – also ohne jegliche Kursgewinne.

Dividenden sind für langfristige Anleger
Dividenden sind für langfristige Anleger
Performance des Swiss Market Index mit reinvestierten Dividenden respektive ohne Berücksichtigung der Ausschüttungen seit 2006.

Dass an den Finanzmärkten eine eher skeptische Stimmung vorherrscht, deute ich ebenfalls als positives Zeichen: Es zeigt nämlich, dass wir von einer Euphorie oder einem «irrationalen Überschwang», der typisch für die Endphase eines Booms wäre, noch weit entfernt sind. Nicht von ungefähr heisst es, dass die Börse eine «Wall of Worry» (eine Mauer der Sorgen) hochklettern muss. Gefährlicher wäre es daher, wenn sich unter den Anlegern eine allgemeine Sorglosigkeit breitgemacht hätte. Auch aus dieser Optik spricht somit vieles dafür, dass man als Aktionär bereits in einigen Monaten für sein Stehvermögen belohnt wird.

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